Eineinhalb Jahre nach der Flut beschreibt Benjamin Vrijdaghs, Bürgermeister von Rech, seine Wahrnehmung so: „Wer mit offenen Augen durchs Ahrtal fährt, sieht, dass es noch ein weiter Weg ist.“
Warum das so ist, darüber diskutierten der Chefredakteur der Rhein-Zeitung, Lars Hennemann, und Jens Baumgart, Moderator und Informationschef bei RPR1, mit Bewohnern des Tals und ihren Gästen, darunter der neue rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling und Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt, die am Ende der Veranstaltung vor allem eine Botschaft mit nach Mainz nehmen konnten: Der Wiederaufbau dauert zu lange. Die Verwaltungen sind personell überfordert. Die versprochene unbürokratische Hilfe wird als solche nicht erfahren. Die immer noch unzureichende öffentliche Infrastruktur wirkt wie ein Bremsklotz.
Die Erwartungshaltung an die verantwortlichen Politiker ist hoch, der Ruf nach pragmatischen Lösungen und einen Sondergebiet Ahrtal mit gelockerten Bürokratiefesseln laut. Mit Anja Körtgen und Lukas Sermann waren zwei Vertreter der jungen Generation eingeladen, die in die Betriebe ihrer Eltern eingestiegen sind und diese weiterführen wollen. „Wie stellt sich die nächste Generation das Ahrtal der Zukunft vor?“, fragte Jens Baumgarten.
„Für uns sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz die Themen, die überall mitzudenken sind – auch beim Tourismus“, sagte Anja Körtgen, die nach der Flut wieder ins Tal zurückgekommen ist. Ihre Familie hat in Ahrweiler ein Weingut, eine Weinstube und drei Ferienwohnungen. „Wir müssen junge Leute motivieren, ins Ahrtal zu kommen, die darauf Bock haben, hier etwas zu machen und neu anzufangen – weil sie vielleicht in ihrem alten Job frustriert sind“, so Körtgen.
Die Podiumsdiskussion der Rhein-Zeitung und RPR1 in der Landskroner Festhalle in Bad Neuenahr-Ahrweiler, bei der es um die Zukunft des Ahrtals nach der Flut geht, ist am Dienstagabend gegen 20.30 Uhr zu Ende gegangen.Livestream zur RZ-Podiumsdiskussion zum Nachschauen: Wie kann das Ahrtal nach der Flut wieder Fuß fassen?
Lukas Sermann hat das Weingut seiner Familie 2019 übernommen und um ein Gastrokonzept erweitert, „weil er Vertrauen hat in die Region“. Und die muss aus seiner Sicht so schnell wie möglich wieder eine Urlaubsregion werden. „Niemand läuft gerne durch Ruinen“, so Sermann, der ebenfalls an eine neue Generation von Pionieren glaubt, die bei einem Neustart gefördert werden müsste. Außerdem sei es wichtig, mehr Klarheit darüber zu haben, wie es mit den Campingplätzen weitergeht.
Vom Begriff Nachhaltigkeit ist auch das Tourismuskonzept Ahrtal 2025 geprägt, das vom Land mit einer Million Euro unterstützt wird. Es wurde im Juli auf den Weg gebracht, sieht für das Frühjahr 2023 bereits Maßnahmen vor. „Es wird kurzfristig mehr Komm-Gründe geben“, sagt Christian Lindner, Vorsitzender des Ahrtal-Tourismus und selbst Hotelier in Bad Neuenahr. Doch aus seiner Sicht ist es jetzt wichtig, dass kurzfristig an der zügigen Wiederherstellung der Infrastruktur gearbeitet wird. „Wir fahren immer noch über Schotterpisten“, stellt er fest und kritisiert, „dass der Wiederaufbaufonds in seiner Ausführung zu behäbig ist und es keine Lösungen gibt, die auf unsere besondere Situation herabgebrochen worden sind.“
Auf die Frage von Lars Hennemann, warum die Häuser mit den dringend gebrauchten großen Bettenkapazitäten wie das Steigenberger-Hotel oder das Dorint-Hotel so lange für ihre Rückkehr brauchen, schilderte Christian Lindner die bürokratischen Fallstricke, die für ihn selbst lediglich mit einer Teilöffnung seines Hotels verbunden sind. Und was es an Geduld braucht, wenn sich der Wiederaufbau für seine historischen Häuser dann als Neuaufbau ohne Bestandsschutz entpuppt.
Während viele der betroffenen Gastgeber aus der Branche mit ihrem persönlichen Wiederaufbau in von vielen Faktoren abhängigen unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind, wird auch die Forderung nach einem einheitlichen Konzept für den gesamten Kreis Ahrweiler, wie von Hans Stefan Steinheuer jüngst in der Rhein-Zeitung formuliert, ins Spiel gebracht. „Wir sind unterwegs, aber das geht nicht von heute auf morgen“, kommentiert der Chef des Ahrtal-Tourismus, aber er weiß auch: „Das Bewusstsein, dass wir das Ahrtal sind, muss größer werden.“
Das Stöhnen über die Bürokratie, das bei dieser Veranstaltung immer wieder herauszuhören war, stieß auch bei Innenminister Ebling nicht auf taube Ohren. Was er versprechen konnte: Gemeinsam Sand aus dem Getriebe nehmen und die Probleme mit den Praktikern an Ort und Stelle besprechen. Aber er machte auch keine falschen Hoffnungen: „Wir werden uns weiter durchbeißen müssen. Es sind schließlich Steuergelder, die hier eingesetzt werden.“ Die damit verbunden gesetzlichen Vorgaben widersprächen dem Ziel, „dass wir schnell sein wollen“.
Die Suche nach einem legitimen Ausweg aus dem Dilemma fordert an allen Ecken und Enden im Wiederaufbau heraus, beispielsweise auch im Sportanlagenbau, wo bei einer Verlagerung des Platzes eine Bauleitplanung mit öffentlicher Beteiligung vorgeschrieben ist. Das Ahrtal neu zu denken, ist eine Sache. Das auch umzusetzen, ein Weg mit vielen Hürden. Deshalb fordert der Buchautor Andy Neumann angesichts der Jahrtausendflut eine Sonderzone Ahrtal.
Wird sich die Politik für eine Änderung der planungsrechtlichen Grundlagen einsetzen? Diese Frage ging an Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt. Sie verwies auf die Maßnahmen, die schon umgesetzt wurden. „Sie zeigen uns, dass es auch schneller gehen kann und muss“, sagte sie mit viel Verständnis für die Unzufriedenheit. Es müsse einen Pakt für Beschleunigung geben für die aus ihrer Sicht wichtigste Urlaubsdestination in Rheinland-Pfalz, die nicht im Stich gelassen werden soll.
Sowohl Ebling als auch Schmitt wollen sich dafür einsetzen, dass es eine Verlängerung der Antragsfristen für die Aufbauhilfen über den 30. Juni 2023 hinaus gibt. Denn gebraucht wird Zeit statt Druck – ob es nun um die Maßnahme Nepomukbücke geht oder einen nachhaltigen Wiederaufbau im Tourismus.
Bad Neuenahr. Wie geht es mit dem Wiederaufbau im Ahrtal voran – zu dieser Frage hatten nicht nur die Teilnehmer der Podiumsdiskussion eine klare Antwort. Auch die Zuschauer der Abendveranstaltung in der Landskroner Festhalle hatten klare Meinungen zum Thema.Stimmen aus dem Publikum zur RZ-Podiumsdiskussion: Weniger Bürokratie, mehr Effizienz