Kreis Ahrweiler
Rückblick auf die Winter im Kreis Ahrweiler im 20. Jahrhundert: Als Eisschollen eine Gefahr für Brücken waren
Bis weit auf die Ufer der Ahr türmten sich im Winter 1917 die Eisschollen. Wer der Mitbürger war, der sich hier zum Foto stellte, ist leider nicht mehr bekannt.
Jochen Tarrach

Man kann es sich heute kaum vorstellen: Gefährlicher Eisgang auf der Ahr. Und doch war genau das für die Bürger in Bad Neuenahr und Ahrweiler oft Anlass zu großer Sorge. Nicht selten zerstörten bei Tauwetter die sich lösenden Eisschollen Brücken und Uferbefestigungen. Es musste sogar schon mal das Militär anrücken, um gefährliche Eisansammlungen zu sprengen.

Bis weit auf die Ufer der Ahr türmten sich im Winter 1917 die Eisschollen. Wer der Mitbürger war, der sich hier zum Foto stellte, ist leider nicht mehr bekannt.
Jochen Tarrach

Hieß es noch vor wenigen Jahrzehnten in einem bekannten Lied von Rudi Carrell „Wann wird es endlich wieder Sommer, so wie er früher einmal war“, so kann man sich über die Sommer der vergangenen Jahre mit ihren Spitzentemperaturen wirklich nicht mehr beklagen. Aber im Winter Eis auf der Ahr, daran können sich nur noch die (ur-)alten Generationen erinnern. Der immer mehr in Erscheinung tretende Klimawandel mit seinen heißen Sommern kann auch im Ahrtal nicht mehr verleugnet werden.

Dabei war der Eisgang auf der Ahr für die Menschen nicht nur ein besonderes Naturschauspiel, sondern er war auch aus wirtschaftlichen Gründen hochwillkommen. Die dicken Eisschollen wurden zersägt und zum Beispiel in Bad Neuenahr in die extra unterhalb der Hochstraße angelegten Eiskeller getragen. Teilweise bis weit in den Herbst des Jahres hinein sorgte das dort sorgfältig gestapelte Eis Stück für Stück in den Vorratskammern der großen Hotels des aufstrebenden Kurortes für die notwendige Frische – bis die elektrischen Kühlschränke aufkamen.

Die dicken Eisplatten waren ein Vergnügen für die Kinder, aber auch ein begehrtes Kühlmittel für die Hotelküchen.

Als Lebensmittel noch in Eiskellern gelagert wurden

Am Steilhang zwischen Hochstraße und Oberstraße sind noch heute zwei altersgraue, unscheinbare Gemäuer zu sehen. Sie sind aus rohen Bruchsteinblöcken in den Hang hinein gemauert und die entstandenen unterirdischen Räume sind vollkommen leer. Wann sie gebaut wurden, ist nicht mehr nachzuvollziehen, jedoch stammen sie wohl aus der Gründungszeit des Kurbades. Heute erscheinen sie völlig nutzlos, doch einst erfüllten sie eine wichtige Funktion als Eiskeller.

So sah einer der Kühlkeller zwischen Hochstraße und Oberstraße in Bad Neuenahr aus. Er existiert noch heute, wurde allerdings 2013 vom Hochwasser überspült.
Jochen Tarrach

Die wie Pilze aus dem Boden schießenden Hotels des Kurbades mit immer weiter steigenden Gästezahlen benötigten für ihre Lebensmittellager Eis zur Kühlung. Großmärkte, die täglich alle Waren frisch lieferten, gab es in der Nähe noch nicht. Elektrische Kühlschränke begannen aber erst im Jahr 1932 mit der Entdeckung des Kühlmittels „Frigen“ (eine als Kältemittel und Treibgas in Sprühdosen verwendete Kohlenwasserstoffverbindung) ihren Siegeszug rund um die Welt und es dauerte, ehe sie sich überall durchsetzten. Da war das in jedem Jahr von ganz allein kommende Eis der Ahr gerade recht. Was lag da näher, als es im 19. und 20. Jahrhundert den alten Römern nachzutun und das gefrorene Wasser der Ahr für die Kühlung zu nutzen.

Schon die Römer nutzten den Trick, Eiskeller oder natürliche Höhlen zur Lagerung von Eis oder gepresstem Schnee zu nutzen. So wurden mit großen Eissägen ganze Blöcke aus der Eisdecke herausgeschnitten, um die Eiskeller zu füllen. Damit war über Monate stets Kühlmittel vorrätig. Besonders beeindruckende Bilder und Berichte vom Eisgang sind aus dem Jahr 1917 erhalten geblieben. In einer Chronik heißt es: „Eisschollen? Jawohl, das hättet ihr sehen sollen, den Eisgang der Ahr im Februar 1917. Der wird fortleben im Gedächtnis der Ahrtalbewohner so gut wie das Kriegsbrot und die Kohleferien. Wochenlang war die Ahr wie eine weiße Landstraße gewesen, dick und fest zugefroren, stellenweise bis auf den Boden. Lastwagen hätten darüberfahren können.“

Rinnen ins Eis gesprengt

Aber das Eis auf der Ahr war eben nicht nur ein Vergnügen. Gefährlich wurde es, wenn bei Tauwetter das Eis in Bewegung kam. Gewaltige Eisschollen wurden durch die elementare Kraft des Geschiebes bis auf schier unglaubliche Entfernungen vom Ufer getragen. Es wird berichtet, dass es 1917 nur dem Einsatz von Pionieren aus Koblenz, die Rinnen in das abfließende Eis gesprengt hatten, zu verdanken sei, dass in Neuenahr an den Brücken keine Schäden eintraten.

Auch im Winter 1928/29 war die Ahr längere Zeit zugefroren. Im Winter 1946/47 rückten gar französische Besatzungstruppen an und sprengten das Eis, das den Vorbau des Kurhauses, den Gartensaal, eingerissen hatte. Doch zurück zu den Eiskellern. Die gelagerten Eisplatten konnten natürlich in den wärmeren Wintern, so wie 1883/84, den Bedarf allein nicht decken und es musste auf andere Art und Weise gekühlt werden.

Noch im Jahr 1930 wurde in der Metzgerei Esten in der Poststraße das Eis selbst hergestellt.

Erst die Eisfabriken mit ihren Kältemaschinen machten über die Jahre nach und nach eine durchgehende Kühlung der in den Kammern der Hotels gelagerten Lebensmittel möglich. Die technischen Anlagen versorgten die Hotels das ganze Jahr über zuverlässig mit Eis.

Eisfabrik in Bad Neuenahr produzierte bis in die 50er-Jahre

Auch in Bad Neuenahr gab es eine solche Eisfabrik. Sie lag an der Kreuzung Sebastianstraße/Ringener Straße in den Gebäuden, in denen später, nach dem Zweiten Weltkrieg, lange Zeit die Niederlassung der Königsbacher Brauerei und dann das Technische Hilfswerk (THW) untergebracht war. Noch Anfang der 1950er Jahre wurde dort Eis produziert und verkauft. Gerhard Knoll berichtet 1996 in der „Beuler Lupe“, der Postille des Bürgervereins Beul St. Willibrord: „Dort habe ich noch Anfang der 1950er Jahre im Sommer jeden Tag per Fahrrad eine Stange Eis für unseren privaten Eisschrank abgeholt. Einen Meter lang, 25 Zentimeter breit und 12 Zentimeter dick kostete die Stange eine D-Mark. Als ich zu Hause ankam, war die Stange allerdings schon erheblich geschrumpft.“

Wann die beiden Eiskeller an der Hochstraße letztmalig gefüllt wurden, ist leider nicht überliefert, sie existieren als Keller aber heute noch. Eis wurde aber in Bad Neuenahr auch andernorts hergestellt, so zum Beispiel in der ehemaligen Metzgerei Esten in der Poststraße. Mit der Erfindung der Kältemaschine durch Carl von Linde im Jahr 1881 eroberte zusätzlich eine völlig neue Art von Eis den Speisezettel der Hotels: das leckere Speiseeis. Zur Kühlung der Lebensmittel eignete es sich allerdings nicht und so wurden die Eisfabriken noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben. Erst dann setzten sich die heute bekannten Kühlschränke allerorts durch.

Jochen Tarrach

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