Zu Prozessbeginn zeigte sich der Angeklagte indes nur in wenigen Fällen geständig, den damals 13 Jahre alten Jungen aus der Nachbarschaft sexuell missbraucht zu haben. „Und schon gar nicht in der vom Staatsanwalt genannten Anzahl und Regelmäßigkeit“, äußerte er sich von der Anklagebank aus. Der Pensionär bezeichnete die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als „abenteuerlich“. Er habe immer ein tolles, inniges Verhältnis zu dem Jungen gehabt. Wie der Angeklagte gegenüber der Strafkammer deutlich machte, kannte er ihn quasi von Geburt an.
Das Kind, das bei seiner Oma aufwuchs, sei damals unter anderem zu ihm ins Haus gekommen, um in der Sommerzeit in seinem Swimmingpool zu baden, machte der 74-Jährige deutlich: „Natürlich hat er auch nicht selten an unserem Familienleben teilgenommen – oft haben wir zusammen abendgegessen.“ Der 74-Jährige vergleicht sein Verhalten gegenüber dem Jungen mit dem eines väterlichen Freundes, der ihm mit einer fachkundigen Massage „nur etwas Gutes tun“ wollte. Aus seiner Sicht war der hautenge Körperkontakt immerzu ein einvernehmliches Kuscheln. „Da war nichts erzwungen“, schiebt er nach der Verlesung der Anklage gleich hinterher, dass die sexuellen Handlungen nur „Zufallsereignisse“ waren.
Zudem betonte der Lokführer im Ruhestand, dass er weder homosexuell noch pädophil veranlagt sei. Und, dass die Initiative immer nur vom Jungen ausgegangen sei. Die Hose habe er sich selbst geöffnet. „Er war sehr stark erregt, sonst hätte ich gar nicht so reagiert“, meinte der Senior. Während seines gesamten Lebens habe er noch nie eine Gewalttat oder Missbrauch begangen, bekräftigte er: „Es war mir eigentlich auch zuwider, sein Glied zu massieren – hat nur ein paar Sekunden gedauert.“ Der Staatsanwalt sah das jedoch ganz anders: „Der Angeklagte hat versucht, mit dem Jungen Oral- und Geschlechtsverkehr zu vollziehen – das Opfer hat sich gewehrt.“
Da sind die Erinnerungen und das Kopfkino vergangener Tage, alles kommt wieder hoch – doch der Prozessauftakt nimmt das mutmaßliche Opfer absolut nicht mit. Mit Rückenmassagen und Streicheleinheiten habe es nach dem Baden im Pool im Wohnzimmer des Angeklagten angefangen, erklärte der heute 17-Jährige im Zeugenstand unaufgeregt und alles andere als gehemmt. Ob es allerdings im November 2016 bereits zu Missbrauchsversuchen gekommen ist, daran mag sich der Zeuge mitnichten erinnern. Unterdessen will er sich an eine unangenehme Begebenheit aus dem Sommer 2017 erinnern. Damals war er 14 Jahre alt: „Zuerst strich er mir mit den Händen über den Rücken, da hatte ich mir was eingeklemmt. Dann drängte er mich auf die Couch, zog mir die Hose runter und fingerte mir zwischen den Beinen rum.“ Auch im Schlafzimmer, im Keller auf der Sonnenbank sei es immer wieder zu hässlichen Berührungen und sexuellen Übergriffen gekommen, ist sich der Schüler sicher. Der väterliche Freund habe sich in den Momenten nackt ausgezogen und sich neben ihn gelegt. „Ich wollte aber nicht kuscheln – dann ist‘s doch passiert“, ließ er emotionslos wissen.
Von den Vorfällen habe er zunächst niemandem etwas erzählt. Selbstredend habe er für seine Leistungen Geld gefordert: „Sonst breche ich den Kontakt ab“, will der Jugendliche dem Mann von nebenan klargemacht haben. Mal habe er nach den Treffen 20 Euro, ein anderes Mal 50 oder auch 80 Euro, Wertkarten für Videospiele und auch ein Handy sowie eine Spielebox bekommen. „Ich habe ihn ausgenutzt“, hielt das mutmaßliche Opfer mit seiner Aussage nicht hinterm Berg.
Auf der anderen Seite hat der Pensionär seinerseits akribisch über die Zahlungen Buch geführt. Insgesamt seien Gelder in Höhe von 2500 Euro geflossen. „Zurückgezahlt hat er 1000 Euro“, bekundete der Angeklagte.
Der Stein kam ins Rollen, als der Vater des mutmaßlichen Opfers über unentschuldigte Schulfehltage vom Klassenlehrer seines Sohnes informiert wurde. Konsequenz: Sein Vater habe ihm gleich mal sein Handy abgenommen, erzählte der erfolglose Schüler: „Im Chatverlauf hat er dann auch was von Treffen und vom Kuscheln mit dem Nachbarn gelesen. Er wollte es genau wissen – ich habe ihm erzählt. Das Verfahren geht auf eine Strafanzeige gegen den Pensionär zurück, die der Vater des Jungen im August 2018 bei der Polizeiinspektion Remagen gestellt hatte. Mit dessen Vernehmung wird heute, 18. Juni, der Prozess am Landgericht Koblenz fortgesetzt.