Seit fast 100 Jahren tagt das legendäre „Fastelowensgericht“, eine auf humorvolle und geistreiche Art nachgestellt Persiflage auf mittelalterliche Gerichte. Schon 1929 bei der Premiere gehörten Richter, Beisitzer, Anwälte und Gerichtsdiener zum närrischen Tribunal. Stadtsoldaten schwärmten aus, um die Angeklagten abzuholen und in einen Bretterverschlag (Kittchen) zu sperren. In einem Nachttopf wurden die Strafgelder gesammelt.
Diese Tradition griffen die „Daller Spatzen“ auf. Die sechsköpfige Gruppe, seit 1992 bei zwölf Narrengerichten Garant für feinsinnigen, hintergründigen Humor, für eine geschliffene, aber auch deftige Sprache, präsentierte schlagfertige Deliquenten, einen wortgewaltigen Staatsanwalt, schräge Plädoyers des Verteidigers und einen sattelfesten Richter, hatte meist ein wenig bis viel übertrieben das kommentiert, was man sich ansonsten nur gerüchteweise oder hinter vorgehaltener Hand beim Bäcker oder Metzger erzählte.

Allen Befürchtungen zum Trotz, dass die Traditionsveranstaltung über die Wupper geht, erfolgte 2015 ein nahtloser Übergang. Das Kommando übernahmen acht „Bundesrichter“ in roten Roben. Die „Voyeure“ bestanden als hinreichend bekannte und berüchtigte Jung-Juristen ihre Feuertaufe, haben eine Menge von ihren Vorgängern gelernt und sich neumodischen Entwicklungen erfolgreich angepasst. In der inzwischen zum Gerichtssaal umfunktionierten Leyberghalle ist einiges neu und ungewohnt. Die Zuschauer werden optisch auf dem Laufenden gehalten, erdrückendes Beweismaterial wird per Beamer großflächig an die Wand geworfen. So viel steht fest: An Humor, verstecktem Hintersinn und ideenreichen Wortspielereien fehlt es überhaupt nicht. Bei aller akribischen Vorarbeit von aufmerksamen Beobachtern kommen bei dem neuen Tribunal Spontaneität und Schlagfertigkeit nicht zu kurz.

Allerdings haben sich die Zeiten stark verändert. Es wird zunehmend schwieriger, gerichtsfeste, auf Mutterwitz basierende und optisch wie akustisch optimal darzustellende Vorfälle zu finden. Es mangelt an Typen und ortsbekannten Straffälligen, wie sie in früheren Zeiten oft anzutreffen waren. Außerdem hat die Zahl derer abgenommen, die einer derartigen Gerichtsprozedur und Darstellung in der Öffentlichkeit uneingeschränkt positiv gegenüberstehen. Dennoch konnten die Voyeure über ein Dutzend Fälle präsentieren. Nicht zuletzt, weil man auf der Suche nach Übeltätern in den als minderwertig angesehenen Nachbarorten Weibern und Spessart fündig wurde.

Vor den Schranken des Hohen Gerichts erscheinen neben Exemplaren aus dem einfachen Volk auch politische Würdenträger und sogar der Fastnachtshochadel. Diesmal mussten sich mit Johannes Bell, Florian Müller und Frank Klapperich gleich drei Bürgermeister für ihre Taten verantworten. Vor den Kadi gezerrt wurde auch das amtierende Prinzenpaar, dem wegen der Gestaltung ihres Ordens mangelnde Identität mit ihrem Narrenvolk vorgeworfen wurde. Nicht verschont blieb Jochen Seifert, der einst als Daller Spatz den verdeckten Ermittler gespielt hatte. Ihm wurde zur Last gelegt, den Fund einer Elferratskappe medienwirksam publiziert zu haben, statt Hilfe zu leisten. Lokalkolorit vom Feinsten: Das ist wohl das Erfolgsgeheimnis der etwas anderen Fastnachtsveranstaltung, bei der die „Juristen“ ihre Klientel bestens kennen und die Leute aus dem Dorf meistens wissen, um was es geht. Nur weiter so, lautet die unmissverständliche Forderung an die Voyeure. Wo gibt es das noch, dass Hunderte von Menschen aller Altersstufen vier Stunden lang bei verbalgeprägten Darbietungen absolute Ruhe bewahren. Man sollte die Voyeure tatkräftig unterstützen, oder wie es der Richter formulierte: „Seid unartig und stellt in den nächsten beiden Jahren was an, den Rest erledigen wir.“
