Mit Spannung wird vielerorts diesem Sonntag entgegengeblickt, an dem sich bei der Wahl des 21. Deutschen Bundestages die politische Ausrichtung der Regierung für die kommenden vier Jahre entscheiden wird. Doch längst nicht überall ist diese Spannung mit Vorfreude gepaart. Vielmehr mehren sich die Stimmen, die mit einem möglichen Erstarken der AfD einen Rechtsruck in der Bundesrepublik befürchten. Auch Parallelen zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten werden laut, die sich nicht erst am 30. Januar 1933 mit der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler manifestierte, sondern schon in den Jahren davor ihren Anfang mit dem bewussten Schweigen und Wegschauen in der Gesellschaft nahm – wie erst jüngst eine Holocoaust-Überlebende an die Anfänge dieser Zeit erinnerte.
Auch in Adenau wird das Geschehen rund um die Bundestagswahl mit Sorge beobachtet. „Die politische Situation im Land macht vielen Angst“, fasst Gertrud Heckmann das Stimmungsbild in der Gesellschaft zusammen. Und während die Adenauerin, die gemeinsam mit Helene Seuter den Generationentreff in der Eifelstadt organisiert, dies sagt, hat sie nicht nur die Meinung von jüngeren Menschen im Blick. Vielmehr versetze die allmählich verrohende und in Teilen nach rechts abdriftende Gesellschaft insbesondere die Nachkriegsgeneration in Sorge. „Es ist eine Stimmung im Land, wie es sie schon einmal gab“, sagt Heckmann und fügt nach einem kurzen Moment des Nachdenkens hinzu: „Ich habe schwere Bedenken. Es läuft doch schon wieder in dieselbe Richtung. Es erinnert sehr an die Zeit zum Ende der Weimarer Republik.“ Während Heckmann dies sagt, schweigen die weiteren Mitglieder des Generationentreffs. Einige nicken verhalten.

Einmal im Monat finden sich die Angehörigen der Nachkriegsgeneration in Adenau für einen Nachmittag zusammen, um über die Erlebnisse im und nach dem Zweiten Weltkrieg zu sprechen. „Wir machen dies, damit diese Zeit nie in Vergessenheit gerät“, sagen sie. Insbesondere die junge Generation ihrer Enkel möchten die Senioren, die sich selbst als „vergessene Generation“ bezeichnen, mit den Schilderungen des Erlebten erreichen. Damit es nie wieder zu einem Krieg in Deutschland kommen werde, hoffen sie und haben dabei die Erlebnisse aus den Nachkriegsjahren noch deutlich vor Augen.
Erinnerungen etwa an Munition, die nach Kriegsende aufgesammelt und hoch aufgestapelt in den Straßengräben zum Abtransport gelagert worden sei. Manchmal wochenlang habe die bisweilen immer noch scharfe Munition in den Orten gelegen. Neben einem Berg aus Granaten, Phosphorstäben oder Schwarzpulver zu spielen, sei für Kinder in dieser Zeit nichts Ungewöhnliches gewesen. Und auch, dass die eigenen Häuser und Höfe zur Unterbringung der Besatzungstruppen gedient hätten, die es mit Lebensmitteln zu versorgen galt. Bis heute unvergessen ist einigen von ihnen zudem, mit wie viel Abneigung und Misstrauen den Deutschen in den Jahren nach Kriegsende im Ausland begegnet worden war. „Wir waren in den 1950er-Jahren in Paris und wollten in einem Café etwas zu trinken bestellen. Aber als die Kellner bemerkt haben, dass wir aus Deutschland kamen, haben sie sich umgedreht und uns nicht bedient“, hat Helene Seuter ein bis heute prägendes Erlebnis vor Augen.
„Die Nazivergangenheit spielte in der Schule keine Rolle. Uns wurde nur gesagt, dass die anderen Länder uns Deutsche hassen würden.“
Erinnerungen der Nachkriegsgeneration an die Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs
Während die Zeit des Dritten Reichs und der Nationalsozialisten im Ausland lange unvergessen geblieben war, hätten diese Jahre in der deutschen Nachkriegszeit kaum bis gar keine Beachtung gefunden. „Wir wurden am 20. Juli 1956 aus der Schule entlassen, aber über die Bedeutung des 20. Juli – der Tag des Attentatversuchs auf Hitler 1944 – wurde nicht gesprochen“, erinnern sich einige der Senioren. „Die Nazivergangenheit spielte in der Schule keine Rolle. Uns wurde nur gesagt, dass die anderen Länder uns Deutsche hassen würden.“
Wiederholen soll sich diese Zeit des Rechtsextremismus und des Krieges daher nicht, hoffen die Senioren und richten ihren Blick nicht nur in die Vergangenheit, sondern vielmehr auf die aktuelle politische Lage in und außerhalb Deutschlands. Die Entwicklungen in den USA und das Gebaren des US-amerikanischen Präsidenten betrachten sie ebenso mit Sorge, wie den Umstand, dass die Alternative für Deutschland in der Bundesrepublik an Zulauf gewinnt. Dennoch, in Panik verfallen wollen die Senioren nicht. Vielmehr gelte es gerade in dieser Zeit der schnelllebigen Nachrichten und übereilten politischen Aussagen, abzuwarten und Ruhe zu bewahren. Und auch ihre Lebenserfahrungen erlaubt es ihnen, mehr Gelassenheit an den Tag legen zu können. „Ich hoffe, dass diese Kriegszeit nie wiederkommt“, sagt Seuter, „Aber manchmal denke ich, wir Älteren würden mit dieser Zeit besser zurechtkommen als die Jüngeren.“
Wunsch nach Demokratie
Doch was erhoffen sich die Senioren von der Bundestagswahl? Einige Minuten lang verfallen die Mitglieder des Generationentreffs zur Beantwortung dieser Frage in Schweigen. Demokratie, das stehe selbstverständlich fest, erklären sie schließlich und sagen übereinstimmend: „Es gibt viele frustrierte Menschen in diesem Land, die für die AfD stimmen werden. Doch Alice Weidel als Bundeskanzlerin, das wird hoffentlich nicht passieren.“
Vielmehr wünschen sich die Adenauer Senioren, dass die Lebenssituation von Älteren in der Gesellschaft künftig mehr Beachtung und Gehör findet. Auch erinnern sie daran, dass die Zahl derjenigen, die von Altersarmut betroffen sind, stetig zunimmt. Gleichzeitige werde die Gruppe der Senioren aufgrund des demografischen Wandels immer größer.
Der Adenauer Generationentreff
Jeweils am dritten Donnerstag im Monat treffen sich die Mitglieder des Adenauer Generationentreffs in den Räumen der „Avenue4you – Coworking in Adenau am Nürburgring“ an der Hauptstraße 34. Die Räume werden dem Generationentreff kostenfrei zur Verfügung gestellt. Während der rund zweistündigen Treffen, die jeweils um 15 Uhr starten, teilen die Gruppenmitglieder ihre Erinnerungen an die Zeit während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Neue Teilnehmer sind immer willkommen, eine vorherige Anmeldung ist nicht erforderlich. Das nächste Treffen findet am Donnerstag, 20. März, statt. Weitere Informationen erhalten Interessierte bei Helene Seuter unter Telefon 02691/1418 sowie bei Gertrud Heckmann unter Telefon 02691/2292. clv