Mit der Beseitigung der Schäden unmittelbar nach der Flutkatastrophe nahmen auch die strafrechtlichen Ermittlungsbehörden ihre Arbeit auf. Sie gingen bis heute der Frage nach, in welcher Form diejenigen für die Flutfolgen verantwortlich gemacht werden müssen, die in der Flutnacht im Hinblick auf den Katastrophenschutz die Verantwortung für die Menschen im Ahrtal getragen haben. Allen voran ist dabei der ehemalige Landrat Jürgen Pföhler zu nennen, gegen den nun keine Anklage erhoben wird, wie die Staatsanwaltschaft Koblenz mitteilt. Wie das wohl im Ahrtal ankommt?
Landrätin Cornelia Weigand sagt dazu: „Es war wichtig, dass sich die Staatsanwaltschaft dezidiert mit der Flutkatastrophe auseinandergesetzt und versucht hat, die Geschehnisse inhaltlich in ihrer Komplexität zu erfassen. Die Ermittlungen gegen den damals politisch Verantwortlichen wurden nun eingestellt – für viele von uns Betroffenen wohl eine schmerzhafte Botschaft.“ Auch wenn diese Entscheidung sicherlich nicht für jeden befriedigend sei, so werde damit zumindest der unbefriedigende Zustand der Schwebe nach fast drei Jahren beendet. „Zugleich ist es sehr verständlich, wenn Angehörige und Hinterbliebene der Flutopfer ihre weiteren rechtlichen Möglichkeiten prüfen.“
Bei einer Katastrophe dieser Dimension hätte wohl niemand fehlerfrei agiert. Aber gar nicht zu handeln, halte ich für keine Option.
Landrätin Cornelia Weigand
Unabhängig von der strafrechtlichen Betrachtung gibt es für Weigand allerdings auch eine moralische Verantwortung. „Bei einer Katastrophe dieser Dimension hätte wohl niemand fehlerfrei agiert. Aber gar nicht zu handeln, halte ich für keine Option. Von einem Landrat oder einer Landrätin erwarte ich, in einer solchen Lage vor Ort zu sein und das in der eigenen Macht Stehende für die Menschen zu tun.“
2021 habe allen nur allzu deutlich vor Augen geführt, dass der Katastrophenschutz in der gesamten Bundesrepublik auf allen Ebenen nur unzureichend aufgestellt sei. „Ein funktionierendes und resilientes System sowie die Bewältigung einer Katastrophe können und dürfen nicht von nur einer Person abhängig sein. Wir wissen nun, dass andere Strukturen notwendig sind“, sagt Weigand. Der Kreis, das Land und der Bund arbeiten laut Landrätin seither kontinuierlich daran, dass sich die Rahmenbedingungen in allen Bereichen des Brand- und Katastrophenschutzes verbessern „und wir für eine Katastrophe dieses großen Ausmaßes besser gewappnet sind“.
Die Bewältigung großer Katastrophen kann nicht allein auf betroffener lokaler Ebene und nicht allein von Ehrenamtlichen geleistet werden, ein übergeordnetes, professionelles Monitoring und Management solcher Lagen sind notwendig.
Landrätin Cornelia Weigand
Der Kreis habe eine Stabsstelle für den Brand- und Katastrophenschutz eingerichtet, die Neustrukturierung des Verwaltungsstabes sei weitestgehend vollzogen und der Aufbau des elektronischen Sirenenwarnnetzes in den ahranliegenden Gemeinden sei abgeschlossen. „Auch die Technische Einsatzleitung als operativ-taktische Komponente wurde deutlich gestärkt – sowohl personell als auch was die technische und räumliche Ausstattung betrifft.“
Jedoch müsse landes- und bundesweit ein übergeordnetes System etabliert werden, das bei solchen Ereignissen greift. „Das bedeutet auch, dass Aufgaben besser verteilt werden und verschiedene Stellen mit unterschiedlicher Fachexpertise stärker zusammenarbeiten müssen, um Prozesse effektiver zu gestalten. Die Bewältigung großer Katastrophen kann nicht allein auf betroffener lokaler Ebene und nicht allein von Ehrenamtlichen geleistet werden, ein übergeordnetes, professionelles Monitoring und Management solcher Lagen sind notwendig.“
Ich bin tief enttäuscht, dass das Verfahren gegen Herrn Pföhler eingestellt wird. Wenn dieser Mann richtig gehandelt hätte, hätten mit Sicherheit mehr Menschen gerettet werden können.
Helmut Lassi, Ortsbürgermeister von Schuld
Das Land baue den Katastrophenschutz neu auf, unter anderem mit einem Lagezentrum für den Bevölkerungsschutz, „und kommt so auch einer unserer Forderungen nach“. Die Hoffnung auf eine übergeordnete Struktur und bessere Unterstützung seien groß.
Helmut Lussi, Ortsbürgermeister in Schuld, macht keinen Hehl aus seiner Meinung zur Entscheidung der Ermittlungsbehörden: „Ich bin tief enttäuscht, dass das Verfahren gegen Herrn Pföhler eingestellt wird. Wenn dieser Mann richtig gehandelt hätte, hätten mit Sicherheit mehr Menschen gerettet werden können. Die Katastrophe war vorauszusehen. Aufgrund der Tatsache, dass Herr Pföhler in seiner Funktion als Landrat nicht frühzeitig den Katastrophenalarm auslöste, hat er meiner Ansicht nach seine Aufgabe als Landrat verfehlt.“
Ich bin immer gegen Hexenverfolgung, und diese Schuldfrage hat in den ersten drei bis vier Wochen auch kein einziger der Betroffenen diskutiert.
Hubertus Kunz, ehemaliger Ortsbürgermeister von Mayschoß
Jemand, der kein Problem damit hat, seine Meinung zum Verhalten von Jürgen Pföhler zu äußern, ist Hubertus Kunz, damals Bürgermeister in der von der Flut stark betroffenen Gemeinde Mayschoß, die komplett von der Außenwelt abgeschnitten war und einen eigenen Krisenstab gebildet hatte, um im Chaos eine provisorische Infrastruktur aufzubauen. „Ich bin immer gegen Hexenverfolgung, und diese Schuldfrage hat in den ersten drei bis vier Wochen auch kein einziger der Betroffenen diskutiert“, so Kunz.
Aber das Abwälzen der Verantwortung auf seinen ehrenamtlichen Einsatzleiter direkt nach der Flut habe kein gutes Licht auf Pföhler geworfen. „Die politische Verantwortung hatte er gehabt“, so Kunz. „Bei der juristischen Bewertung der Schuldfrage bin ich schmerzfrei. Sie ist für mich erledigt. Er hat mit dem Leben in der Isolation jetzt schon die Höchststrafe“, so Kunz.
Ich bin von der Entscheidung mehr als enttäuscht.
Guido Orthen, Bürgermeister der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler
Den Abschluss des Ermittlungsverfahrens zur Flutkatastrophe durch die Staatsanwaltschaft kommentiert Guido Orthen, Bürgermeister der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, so: „Ich bin von der Entscheidung mehr als enttäuscht. Denn viele Menschen müssen nach wie vor die Folgen der Flut, den Verlust von lieben Menschen und Verletzungen an Leib und Seele tragen und ertragen. Sie haben sich nicht zuletzt durch ein gerichtliches Verfahren eine sorgfältige Aufklärung der Geschehnisse des folgenschweren 14. Juli erhofft.“
Die Staatsanwaltschaft hat jetzt ihre rechtliche Bewertung vorgenommen. Orthen sagt weiter: „Eine andere Entscheidung der Staatsanwaltschaft wäre aus meiner Sicht ein wichtiges Signal für die Menschen der Region gewesen. Hier wartet man noch auf die Beantwortung vieler Fragen.“
Ich hätte mir gewünscht, dass ein entsprechendes Gericht nach ausführlicher Beweisaufnahme die Schuld oder Unschuld festgestellt hätte.
Dominik Gieler, Bürgermeister der VG Altenahr
Auch Dominik Gieler, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenahr, zeigte sich enttäuscht über die Verfahrenseinstellung gegen Ex-Landrat Pföhler. Gegenüber der RZ erklärte er: „Ich hätte mir gewünscht, dass ein entsprechendes Gericht nach ausführlicher Beweisaufnahme die Schuld oder Unschuld festgestellt hätte.“
Jürgen Schwarzmann, Ortsbürgermeister von Hönningen, hätte ein Klageverfahren für wichtig erachtet. Wörtlich sagt er gegenüber unserer Zeitung: „Für alle Betroffenen im Ahrtal ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft schwer nachzuvollziehen. Ich hätte mir schon gewünscht, dass das Verfahren eröffnet worden wäre, um so in einem rechtsstaatlichen Verfahren und einer ausführlichen Beweisaufnahme die Schuld beziehungsweise Unschuld festzustellen. Die Entscheidung ist bitter und schwer zu ertragen, aber auch das muss man in einem Rechtsstaat dann aushalten können.“
Es ist ein Armutszeugnis, unfassbar und ein falsches Signal. Und es ist eine weitere Klatsche ins Gesicht derer, die einen Menschen verloren haben.
Marc Ulrich, Mitinitiator des Helfershuttles
Für Marc Ulrich, Mitinitiator des Helfershuttles und des jetzt immer noch aktiven Spendenshuttles, ist diese Nachricht „ein Schock“. „Natürlich hat man sich darüber Gedanken gemacht und befürchtet, dass das so passiert. Es ist ein Armutszeugnis, unfassbar und ein falsches Signal. Und es ist eine weitere Klatsche ins Gesicht derer, die einen Menschen verloren haben.“ Jeder wisse, dass Pföhler aus moralischer Sicht eine Schuld zu tragen habe. Dass es eine juristische Möglichkeit gebe, da rauszukommen, lasse einen am Rechtsstaat zweifeln.
Jörg Meyrer, Pfarrer aus Bad Neuenahr-Ahrweiler, stand den Menschen nach der Flut als Seelsorger zur Seite, war nah an den Schicksalen dran. Und er hat ein Buch mit dem Titel „Zusammenhalten“ über seine Erlebnisse nach der Flut geschrieben. Er sagt zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft: „Sollten die vielen Untersuchungen, Gespräche, Verhandlungen und Ermittlungen nicht zu einer Anklage führen, wird es Menschen im Ahrtal geben, die bitter enttäuscht sind. Ich persönlich kann mich nicht zum Richter über die Ermittlungen machen. Und auch nicht über Jürgen Pföhler.“ Klar sei für ihn zudem: „Wenn aus rechtlicher Sicht über Anklage oder Nicht-Anklage entschieden wird, ist das aus moralischer und menschlicher Sicht keine Entscheidung über Schuld und Unschuld.“
Für die Angehörigen der zwölf Menschen, die in der Flutnacht im Lebenshilfehaus ums Leben kamen, ist es ein trauriger Tag, der den Schmerz wieder aufleben lässt.
Ulrich van Bebber, Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe Kreisvereinigung Ahrweiler
Der Vorstandsvorsitzende der Lebenshilfe Kreisvereinigung Ahrweiler, Ulrich van Bebber, gibt zum einen zu bedenken: „Für die Angehörigen der zwölf Menschen, die in der Flutnacht im Lebenshilfehaus ums Leben kamen, ist es ein trauriger Tag, der den Schmerz wieder aufleben lässt.“ Zum anderen steht für ihn fest, dass diese Menschen hätten gerettet werden können, wenn sie rechtzeitig gewarnt worden wären.
„Bevor die Flut in der Nacht gegen 2.30 Uhr das Lebenshilfehaus in Sinzig erreichte, hatte sie bereits viele Stunden zuvor an der Ahr katastrophal gewütet und Menschenleben gekostet. Noch gegen 22 Uhr hatten Polizeihubschrauber das Drama gefilmt. Es wäre also noch Zeit gewesen, die Bewohnerinnen und Bewohner, die aufgrund ihrer geistigen Beeinträchtigungen besonderer Fürsorge bedurften, zu retten“, so van Bebber, und er ergänzt: „Juristisch können wir das Ergebnis der Ermittlungen nicht bewerten. Aber moralisch ist der Landrat schuldig. Durch rechtzeitige Warnungen wäre uns viel Leid erspart geblieben.“
Aus Respekt vor den vielen Toten wäre zumindest eine Entschuldigung dafür angebracht, dass auch der Staat versagt hat.
Ulrich van Bebber
Es sei aber zu kurz gegriffen, das Versagen nur einer Person anzulasten. „Die moralische Schuld trifft alle staatlichen Instanzen und dort verantwortlichen Akteure, die für den Katastrophenschutz und dessen Versagen verantwortlich waren. Das sind nicht nur die kommunalen Instanzen, sondern auch die Akteure auf Landesebene.“ Dabei gehe es nicht nur um Verantwortung im streng juristischen Sinne, sondern auch um moralische und politische Verantwortung. „Hier hätte man erwarten können, dass die Verantwortlichen der Flutnacht auch zu ihrer Verantwortung stehen. Aus Respekt vor den vielen Toten wäre zumindest eine Entschuldigung dafür angebracht, dass auch der Staat versagt hat“, meint van Bebber.
Die Stadt Sinzig möchte sich nicht zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz äußern. Bürgermeister Andreas Geron selbst befindet sich im Urlaub.