Budapest
Oberwinterin kümmert sich in Budapest um Flüchtlinge

Die angehende Medizinerin Maria Schütte - hier mit ihrem Paschtu-Dolmetscher - hilft derzeit im ungarischen Budapest Flüchtlingen.

Budapest. Die junge Medizinerin Maria Schütte aus Oberwinter hat das Flüchtlingselend mitten in der zivilisierten ungarischen Metropole Budapest ganz aktuell vor Augen. "Was hier geschieht, ist an Ignoranz und Unmenschlichkeit kaum zu überbieten, das ist eine humanitäre Katastrophe", beschreibt per Skype die junge Frau.

Budapest. Die junge Medizinerin Maria Schütte aus Oberwinter hat das Flüchtlingselend mitten in der zivilisierten ungarischen Metropole Budapest ganz aktuell vor Augen. „Was hier geschieht, ist an Ignoranz und Unmenschlichkeit kaum zu überbieten, das ist eine humanitäre Katastrophe“, beschreibt per Skype die junge Frau.

Sie hat in den vergangenen zwei Wochen den Ansturm Tausender Flüchtlinge am Budapester Bahnhof Keleti und das komplette menschliche Versagen der Verantwortlichen erlebt. Maria Schütte studiert im letzten Semester in Budapest Medizin. Sie hat mit Gleichgesinnten ihre Kommilitonen mobilisiert, sich um die vielen Kranken und Verletzten zu kümmern. Die extreme Lage beschreibt sie wie folgt: „Darunter sind viele Säuglinge und Kleinstkinder mit hohem Fieber, hochschwangere kranke Frauen. Ich habe einen Mann mit Bauchschuss und einen kleinen Jungen mit einem teils abgerissenen Ohr behandelt. Wir arbeiten als Freiwillige rund um die Uhr – mittlerweile im Schichtdienst -, und man lässt uns hier völlig alleine ohne jegliche Hilfe.“

Zwei Wochen lang habe es für 4000 Menschen nur vier Dixi-Toiletten gegeben, mittlerweile seien vier weitere aufgestellt worden. Es gebe keine Duschen – die hygienischen Bedingungen „sind für sich genommen schon eine Katastrophe, die der Ausbreitung von Epidemien Vorschub leistet“. Die Wut bei der 24-Jährigen und ihren Kommilitonen ist groß. Aus der Not heraus, weil niemand, wirklich niemand ihnen von staatlicher Seite hilft, haben sie auf Facebook mit „Volunteers for Refugees at Budapest“ und „Istar – International Students“ eine Hilfsaktion ins Leben gerufen, auf der sie auch ihre Eindrücke auf Video zeigt.

Maria Schütte kann das Desinteresse der Regierung an der Unterstützung durch ausländische Hilfsorganisationen nicht fassen. Es gibt in Keleti keine Notunterkünfte in Zelten, keine Ärzte ohne Grenzen, kein DRK, keine Malteser, keine Caritas. Täglich kommen Tausende neue Flüchtlinge an. „Hier liegen Kleinstkinder auf dem blanken Boden – Infektionen sind vorprogrammiert. Es ist kalt, und es regnet. Ein nierenkranker Mann, der drei Tage keine Dialyse bekommen hatte, wäre fast gestorben.“

Sie sagt weiter: „Wir arbeiten mit den notdürftigsten Mitteln, desinfizieren mit Hygienetüchlein aus der Drogerie, schicken Trupps los, um auch das Notwendigste zum Essen zu besorgen. Es ist absolut unfassbar, was sich hier abspielt.“

Vorige Woche ist der erste Schwung von 5000 Menschen auf der Flucht in Bussen abtransportiert worden. „Viele hatten zuerst kein Vertrauen, in die Busse zu steigen, nachdem Tage zuvor die ungarische Regierung mehrere Züge, die vermeintlich zur österreichischen Grenze fahren sollten, in die Flüchtlingslager Bicske und Györ bei Budapest hatte umleiten lassen. Wir haben uns das Lager in Bicske angesehen, es ist in Ordnung und wirkt wie eine kleine Gemeinde. Da fehlt eigentlich nur noch die Kirche“, so die junge Frau. Doch die Flüchtlinge wollen sich nicht in Ungarn registrieren lassen. Daher sind Hunderte nach einer Woche Ausharren am Bahnhof Keleti einfach losgelaufen.

„Die Regierung hat dann nachts Busse geschickt, um sie zur Grenzstelle Hegyeshalom an der österreichischen Grenzstelle zu bringen, doch die Leute haben Angst“, so die junge Medizinerin. Sie und die anderen Helfer seien in der Nacht an der Autobahn entlanggefahren und -gelaufen, hätten dort kleine Zelte notdürftig im Regen aufgebaut, damit die Menschen irgendeinen provisorischen Schutz hätten. Am selben Tag fand ein Fußballspiel in Budapest statt, und viele Flüchtlinge hatten sich vor Hooligans versteckt aus Angst, von ihnen verprügelt zu werden.

Es fehlt immer noch vor allem an Informationen wie Flyer auf Farsi, Paschtu, Arabisch und Englisch, die den Flüchtlingen in irgendeiner Form Anleitung für die Reise ab der ungarischen Grenze oder wenigstens vom Bahnhof Keleti geben würden.

Im ungarischen Röszke, unweit von Keleti, habe sie erlebt, wie durch ihre Bitte und die einer befreundeten Hebamme zwei vier und acht Wochen alte Babys von der Polizei als Erste in den Bus gesetzt wurden, aufgrund von Schwäche. Diese Kinder wären sonst die ganze Nacht mit ihrer Familie auf dem kalten, offenen Feld geblieben. „Dort sind allerdings jetzt endlich seit zwei Tagen Ärzte ohne Grenzen vor Ort und haben in Windeseile ein Zelt auf dem Feld aufgebaut und mit einem Schlauch per Aggregat warme Luft hineingepumpt. Am Keleti werden Nahrung, Decken und Isomatten ausschließlich per Spenden finanziert. Wir müssen genau überlegen, wem wir sie geben, weil es immer noch zu wenig sind. Der Flüchtlingsstrom bleibt konstant“, erzählt die Medizinerin, die derzeit ihr praktisches Jahr absolviert.

Dass sie derartige Praxiserfahrungen sammeln muss, hätte sie mitten in Europa nie für möglich gehalten. „Ich möchte gar nicht wissen, wie es auf serbischer Seite aussieht, da kann es kaum besser sein, aber wir werden uns das in den nächsten Tagen ansehen“, sagt sie. Die ungarische Regierung unter Victor Orban habe kein Interesse daran, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. „Aber sie sollte sich trotzdem verpflichtet fühlen, eine humanitäre Grundversorgung zu organisieren oder wenigstens zuzulassen“, so die angehende Ärztin aus Oberwinter.

Es würden aber nun mehr und mehr Einheimische, die sich von der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge nicht mehr beeindrucken ließen und dennoch Hilfe leisteten. „Wir sind alle gespannt, was ab dem 15. September passiert, das Militär baut sich bereits unter dem Titel ,Übung‘ an der Grenze auf“, sagt Maria Schütte, die noch am Vorabend die Lager in Röszke besucht hatte. Maria Schüttes Video-Tagebücher finden Sie im Internet unter www.ku-rz.de/schuette sowie www.ku-rz.de/schuettevideo2

Von unserer Mitarbeiterin Judith Schumacher

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