Martin-Luther-Kirche im Kurviertel ist massiv beschädigt - wie geht es weiter mit Sozialprojekt Kerit?
Neues Innenleben für das Wahrzeichen: Martin-Luther-Kirche im Kurviertel ist massiv beschädigt
Berge voll Schlamm mussten aus der Martin-Luther-Kirche im Juli geschafft werden. Foto: Nico Meyer
Nico Meyer

Bad Neuenahr. Einem zeitlichen Druck will sich die evangelische Kirchengemeinde Bad Neuenahr nicht aussetzen, wenn es um den Wiederaufbau der von der Flut innen schwer beschädigten Martin-Luther-Kirche geht. Jede Entscheidung soll wohlüberlegt sein. Da sind sich Pfarrer Thomas Rheindorf und Tina Bollenbach, die als stellvertretende Gemeindeamtsleitung die Finanzen und das Bauen verantwortet, einig.

Berge voll Schlamm mussten aus der Martin-Luther-Kirche im Juli geschafft werden. Foto: Nico Meyer
Nico Meyer

Die Gemeinde hat nach der Flut dringendere Dinge zu regeln als die Renovierung der exponiert im Kurviertel vis-a-vis von Spielbank und Steigenberger Hotel direkt an der Ahr und der weggespülten Kurgartenbrücke liegenden Kirche.

Die Sakristei, die Kellerräume mit WC und Heizung und Materialraum, das Kirchengestühl, aber auch ein sehr guter Flügel, Holzinstrumente und eine Truhenorgel sowie alle über 200 Gesangbücher sind nicht mehr verwendbar, bilanzierte Pfarrer Friedemann Bach. Die Orgel wurde gerettet, während sich aggressiver Schimmel breitmachte und bekämpft wurde. Im Betonboden der 1872 erbauten neugotischen Kirche, die 1958 innen völlig neu gestaltet wurde, klaffen große Löcher. Derzeit ist das Gebäude ein Rohbau, der erst einmal trocknen muss.

Exponiert und ortsbildprägend, ein geschütztes Kulturdenkmal ist die protestantische Kirche inmitten einer sonst katholischen Kurstadt. Die einst von protestantischen Preußen finanzierte Kirche wird gerne von Kurgästen und ihren Tagesbesuchern sowie Touristen besucht, hat die Gemeinde festgestellt. Gerne werde hier eine Kerze entzündet, gerne etwas in das Gästebuch geschrieben. Dieser kurzen Suche nach Spiritualität und Kontemplation müsse beim Wiederaufbau Rechnung getragen werden. Und der Tatsache, dass die große Kirche „nur an Heiligabend und bei unseren wundervollen Kirchenkonzerten voll ist“, wie Pfarrer Rheindorf herausstellt. Bei der Planung werde man sich auch nicht von einen Datum wie etwa dem 150. Jahrestag der Eröffnung im Jahr 2022 treiben lassen. Noch kein Datum, aber eine Zahl, die steht: Auf Kosten von bis zu 900 000 Euro wird der Wiederaufbau veranschlagt.

Ein paar Straßen weiter hat die Ahrflut das Gemeindeamt und das erst vor einigen Jahren renovierte Gemeindehaus in der Wolfgang-Müller-Straße überflutet und verwüstet sowie unter anderem das komplette Archiv vernichtet. Die Aufräumarbeiten sind abgeschlossen, die Renovierung nimmt ihren Anfang. Es muss einige Zeit lang zusammengerückt werden. Die drei vermieteten Wohnungen sind wieder bewohnbar. Im Mehrgenerationenhaus gegenüber sind laut Bach alle Gruppenräume des sechsgruppigen Kindergartens durch das Hochwasser geflutet worden. Die „Arche“ zieht den Winter über in Container nebenan.

Ein aktuelles Kernanliegen der 6000 Mitglieder zählenden Kirchengemeinde aus den Orten Bad Neuenahr, Ahrweiler, Altenahr, Grafschaft, Schalkenbach und Königsfeld ist das Sozialprojekt Kerit. Es bestand aus der offenen Begegnungsstätte in der Schülzchenstraße 11 sowie dem Secondhandladen in der Ahrhutstraße 24 in Ahrweiler. Beide hat die Flut zerstört.

Nach einer Notunterkunft in einem Bürocontainer auf dem Moses- Parkplatz ist die Begegnungsstätte in den Kirchsaal der laut Rheindorf vom Hochwasser „unangetasteten“ Friedenskirche in Ahrweiler (Burgunderstraße 2) eingezogen. Hier gibt es montags bis freitags einen Mittagstreff für Alleinstehende, Einsame, Obdachlose mit Hilfen und Gesprächen.

Der Laden in der Altstadt in der Ahrhutstraße war erst am 1. Juli mit Kleidung, Kinderspielzeug und Haushaltswaren eröffnet worden. „Es gab viele Gäste“, beschreibt Pfarrer Rheindorf, der das von Ehrenamtlichen betreute Projekt Kerit als „einen Ort von Gastfreundschaft und praktischer Hilfe, ein Ort zum Dasein und Mitmachen“ vorstellt.

Pfarrer Thomas Rheindorf und Tina Bollenbach, für Finanzen und Bauen zuständig, vor dem unversehrten großen Kreuzigungsmosaik in der ansonsten entkernten Martin-Luther-Kirche.
Frank Bugge

Der Präses der evangelischen Kirchen im Rheinland, Thorsten Latzel, hat bei seiner Visitation im Hochwassergebiet auch Kerit besucht. „Der Vermieter will alles wieder herrichten“, hält sein Bericht fest. Darauf hoffen die Kerit-Mitarbeiter, die derzeit mit ihrem Secondhandladen in die Pop-up-Mall in Bad Neuenahr umgezogen sind und dort Kleidung für kleines Geld anbieten.

Die Kirchengemeinde, die vor Ort für ihre Immobilien selbst verantwortlich ist, hat Architekten für die Schadensbehebung engagiert. Unterstützung kommt zudem vom Bauamt der Landeskirche in Düsseldorf. Bei der Finanzierung setzt man auf den Wiederaufbaufonds, Spenden und Hilfe der Landeskirche. Für einige Immobilien gibt es sogar eine Elementarversicherung. Für die Martin-Luther-Kirche war eine solche ausgeschlossen worden.

In der evangelischen Kirchengemeinde Adenau wurden keine Sachschäden an kirchlichen Immobilien registriert, ebenso wie in der evangelischen Gemeinde Remagen-Sinzig. Hier konnten und können sich Haupt- und Ehrenamtliche auf die Hilfe für die Menschen konzentrieren.

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