Aber von vorn: Werner Schüller, dessen Gattin eine geborene Schäfer ist, hatte im Schäferschen Familienarchiv ein Gedicht gefunden. „Ein Gruß aus dem Ahrtal“ hatte der Winzer Hermann Schäfer sein Anfang der 1900er-Jahre verfasstes Loblied auf das heimatliche Ahrtal betitelt und es zwecks Veröffentlichung bei der „Ahrweiler Zeitung“ eingereicht. Dort wurde es kurze Zeit später in der Ausgabe vom 21. Januar 1904 abgedruckt.
Mondlandschaft statt “Schöner Strand"
Mehr als ein Jahrhundert später fand es Eingang in das Heimatlesebuch von Werner Schüller und erweckte dort die Aufmerksamkeit von Gisbert Stenz. Der Ahrweiler Komponist, Musiker und Dirigent las es und beschloss, dieses volkstümliche Gedicht zu vertonen. Allerdings waren die poetischen Zeilen inzwischen Geschichte, denn aus dem „gottgesegneten Stückchen Welt“ Ahrtal war im Juli 2021 ein Katastrophengebiet geworden, und der „schöne Strand der Ahr“ glich inzwischen eher einer Mondlandschaft. „Ich sagte mir: so kann man das nicht stehen lassen. Heute ist das Ahrtal kaputt. Und deshalb schrieb ich eine zweite Strophe,“ erzählt Stenz.
Der Ahrweiler Winzer Hermann Schäfer drückte vor nunmehr 118 Jahren seine Gefühle beim Anblick des Flusstales, der Weinberge und bewaldeten Hänge mit dem Refrain aus: „Sei mir gegrüßt mit Jubelklängen, du Tal der Ahr mein Heimatland.“
Hermann Schäfer war ein volkstümlicher Mann. Da kann man sein Gedicht doch nicht mit einer Kunstmelodie vertonen.
Gisbert Stenz
Die Liebe zum Tal und die Heimatverbundenheit empfinden viele Ahrtaler auch ein Jahrhundert später noch. In der neuen Strophe von Stenz hatten die Jubelklänge im Refrain keinen Platz mehr. Hier heißt es passender: „Sei mir gegrüßt mit Hoffnungsklängen, du Tal der Ahr, mein Heimatland.“ Das trifft die aktuelle Stimmung besser.
Ganz bewusst hat Komponist Stenz dem Gedicht eine Melodie gegeben, die eingängig und einfach mitzusingen ist: „Hermann Schäfer war ein volkstümlicher Mann. Da kann man sein Gedicht doch nicht mit einer Kunstmelodie vertonen,“ begründet er.
Nur als Notenblatt
Die Sopranistin Alexandra Tschida stellte das Ahrtal-Lied im Rahmen eines Open-Air-Konzertes in Ahrweiler der Öffentlichkeit vor. Es waren an diesem Nachmittag zahlreiche mehr oder weniger bekannte Lieder über die Ahr und den dortigen Wein zu hören. Aber das von Stenz vertonte und ergänzte alte Gedicht des Winzers Hermann Schäfer hat ein Alleinstellungsmerkmal: es schlägt den musikalischen Bogen über ein ganzes Jahrhundert und holt den altertümlichen Begriff der Heimatverbundenheit in die herausfordernde Gegenwart.
Bisher liegt das Werk nur als Notenblatt vor und wurde ein einziges Mal beim Konzert dem Publikum vorgetragen. Wann man es wieder anhören kann – live, auf einem Tonträger oder im Internet – ist bisher noch völlig offen.