Dernau
Mutmacher in Dernau nach der Flut: Bürgermeister Alfred Sebastian lässt los
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Der wiederaufgebaute Dorfplatz in Dernau ist ein Projekt, dass drei Jahre nach der Flut vorzeigbar ist. Ansonsten dauert der Wiederaufbau für Bürgermeister Alfred Sebastian viel zu lange.
Beate Au

Wenn Alfred Sebastian mit seinem Elektro-Ei Twizy durch Dernau flitzt, wird er oft angehalten. Als Bürgermeister ist er seit der Flut ständig gefragt – als Krisenmanager, Ratgeber, Tröster. Doch bald ist für ihn Schluss. Zur Kommunalwahl wird der 69-Jährige nicht mehr antreten.

„Ich freue mich auf das Ende des Drucks. In dem Alter brauche ich das nicht mehr“, sagt Alfred Sebastian mit Blick auf Wiederaufbauprojekte wie Sportanlage und Dorfwärme, die noch viel Kraft kosten werden, weil der Weg durch die Genehmigungsverfahren steinig und mühsam ist. „Es dauert“, stellt Alfred Sebastian fest, der seit fast drei Jahren für den Wiederaufbau kämpft in einem Dorf, in dem die Spuren der Flut noch deutlich zu sehen sind.

Dabei ist Sebastian als Bauingenieur, der als Regierungsbaudirektor und stellvertretender Leiter der Straßenbauverwaltung Euskirchen gearbeitet hat, erfahren im Umgang mit Behörden. „Infrastruktur ist mein Metier“, sagt er. Nach der Flut und bis zum heutigen Tag habe es sich ausgezahlt, sich auszukennen mit der öffentlichen Verwaltung. Seit 2020 ist Sebastian in Rente, das Bürgermeisteramt ist seit der Flut 2021 zum Vollzeitjob geworden.

Erst Wahlsieger – dann der Bruch mit der CDU

Bei der Kommunalwahl 2009 wurde Sebastian, der zuvor zehn Jahre erster Beigeordneter in der Gemeinde war, als Nachfolger von Manfred Wolff zum Bürgermeister von Dernau gewählt. In der Stichwahl hatte sich Sebastian, der ohne Nominierung seiner Partei angetreten war, gegen die CDU-Kandidatin Ingrid Näkel- Surges durchgesetzt. 2014 erhielt er 91,63 der abgegebenen Stimmen – ein starkes Wahlergebnis. Danach trat er nach 34 Jahren aus der CDU aus.

Auslöser war die Wahl von zwei CDU-Mitgliedern zu Beigeordneten. Sebastian war aber der Meinung, dass der Freien Bürgerliste (FBL) als zweistärkster Fraktion im Rat auch ein Beigeordneter zustehe. „Die CDU war nicht mehr meine Partei“, so Sebastian, der dafür bekannt ist, dass er kein Blatt für den Mund nimmt und streitbar ist. Nach der Flut war er auch für die Medien ein gefragter Ansprechpartner, weil er die Probleme offen angesprochen und den Finger in die Wunde gelegt hat.

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Mit dem Elektro-Ei, das nach der Fölut gesponsert wurde, ist Alfred Sebastian oft im Weindorf unterwegs. "Welcher Bürgermeister hat schon ein Auto mit Flügeltüren", scherzt er.
Beate Au

Was ihm als Bürgermeister immer besonders am Herzen lag, war der Ausbau des Straßennetzes, der Ausbau des Sportplatzes zu einer modernen Anlage und die Neugestaltung des Weinbrunnenplatzes – „letzteres ein sehr umstrittenes Projekt“, erinnert sich Sebastian. Es gab einen Bürgerentscheid mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für diese Pläne. Die Flut ließ von all dem, worauf er stolz sein konnte, nichts mehr übrig. „Der Festplatz war verschwunden, und auf dem Sportplatz stand 1,50 Meter hoch der Schlamm. Das hat schon weh getan“, schildert Sebastian die Momente, in denen er am Tag danach zum ersten Mal das Ausmaß der Zerstörung sah in einem Dorf, das zwei Mal die Goldmedaille beim Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ gewonnen hat.

Er selbst war ebenfalls betroffen. „Das Wasser stand zwei Meter hoch im Wohnzimmer“, so Sebastian. Trotzdem bleibt er präsent, verbreitet mittendrin im Chaos Optimismus. „Zwei Mal pro Tag haben wir uns in der Kirche mit der Blaulichtfamilie als Krisenstab getroffen, um erste Schritte zu organisieren, Aggregate zu beschaffen und vor allem Wasser zu organisieren“, erzählt Sebastian. „Dann kam die Welle der Helfer, die auch strukturierte werden musste.“ Bei allem Elend und Leid, das ihn umgab, habe er sich auf die Frage fokussiert: Wie kommen wir weiter? Zwischendurch war er zum Kraft tanken einfach mal eine Woche weg im Urlaub.

Bürokratie macht Bürgermeister mürbe

Mit dem, was seitdem erreicht wurde, ist Sebastian nur bedingt zufrieden. Während die Bezuschussung durch das Land gut laufe, bremsten Genehmigungsverfahren und Bürokratie. Nach dem einstimmigen Beschluss im Gemeinderat, den Sportplatz nicht mehr an der alten Stelle aufzubauen, gebe es jetzt Pläne, eine große Fläche auf der Höhe bei Esch für das Projekt zu aktivieren. „Doch für diesen Standort müssen wir den ganzen Fackelzug der Genehmigungsverfahren durchlaufen – vom benötigten Zielabweichungsverfahren über die europaweite Ausschreibung für die Ingenieurleistungen bis hin zur Baugenehmigung. Das kann Jahre dauern“, so Sebastian, dem die Vereine bereits zutragen, dass ihnen die Sportler laufen gehen. Der Druck sei enorm.

Für Sebastian ist es wichtig, im Fokus zu bleiben. „Wir werden noch zehn Jahre viel zu tun haben“, sagt er. Drei Jahre nach der Flut habe man noch nicht viel vorzuweisen. Der Dorfplatz sei fertig, die Straßenbeleuchtung ebenfalls, und vieles sei angestoßen – zum Beispiel die Dorfwärme für Dernau, ein 18-Millionen-Euro-Projekt, für das es eine Förderzusage über Zuschüsse von 60 Prozent von Land und Bund gebe, dessen Realisierbarkeit aber noch an der Frage hänge, ob es nachweislich wirtschaftlich betrieben werden kann.

Seinem Nachfolger rät Sebastian, eng mit der nach der Flut gegründeten und entlastenden Wiederaufbaugesellschaft zusammenzuarbeiten. Für die FBL tritt der 34-jährige David Fuhrmann an, für die CDU der 56-jährige Udo Sebastian – nicht verwandt mit Alfred Sebastian.

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