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Mit den Gedanken in der Ukraine: Wie Kriegsflüchtlinge Weihnachten an der Ahr erleben
Feiern Weihnachten fern ihrer Heimat (von links): Inna Sushko mit Alina (2), Anicia,Iryna und Mariana Hrabar, Mariia Korobka mit Hund Eliot Hervi Spector, Tetiana Kozukhko mit Sohn Sergii. ÖFH-Vorsitzender Werner Rex und Dolmetscherin Maryna Balan unterstützen.
Judith Schumacher

Weihnachten wird für Ukrainer, die nach Deutschland vor dem Krieg in ihrer Heimat geflüchtet sind, ein anderes Fest sein. Die ohnehin hohe emotionale Belastung durch das Zurücklassen von Familienangehörigen und Freunden, die gerade ohne Strom, bei bitterkalten Temperaturen ohne Heizung oder Internet in zerbombten und zerstörten Städten und Dörfern ausharren, ist in diesen Tagen besonders groß.

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Auch wenn in der Ukraine die orthodoxen Christen Heiligabend nach dem julianischen Kalender erst am 6. Januar begehen, so werden die Geflüchteten in dieser Adventszeit mit den deutschen Gepflogenheiten konfrontiert. Sie haben Weihnachtsmärkte besucht, sehen die Auslagen in den Geschäften. Viele von ihnen werden Heiligabend am 24. Dezember auch als Zeichen der Verbundenheit mit den deutschen Helfern begehen. Einige von ihnen im Kreise neuer Familien, die fremd sind und manchmal selbst in der Flutnacht im Ahrtal nahezu alles verloren haben.Die RZ unterhielt sich mit sieben der rund 400 Flüchtlingen aus der Ukraine im Kreis Ahrweiler: Mit dabei: Maryna Balan, die als Dolmetscherin für die Ökumenische Flüchtlingshilfe Rhein-Ahr mit deren Vorsitzendem Werner Rex tätig ist. Geht es um die Frage, wie sie Weihnachten verbringen, fließen Tränen.

Mutter nicht mehr zu erreichen

Wenn Maryna Balan zu Weihnachten das traditionelle Festgericht Kutja zubereitet, eine nahrhafte Süßspeise aus gekochten Weizenkörnern, Zucker, gemahlenen eingeweichten Mohnkörnern, Walnüssen, Rosinen und Honig, so sind ihre Gedanken ganz fest bei ihrer Familie in Odessa: ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer Schwester, die zum Zeitpunkt des Gesprächs Mitte Dezember weder Strom noch Heizung haben. Eine Woche zuvor hatte sie mit ihrer Mutter telefoniert. Seither erreicht sie sie nicht mehr. „Das, was nach den Drohnen- und Bombenangriffen wieder hergerichtet werden konnte, wurde durch erneute Drohnenangriffe wieder zerstört. Bis zum 27. Dezember wird es die schlimmste Zeit. Wir haben Informationen darüber, dass es in dieser Zeit zu vielen Bombardements kommen wird“, sagt Maryna Balan. ÖFH-Vorsitzender Werner Rex bestätigt dies: „Das ist erklärtes Kriegsziel.“

Dem Krieg entronnen, nur durch einen Hilferuf in einem sozialen Netzwerk vermittelt, nicht wissend, wo sie mit ihren beiden Töchtern Mariana (12) und Alicia (10) landen wird, erlebte die studierte Psychologin und Designerin Iryna Hrabar (37) große Solidarität von Menschen im Ahrtal, die durch die Flut schlimm betroffen waren. Die Familie des Weinguts Kriechel ist nun ihre Familie, mit der sie Weihnachten feiern werden. Iryna war über Polen aus Boryspil, 20 Kilometer von Kiew entfernt, geflohen. In Boryspil wurde im März der internationale Flughafen von den Russen bombardiert. „Um das zu betonen: kein Militärflughafen“, ergänzt Werner Rex.

Von Warschau nach Köln

Iryna bekam über Facebook die Nachricht, dass sie ein Ticket von Warschau aus nach Köln lösen solle. Dort wurde sie mit ihren Kindern von Steffi Kriechel und ihrem Ehemann abgeholt. „Ich hatte sie da das erste Mal gesehen, wir wohnen in der Ferienwohnung der Kriechels, jetzt feiern wir zusammen Weihnachten – ich glaube, dass die Menschen, die im Ahrtal die Flut überlebt haben, deshalb so viel Mitgefühl haben, weil sie uns verstehen“, sagt Iryna, deren Ehemann am zerstörten Flughafen in ihrem Heimatort beim Bodenpersonal arbeitete.

Irynas Töchter besuchen die Realschule des Calvarienbergs. Mariana möchte selbst erzählen. Sie spielt gern Klavier und malt. Sie hat drei Freunde. Das Malen hat ihr kürzlich den Sieg beim Wettbewerb der Unfallkasse die Urkunde von Bildungsministerin Stefanie Hubig eingebracht. In Ahrweiler fühlt sie sich wohl. Nur vermisst sie ihre Freunde, den Vater und ihre Großeltern. Aber sie freut sich, dass ihre neue Schule eine Spendensammlung für ukrainische Kinder veranstaltet hat, an denen sich auch viele Bekannte der Familie Kriechel beteiligt haben. Das 140 Kilogramm schwere Hilfspaket mit Thermojacken, kleinen Laternen, Taschenwärmern, Kerzen und Ladegeräten soll noch vor Weihnachten dort ankommen.

Ehemann kämpft an der Front

Für Mariia Korobka, die mit ihrem neunjährigen Sohn Danylo geflohen war, ist es zurzeit besonders schwer. Und dass obwohl sie von der ebenfalls schwer von der Flutkatastrophe betroffenen Familie des Ahrweiler Schuhhauses Schüller so sehr unterstützt wurde. Mariias Ehemann kämpft an der Front im Donezk vor dem russisch besetzten Luhansk. Sie hat nur selten, ein bis zweimal im Monat, Kontakt zu ihm. Ein Telefonat dauert maximal drei Minuten. „Er schickt, wie sehr viele Soldaten, nur ein Pluszeichen was heißt, ich bin noch am Leben“, sagt die 40-Jährige. „Es hat dort schlimme Gefechte gegeben“, ergänzt ÖFH-Vorsitzender Werner Rex.

Mariia Korobka hat bereits die zweite Flucht hinter sich. Zuerst im Jahr 2014 aus dem von Russen besetzten Luhansk nach Kiew und jetzt im Frühjahr nach Kriegsausbruch. Mit ihrer Mutter und ihrem Bruder, die in Luhansk zurückblieben, hat sie nur ganz selten Kontakt. „Es ist zu gefährlich für die Familie“, sagt sie.

Deutschkenntnisse aus Integrationssprachkurs

Obwohl sie erst im März nach Bad Neuenahr-Ahrweiler kam spricht sie recht gut Deutsch. Die studierte Soziologin, die jetzt ihre Deutschkenntnisse, die sie in einem Integrationssprachkurs der Kreisvolkshochschule erworben hat, als Aushilfe in einer Bad Neuenahrer Bäckerei vertieft, ist glücklich, dass sie von der Ahrweiler Familie Schüller solche Rückendeckung hat. Thomas und Claudia Schüller und ihre Familie helfen wo sie können. Thomas Schüller geht etwa mit Mariias Sohn Danylo die Hausaufgaben durch und hat mit dafür gesorgt, dass der Junge beim Aloisiusfest der Ahrweiler Schützen in voller Montur der Junggesellen mit aufgelaufen ist. Die Frau seines Bruders hat alles für Mariias geliebte Bulldogge Eliot Harvi Spector besorgt, die sie aus dem Kriegsgebiet retten konnte – inklusive einem gestrickten Pullover, in dem auf der einen Seite die ukrainische, auf der anderen die deutsche Flagge zu sehen ist.

Zusammen mit den Schüllers, ihrer Freundin Oksana, Patentante ihres Sohnes, waren sie auf dem Weihnachtsmarkt, wie alle der Teilnehmer der Gesprächsrunde. Mariia Korobka lebt mit der Patentante in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, die sie von Anastasia Gaiduk, einer weiteren Akteurin im Netzwerk der ÖFH, vermittelt bekam. Anastasia Gaiduk war Deutschlehrerin in Luhansk, ihr Ehemann hat als Arzt in der Orthopädie des Krankenhauses Maria Hilf gearbeitet. Sie war eine der ersten, die hier ihren ukrainischen Landsleuten Deutschunterricht erteilt hat.

Küchenhilfe in Bonner Hotel

Mit in der Runde ist auch die Ingenieurin für Eisenbahnbau Inna Sushko aus dem umkämpften Kharkiv. Sie floh mit ihren Kindern Alina (2) und Tina (10) und einer Tasche als Gepäck. Ihr Ehemann, ebenfalls Ingenieur, arbeitet zurzeit noch in einer KfZ-Werkstatt in Kharkiv. Sie wurde von einem älteren Ehepaar im Kreis Ahrweiler quasi adoptiert. Tochter Tina besucht dank der Unterstützung einer ukrainischen Deutschlehrerin die Realschule in Niederzissen.

Ebenso sitzt der 42-jährige Softwareprogrammierer Sergii Kozuhko, alleinerziehender Vater eines Zehnjährigen, der dank eines zugewandten Vermieters in Bandorf lebt, mit dabei. Er arbeitet als Küchenhilfe in einem Bonner Hotel und hat seine 67-jährige Mutter Tetiana aus Kiew nachgeholt. Sohn Ivan besucht das Are-Gymnasium in der Kreisstadt.

Sie alle sind sich einig. Weihnachten feiern sie mit ihren neuen Freunden in Deutschland, die ihnen Rückhalt geben. Wenn irgend möglich, werden sie online oder wie auch immer mit ihrer Familie Kontakt halten. Judith Schumacher

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