Wie Mathias Kirst nach Hausten kam
Misere in der Kindheit: Beliebter Dorfschulmeister in Hausten hatte oft nichts zu essen
Dorfschulmeister Mathias Kirst wurde 80 Jahre alt und starb 1918 in Hausten. Die Aufnahme zeigt ihn mit Ehefrau Maria Catharina geb. Hilger aus Hausten und den beiden Kindern Anna und Johann. Repro: Hans-Josef Schneider
Hans-Josef Schneider (Repro)

Mathias Kirst war 41 Jahre lang Lehrer in Hausten und starb dort 1918 im Alter von 80 Jahren an der Spanischen Grippe. Geboren wurde er in Reudelsterz bei Mayen, wo er auch bis zum 13. Lebensjahr die Elementarschule besuchte. Anschließend unterstützte er seine Eltern, die mit irdischen Gütern gar wenig, mit Kindern aber reich gesegnet waren.

Lesezeit 3 Minuten

Die Erträge aus der Landwirtschaft reichten trotz aller Genügsamkeit nicht aus, die hungrigen Mäuler zu stopfen. Und so war die Not ein täglicher, der Hunger ein häufiger Gast. Was Wunder, dass der junge Mathes eines Tages zu seinen Eltern sagte: „Das Leben mache ich nicht mehr mit, ich suche mir einen anderen Beruf.“ Der aufgeweckte Junge mit hellem Köpfchen bat den Pastor von Monreal, ihn zu unterrichten, denn er wolle Lehrer werden.

Lehrerprüfung in Brühl bei Köln

Es verging nicht viel Zeit, da konnte der Pastor seinem gelehrigen Schüler offenbaren, dass er jetzt genug wisse und sich zum Examen melden solle. Damals musste die Lehrerprüfung in Brühl bei Köln abgelegt werden. Mathes fuhr also hin und bestand die Prüfung. Offene Stellen waren damals selten. Doch nach einiger Zeit hörte er, dass in Spessart bei Kempenich ein Lehrer gesucht werde. Mit einem kräftigen Butterbrot und Zehrgeld für einen Tag in der Tasche, machte sich Matthes auf die weite Fußtour. Kurz hinter Mayen hatte er sein Brot bereits gefuttert, gegen Mittag kam er in Kempenich an. Der dortige Pastor, dem er sich als oberstem Schulleiter vorzustellen hatte, musste ihm mit Bedauern mitteilen, dass die Stelle bereits besetzt sei, dass man aber in Müsch, im Kirchspiel Kirmutscheid, noch einen Lehrer suche.

Nun war guter Rat teuer. Wieder nach Hause zurückkehren? Schließlich war das Zehrgeld nur für einen Tag bemessen. Nein, Matthes streckte die Beine und wanderte auf Adenau zu. Wenn nur nicht dieser bohrende Hunger gewesen wäre! Gottlob fanden sich unterwegs noch einige Hände voll Waldbeeren, die damals noch keine Handelsware darstellten und daher nicht gepflückt wurden. In Adenau fand er nach einem Marsch von fast 75 Kilometern eine Herberge. Nach einem spärlichen Abendbrot fiel er entkräftet in einen tiefen Schlaf.

Taschentuch voll Kirmeskuchen

Vom Glockengeläut wurde er am Morgen geweckt. Sein Geld reichte gerade für die Übernachtung, vier Pfennige blieben übrig, die er in den Opferstock warf. Guten Mutes, aber ohne Frühstück zog er weiter. Im Pfarrhaus in Kirmutscheid prüfte ihn der Pfarrer im Rechnen. Das war die starke Seite des jungen Mannes. Auch das Schreiben seines Namens gelang ihm – trotz einer durch Entkräftung und Aufregung etwas zittrigen Hand. Mathes bekam die Lehrerstelle zugesprochen. Mit einem Taschentuch voll Kirmeskuchen – man feierte gerade die Martins-Kirmes – machte er sich auf den Heimweg.

Zu Hause wurde Mathes wenig freundlich empfangen. Seine Mutter drohte ihm gar Schläge an. Als er ihr jedoch von seinen Erlebnissen berichtet hatte, war von Strafe keine Rede mehr. Mathes kaufte sich einen Rock und zog nach Kirmutscheid, wo er für die Zeit der damals üblichen Winterschule für ein halbes Jahr untergebracht war. Beköstigt wurde der Dorfschulmeister von den Eltern der Schulkinder. Jedes Kind musste für einen Tag die Kost stellen.

Die Müscher schienen ihren Lehrer gut leiden zu können, denn sie bereiteten ihm fast jeden Tag Kartoffelkuchen, sein Leibgericht. Während des Winters nahm er Unterricht beim Lehrer Fassbender in Antweiler, um sich weiter auf das Lehrfach vorzubereiten. In einem Zeugnis hieß es: „Der Schulamtsaspiranten Mathias Kirst, welcher im Semester 1857/58 den Unterricht in der Winterschule zu Müsch erteilte, ist ein fleißiger, sittlicher und braver Lehrer, der zur Zufriedenheit der ganzen Gemeinde wirkte und deshalb bestens empfohlen werden kann.“

Einstellung im August 1858

Seine Bewerbung um die vakante gewordene Stelle in Hausten war erfolgreich. Im August 1858 erfolgte die Einstellung versuchsweise auf ein halbes Jahr. Die positiven Veränderungen des Schulbetriebs unter seiner Leitung bestätigte ein Schulbericht vom Juli 1859: „Der Schulamtsaspirant Kirst, 20 Jahre alt, zeigt in seiner Wirksamkeit einen sehr erfreulichen Fleiß. Die Schulprüfung hat ein befriedigendes Resultat geliefert.“

In der Haustener Schulchronik beschrieb er seine Lebensverhältnisse zu Beginn seiner Tätigkeit wie folgt: „Verschiedene schlechte Räume habe ich beziehen müssen. Meine höchste Miete betrug pro Jahr 30 Mark. An Gehalt bezog ich aus der Gemeindekasse 225 Mark, an Staats-Zuschuss 126 Mark; Kost, Bett und Logis erhielt ich für 50 Pfennig pro Tag. Wegen Unterstützung meiner Eltern stellte ich mir die Kost selber, wodurch ich täglich nur 25 Pfennig gebrauchte. Täglich musste ich außer meinen fünf Stunden Dienst zu meiner weiteren Fortbildung studieren. Oft hatte ich nichts zum Essen, das ansonsten aus Kartoffeln, Brot und Kaffee bestand. 1863 wurden seine Leistungen bei der Lehrerprüfung in Brühl mit genügend bewertet. Im Juli 1864 erhielt er erst eine provisorische, vier Jahre später die definitive Anstellung.

Top-News aus der Region