8.15 Uhr: Die Vorbereitungen laufen
Als ich in die Straße zum einstigen Kranken-haus einbiege, empfängt mich eine große Stille, nur wenige Menschen sind unterwegs. Auch die Patienten des Schlaflabors sind noch nicht wach – der Parkplatz vor St. Josef steht voller Autos. Wenige Meter weiter tobt im Eingangsbereich der einstigen Krankenhauskapelle dagegen das pure Leben.
Um mehrere Transporter hat sich eine Gruppe Menschen versammelt. Kisten voller Lebensmittel werden aus den Wagen geräumt. „Schnell, schnell wir müssen uns beeilen, die ersten Kunden kommen bald“, rufen sich die ehrenamtlichen Helfer aus dem Logistikteam des Marktes für Leib und Seele immer wieder zu, während sie zielsicher die Waren auf große Wagen stapeln und mit ihnen den Weg in Richtung Lebensmittelausgabe antreten. Auf ihren Rückwegen haben sie ebenfalls Wagen voller Lebensmittel dabei. „Die werden jetzt gleich zu den Kunden gebracht, die nicht zu uns kommen können“, erklärt Ria Braun, Vorstandsmitglied des Marktes, während sie mich durch den quirligen Eingangsbereich ins Innere des Gebäudes lotst.
Seit 2008 gibt es die Lebensmittelausgabe in Adenau. Ins Leben gerufen wurde sie vom Verein Markt für Leib und Seele – füreinander, miteinander. Rund 80 Mitglieder stark ist der Verein derzeit, 41 von ihnen engagieren sich aktiv rund um den Markt. Seit November hat der Verein mit seinem Markt die Räumlichkeiten in der ehemaligen Krankenhauskapelle bezogen. Zuvor war der Markt an der Adenauer Mühlenstraße zu finden, die erste Ausgabe von Lebensmitteln und Sachspenden war in einem Nebenraum des Rathauses. Mit ihrem Angebot richten sich die Vereinsmitglieder an Menschen, denen es aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht möglich ist, sich ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Neben Nahrungsmitteln umfasst das Angebot auch Futter für Haustiere. Je nach Spendenaufkommen stehen zudem Blumen zur Mitnahme bereit.
8.45 Uhr: Formalien sichern Zugang
Auch an diesem Morgen begrüßen große Bottiche mit bunten Frühlingsblumen die inzwischen nach und nach eintrudelnden Kunden. Von vielen wird dieser blumige Frühlingsgruß bereits beim Betreten der Ausgaberäumlichkeiten mit einem Lächeln quittiert. Für Ria Braun ein schönes Zeichen. Doch für lange Reden sie keine Zeit. Mit schnellen Schritten eilt die Ehrenamtliche in das kleine Büro, welches vom langen Flur vor der einstigen Kapelle abgeht. Heißt es doch, dort alle Kunden der Lebensmittelausgabe vor ihrem Einkauf erst einmal kurz zu erfassen.
Einen symbolischen Euro kostet der Einkauf im Markt für Leib und Seele. Knapp 200 Menschen sind aktuell als Kunden des Marktes registriert. Einkaufen kann dort, bei wem das Geld nach Abzug aller Kosten nachweislich nicht zum Leben reicht. „Aber wir haben bei der Auswahl und Zulassung von Kunden nicht so strenge Vorgaben wie der Verband der Tafeln in Deutschland“, erklärt Christa Terzer-Rösner, die gemeinsam mit Ria Braun und Petra Goeden im Vorstand des Adenauer Vereins ist.
Während das Angebot des Marktes anfangs überwiegend von Asylsuchenden in Anspruch genommen wurde, hat sich die Kundenstruktur inzwischen geändert. „Vor acht Jahren waren zwei Drittel unserer Kunden Flüchtlinge, mittlerweile hat sich diese Zahl auf rund die Hälfte unserer Kundschaft reduziert. Zusätzlich haben wir viele Menschen im Rentenalter, die zu uns kommen, ebenso Menschen mit Minijobs oder gar keinem Einkommen“, bilanzieren Ria Braun und Christa Terzer-Rösner den Kundenstamm der Lebensmittelausgabe. Bundesweit waren im vergangenen Jahr rund 1,6 bis 2 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig auf Lebensmittel von Tafeln angewiesen. Wie der Dachverband der Tafeln in Deutschland jüngst mitteilte, ist mittlerweile jeder vierte Tafelkunde im Rentenalter.
9.10 Uhr: Bunte Gerechtigkeit
Das Thema Altersarmut ist auch an diesem Vormittag allgegenwärtig. Viele der Kunden, die bereits kurz nach der Öffnung der Lebensmittelausgabe in die Räumlichkeiten der ehemaligen Krankenhauskapelle kommen, sind im fortgeschrittenen Alter. Viele von ihnen haben einen Einkaufstrolley dabei und ziehen ihn vorsichtig hinter sich her, während sie mit bedächtigen Schritten auf Christa Terzer-Rösner zugehen, die im Eingangsbereich an einem kleinen Tisch Platz genommen hat, um die Eintretenden sogleich herzlich zu begrüßen.
Sätze wie „Hallo, wie geht's?“ und „Wie schön, dass Sie wieder da sind“, hallen durch den Flur. „Hier anzukommen ist, wie nach Hause zu kommen“, verrät eine Kundin lächelnd, während sie sogleich ein nummeriertes, farbiges Kärtchen entgegennimmt und in Richtung Café entschwindet. Blau ist heute an der Reihe. Eine Tatsache, die von allen Ankommenden wohlwollend aufgenommen wird. „Dann habe ich ja noch Zeit für einen Kaffee“, lächelt auch Kundin Kerstin Schlacher. Bis sie mit der Lebensmittelausgabe an der Reihe ist, wird es noch dauern.
Um keine Kunden bei der Lebensmittelausgabe zu benachteiligen, findet die Ausgabe in drei Gruppen statt, die durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet sind. Bei der Registrierung im Markt wird allen Kunden eine Farbe zugeteilt. Die Reihenfolge der Farbgruppen ändert sich an jedem Ausgabetag. Die Wartezeit bis zur Ausgabe überbrücken viele im Sozialcafé, das sich ebenfalls in einem Raum im einstigen Kapellengebäude befindet und vom Markt betrieben wird.
10 Uhr: Zeit für Kaffee und Gespräch
Die Stimmung ist gut im Sozialcafé. Jeder eintretende Gast wird von den Anwesenden mit einem großen Hallo begrüßt. Lange mit weißen Tischdecken und Kaffeegeschirr eingedeckte Tische laden zum Verweilen ein. Große Kannen mit Tee und Kaffee stehen zur Selbstbedienung bereit. Auch die Mitglieder des Logistikteams gönnen sich gerade eine Pause, als ich eintrete und an einem Tisch Kerstin Schlacher entdecke.
„Hier ist es super“, freut sie sich. „Die Leute hier sind immer freundlich, man fühlt sich gut aufgenommen und versorgt“, sagt sie. Seit rund zwei Jahren kommt die sympathische Frau regelmäßig in den Markt für Leib und Seele. Doch leicht gefallen sind ihr die ersten Besuche nicht. „Ich bin auf Sozialleistungen angewiesen. Anfangs habe ich mich ein bisschen geschämt, hier hinzukommen“, sagt sie und fügt sogleich lächelnd hinzu: „Aber das muss man gar nicht. Hier ist jeder willkommen. Alle sind hier wie eine große Familie.“
Das Sozialcafè ist nicht nur ein Ort, um die Wartezeit bis zur Lebensmittelausgabe zu überbrücken, sondern für viele Kunden auch ein Ort der sozialen Begegnung und des Austausches. „Viele unserer älteren Kunden sind alleinstehend und freuen sich, wenn sie hier hinkommen“, erfahre ich von Ria Braun, die zudem betont, die Hilfe, die im Markt geleistet werde, erfolge nicht nur einseitig. „Wir lachen zusammen, wir weinen zusammen, und wenn jemand Hilfe braucht, dann helfen wir. Und das ist nicht nur bei uns so, sondern auch bei vielen unserer Kunden. Sie geben viel zurück und engagieren sich.“
10.40 Uhr: Eine Erfolgsstory
Einer, der besonders viel zurückgegeben hat, ist Hamad Ameen Bahroz. Ich treffe ihn, als er gerade die Lebensmittelausgabe – das Herzstück des Marktes – betritt. Vor sechs Jahren ist er mit seiner Familie aus dem Irak nach Deutschland gekommen. „Als ich hergekommen bin, habe ich gleich einen Deutschkurs besucht und gearbeitet“, erinnert er sich an die erste Zeit in seiner neuen Heimat. Dennoch sei es am Anfang nicht einfach gewesen. Mittlerweile hat er einen Job bekommen im Kreis Ahrweiler, die Familie hat sich eingelebt. Doch so ganz reicht das Geld zum Leben immer noch nicht.
Wie viele andere Kunden ist auch Bahroz, wie er von vielen hier freundschaftlich gerufen wird, auf gespendete Lebensmittel angewiesen. Aber beklagen will sich der Vater von vier Kindern nicht. Im Gegenteil. „Deutschland hat uns gut aufgenommen und besonders die Menschen in Adenau haben uns geholfen“, freut er sich und sagt dann mit Stolz: „Ich habe hier ein Sprichwort kennengelernt: ,Wie Du in den Wald hineinrufst, so schallt es heraus' an dieses halte ich mich.“ Von daher sei es für ihn klar, dass, wenn er Kunde der Lebensmittelausgabe ist, er sich dort einbringen und engagieren möchte. Und das hat er getan.
11 Uhr: Nutella geht immer
In vielen Stunden ehrenamtlicher Unterstützung ist aus dem einstigen Kirchenraum ein kleiner Supermarkt samt Warenlager entstanden. Die Regale und Kühltruhen sind voll an diesem Morgen. Für Ausgabeleiterin Bärbel Meyers ein schöner Anblick, allerdings betont sie, die Vorräte müssten auch noch eine Weile halten. „Die Hauptspendenzeit ist in der Advents- und Weihnachtszeit“, sagt sie und nickt sogleich mehreren Frauen zu, die gemeinsam mit ihr hinter den Ausgabetresen stehen. Mit einem fröhlichen „Der Nächste, bitte“, laden sie die wartenden Kunden ein, näherzutreten und präsentieren ihnen an verschiedenen Tresen ein reichhaltiges Lebensmittelsortiment. „Wir haben Stationen für Brot und Dauerlebensmittel, Obst und Gemüse und natürlich für Produkte, die gekühlt oder tiefgekühlt werden müssen“, erklärt Meyers.
Für Hamad Ameen Bahroz ist an diesem Tag ein Glückstag. „So viel schönes Obst, und das darf ich alles für meine Familie mitnehmen“, freut er sich, während er ein Meer aus Orangen, Äpfeln und Bananen sichtet. Sogar kleine Melonen sind heute als Lebensmittelspenden dabei. Bärbel Meyers und die weiteren Mitarbeiterinnen lachen und helfen munter beim Einpacken der süßen Früchte. Sie freuen sich, dass die Lebensmittel so gute Verwendung finden. Auf die Frage, welche Waren besonders schnell an die Frau und den Mann zu bringen seien, sehen sie sich nur kurz an und antworten dann lachend: „Nutella – das geht immer.“ Bei Rosenkohl hingegen werde es schwierig, da müsse Überzeugungsarbeit geleistet werden, denn: „Viele unserer Kunden wissen gar nicht, wie gut Rosenkohl schmecken kann.“
13 Uhr: Der Abschied
Die letzten zwei Stunden sind wie im Rausch verflogen. Rund 40 Kunden waren an diesem Tag im Markt, um sich mit Lebensmitteln einzudecken und sich mit anderen Menschen auszutauschen. Mittlerweile hat auch die letzte Kundin die Räumlichkeiten verlassen. Im Markt kehrt Ruhe ein. Zeit für die Ehrenamtlichen, nach der Hektik des Vormittags erst einmal durchzuschnaufen, bevor es an die letzte Aufgabe dieses Ausgabetages geht: das Aufräumen und Putzen der Räume.
„Es war ein toller Vormittag“, sind sich alle einig, dennoch ist ihnen die Erschöpfung anzusehen, während sie noch einmal alle Energie bündeln und zu Besen und Wischmopp greifen. Dann endlich: Die Tresen blitzen, die Böden strahlen. „Geschafft“, lächelt Bärbel Meyers und sagt stellvertretend für ihre Mitstreiter: „Es war eine anstrengende Woche. Aber wenn ich daran denke, wie sehr sich viele unserer Kunden heute gefreut haben, macht mich das glücklich. Die Arbeit hat sich gelohnt.“
Tag der offenen Tür
Einblicke in den Markt für Leib und Seele bieten die Marktmitarbeiter am 15. Juni. Zwischen 14 und 17 Uhr laden sie Interessierte ein, sich bei Kaffee und Kuchen am neuen Standort in der einstigen Krankenhauskapelle selbst ein Bild vom Markt zu machen. clv