ICCA – die Abkürzung steht für International Crisis Center Ahr. Können Sie beschreiben, worum es sich dabei handeln soll? Museum, Gedenkstätte, Wissenschaftsforum?
Zurzeit wird auf allen Ebenen über die Ursachen, die Entwicklung, die Auswirkungen und Bekämpfung von Katastrophen diskutiert. Das bezieht sich momentan auf den schrecklichen Krieg in der nahen Ukraine, die Corona-Pandemie und Wetterphänomene wie die derzeitige Dürre in Afrika und die durch uns erlebte Flutkatastrophe mit den vielen Todesopfern und verletzten Seelen an der Ahr. Hier bei uns, im Ahrtal kann ein Ort geschaffen werden, der all diesen Themen einen Sitz und als Think-Tank und Wissenszentrum inhaltlich, ethisch und moralisch sowie wirtschaftlich eine Heimat gibt. Authentisch – am Ort der Flutkatastrophe – kann auf Mikro- und auf Meta-Ebenen an Lösungen zu Katastrophen und Krisen gearbeitet, geforscht, präsentiert und kommuniziert werden.
Das ICCA ist als Wissenschafts- und Besucherzentrum konzipiert. Allerdings wird nur ein Teil des Zentrums dem gewidmet, was hier bei uns im Ahrtal geschehen ist, und es wird auch einen Platz des Gedenkens geben. In erster Linie aber ist das ICCA zukunftsorientiert und wird ein Ort sein, an dem an Lösungen für die Zukunft gearbeitet wird. Und dazu gehört zwingend auch, dass das ICCA für die extremen Krisen- und Katastrophenlagen sensibilisiert. Deshalb ist das Zentrum keine reine Stätte der Erwachsenenbildung, sondern auch wissenschaftlich fundierter, außerschulischer Lernort. Circa 30 Prozent des ICCA werden dennoch durch die Darstellung der erlebten Flutkatastrophe ausgefüllt, womit sich auch der ICCA-Standort im Ahrtal und nirgendwo anders erklärt.
Wie lässt sich so etwas umsetzen?
Großflächige Ausstellungen von Relikten der Flut sollen die Macht der Naturgewalten darstellen. Noch können hierfür auch große Trümmerteile, zum Beispiel Brückenteile oder verbogene Schienenstränge, gesichert werden. Wichtige Dokumentationen der Flutkatastrophe werden nicht nur digitalisierte Film- und Fotopräsentationen sein. Zentrales Objekt wird ein sehr großes Modell des Ahrtals von der Quelle mit allen Nebenbächen bis hin zur Mündung der Ahr in den Rhein sein, welches das Flutgeschehen vom Mittag des 14. Juli 2021 an mehr als 24 Stunden realistisch, aber natürlich im Zeitraffer darstellt.
Unterstützt werden diese Modelle durch die mittlerweile gängigen Formate der Virtual Reality und der Augmented Reality. So kann die Katastrophe nachvollzogen und verarbeitet werden. Weitere ungefähr 30 Prozent der ICCA-Fläche sollen Wechselausstellungen vorbehalten sein, die sich mit aktuellen und zukünftigen Krisenlagen und Katastrophen beschäftigen, wie zum Beispiel Dürreperioden, weltweit steigende Wasserstände, Klimaveränderungen, Sterben von Flora und Fauna, Erdbeben, Vulkanausbrüche, großflächige Stromausfälle, Terror- und Cyberangriffe und leider auch mit Kriegen. Realistische, detailreiche und datengetriebene Simulationen bilden das Verhalten der realen Systeme als „Digital Twin“ im Computer ab. Wissenschaftliche Foren und Workshops sowie Diskussions- und Publikumsveranstaltungen werden die jeweiligen Themen für ein breites und auch internationales Publikum verständlich und zukunftsorientiert aufbereiten.
Weitere 40 Prozent der ICCA-Fläche werden für Räumlichkeiten der Lehre und Forschung sowie für sehr große Vortragsveranstaltungen und Videoinstallationen sowie Filmvorführungen, für die Verwaltung, die das ICCA zum Beispiel als Stiftung führen und begleiten könnte, sowie für die Besucherinfrastruktur, darunter eine Gedenkstätte inklusive Andachtsraum für die Verstorbenen und körperlich und seelisch Verletzten der Ahr-Flutkatastrophe, benötigt.
Wie ist die Idee dazu überhaupt entstanden?
In den ersten Wochen nach der Flutkatastrophe haben meine Familie und ich in Ahrweiler dasselbe wie Tausende andere Betroffene auch gemacht: Schlamm schippen, den Hausrat entsorgen, ein Dach über dem Kopf suchen, gegenseitig trösten, Hoffnung suchen und Freunden helfen. Und dann kamen die schlaflosen Nächte mit Versuchen, das Erlebte zu verarbeiten. Und die Frage, was für unser Tal und uns Menschen nicht morgen, sondern übermorgen für unsere Zukunft wichtig sein wird. Der gerade erlebte Ahr-Tsunami und die auch bei uns in Deutschland immer öfter spürbar werdenden Katastrophen auf der Welt haben mir nahegelegt, ein Zentrum zu skizzieren, das authentisch am Ort der Flut die Gefahren von Katastrophen, aber auch das Menschenmögliche in uns allen aufzeigt, um eine weitere Eskalation von Katastrophen zu verhindern.
Warum braucht das Ahrtal ein solches Museum? Wer profitiert denn davon?
Die vergangenen neun Monate haben uns allen gezeigt, wie wichtig es ist, eine Verarbeitung dessen, was wir erlebt haben, zu ermöglichen. In der Zukunft wird es hoffentlich in jedem betroffenen Ort des Ahrtals Gedenkstätten geben. Und sicherlich auch das eine oder andere Museum. Diese Orte werden helfen, mit dem Erlebten umzugehen und im Idealfall Frieden zu schließen. Die Projektskizze des ICCA hat allerdings eine andere, nicht zurückblickende, sondern nach vorn ausgerichtete Richtung. Auf großen Ausstellungsflächen, in Kongressen, Seminaren, bei Vorträgen und durch wissenschaftliche Forschung soll an diesem Ort allen interessierten Besuchern und insbesondere jüngeren Menschen aktuelles Wissen zu Krisenthemen vermittelt werden können.
Gibt es Vergleichbares in Europa? Ich glaube, die niederländische Provinz Zeeland hat ein originelles Flutmuseum in Erinnerung an die Flut 1953 ...
Ein mit dem ICCA vergleichbares Zentrum gibt es noch nicht. „Noch nicht“, da es in meinen Augen ein solches Zentrum bald geben wird. Das haben mir Fachleute und Wissenschaftler signalisiert, die die Notwendigkeit sehen. Insbesondere deshalb, weil es im Bereich Katastrophenmanagement allein in Deutschland Hunderte von Institutionen, Initiativen, wissenschaftlichen und politischen Akademien, Stiftungen und so weiter gibt, die sich mit Krisenthemen durchaus intensiv und versiert beschäftigen – leider zu oft unkoordiniert – ohne ein für alle akzeptables und wirksames Zentrum. Das ICCA im Ahrtal kann diese zentrale Plattform bieten.
Das ICCA ist grundsätzlich nicht mit bestehenden Themenhäusern oder Museen vergleichbar, da es vielfältiger und insbesondere zukunftsorientiert ist. Das Haus der Geschichte in Bonn wird wie andere auch eine Ausstellung zur Flutkatastrophe der Ahr bringen. Themenhäuser wie die Deltawerken Zeeland oder das Ozeanum in Stralsund mit 500.000 Besuchern im Jahr beschäftigen sich mit Naturgewalten. Und das Klimahaus Bremerhaven, das ganz hervorragend ist und jährlich 450.000 Besucher für die Zerbrechlichkeit unseres Planeten sensibilisiert, ist vom professionellen Format her und auch architektonisch am ehesten das, wie ich mir das ICCA im Ahrtal vorstelle. Inhaltlich geht das ICCA allerdings weit über die genannten Themen hinaus, und auch hierin ist die Einmaligkeit des Wissenschafts- und Besucherzentrums begründet.
In welchem Stadium ist die Idee? Ist sie noch eine Vision? Gibt es bereits ein Echo? Wie lässt sie sich nach vorn bringen, und welche Akteure gehören dazu?
Die Projektskizze des ICCA im Ahrtal als „International Crisis Center Ahr“ ist längst über das Stadium der Vision hinaus. Im November 2021 ist das ICCA in die Ideensammlung der Zukunftskonferenz des Kreises Ahrweiler aufgenommen worden. Der Mittelstand hat die Chance für das Ahrtal durch ein ICCA verstanden, und insbesondere der Präsident des rheinland-pfälzischen Dehoga, Gereon Haumann, setzt sich vehement für das ICCA im Ahrtal ein. Das Wichtigste ist jetzt, dass die politischen Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen das Projekt vorbehaltlos und ergebnisoffen prüfen lassen.
„Profitieren werden wir von einem ICCA alle. Das Ahrtal bekäme ein Leuchtturmprojekt.“
Andreas Wittpohl
Bedenkenträger, die sich bei großen und wichtigen Projekten immer gern zu Wort melden, sollten sich in Geduld üben und eine professionelle, externe Prüfung des möglichen ICCA, die baldmöglichst in Auftrag gegeben werden muss, abwarten. Die vielen Resonanzen, die bei mir direkt ankommen oder mir zugetragen werden, sind durchweg positiv und hoffnungsfroh. Lediglich drei Zweifler sind mir bekannt, die dem „kleinen Ahrtal ein solch großes Zentrum“ nicht zutrauen. Da wünsche ich mir natürlich ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Mit politischem Fingerspitzengefühl, Willenskraft und Durchsetzungsvermögen lassen sich jetzt die entscheidenden Weichen – auch hinsichtlich der notwendigen Förderungen durch Land, Bund und EU – stellen.
Die skizzierten Pläne, was Architektur – von Stararchitekten und Stelzenbau ist die Rede – und Standort angeht, klingen ambitioniert. Von welchem Kostenrahmen ist auszugehen, und wer könnte so etwas finanzieren?
Es ist von einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag auszugehen. Fördermittel von Land, Bund und EU sind für die Finanzierung unabdingbar. Und möglich. Die Thematik, die Güte und die Bedeutung des ICCA für unsere Zukunft, generell aber in erster Linie auch für das Ahrtal selbst, machen gemeinsame Kraftanstrengungen und eine gemeinsame Finanzierung fast zwangsläufig notwendig. Abgesehen von der Grundinvestition müssen allerdings die späteren laufenden Kosten für das klimaneutrale und nachhaltige Zentrum selbst erwirtschaftet werden. Nicht nur durch die prognostizierten mindestens 250.000 zahlenden Besucher pro Jahr, sondern auch durch Einnahmen aus Veranstaltungen, Vermietung, Sponsoring und durch den ICCA-Shop mit seinem Merchandising.
Noch ist das Ahrtal und sein Schicksal in aller Munde. Aber besteht nicht die Gefahr, dass die Idee angesichts der dynamischen Nachrichtenlage von Unwettergeschehen auf der ganzen Welt (siehe Südafrika) auf der Strecke bleibt?
Für das ICCA im Ahrtal ist die noch gegebene mediale Aufmerksamkeit und das nationale politische Augenmerk nach der Flutkatastrophe sehr wichtig. Insbesondere hilft das wegen des authentischen Standortes des Krisenzentrums ICCA im Ahrtal. Die dramatischen Nachrichten über Krisen und Katastrophen auf der ganzen Welt – aber immer spürbarer auch bei uns vor Ort – nehmen das ICCA allerdings nicht aus dem Fokus, sondern in den Fokus.
Welche Unterstützer hat das Projekt jetzt schon – auch außerhalb des Kreises Ahrweiler?
Im Ahrtal und im Kreis Ahrweiler zeigen meine Gespräche in den vergangenen sechs Monaten, dass es eine rundum breite und positive Fürsprache für das ICCA als Leuchtturmprojekt gibt. Alle warten jetzt auf die Entscheidung der Politik, das ICCA seriös prüfen zu lassen, damit es bald im Ahrtal eröffnet werden kann. Uns läuft ja auch die Zeit davon, denn ein als ICCA skizziertes Zentrum kann auch woanders entstehen. Das wurde mir sehr deutlich von hochkarätigen Fachleuten des Katastrophenmanagements und aus Wissenschaft und Forschung versichert.
Als aktivem Teilnehmer an dem zweitägigen „Nationalen Fachforum Wasserextreme als Folge des Klimawandels“ im März im Klimahaus Bremerhaven, bei dem auch Landrätin Cornelia Weigand zeitweise zugeschaltet war, wurde mir deutlich, wie notwendig ein Krisenzentrum wie das ICCA für Deutschland ist. Auch Wissenschaftler, mit denen ich wegen des ICCA in Kontakt bin, sagen mir, dass Lehre und Forschung auf ein solches Zentrum dringend warten. Natürlich. Aber bitte bei uns in unserem Tal.
Das Gespräch führte Beate Au