Zu Besuch bei Menschen, die seit der Flut auf engstem Raum leben
Leben auf engstem Raum nach der Flut: Zu Hause im Wohnwagen oder Container
Seit einem Schlaganfall vor acht Jahren ist Heinz aus Walporzheim auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit einem Jahr lebt er nun wiederaufbaubedingt in einem Wohnwagen. Im Hintergrund sein entkerntes Haus. Fotos: Sandra Fischer
Sandra Fischer

Abertausende Häuser sind von der Flutkatastrophe betroffen, ihre Besitzer wurden nicht selten zumindest temporär obdachlos. Wer während des Wiederaufbaus nicht auf höher gelegene, nicht betroffene Stockwerke ausweichen kann, kommt in Ferienwohnungen, bei Freunden, Familie, in Tiny-Häusern, Containern oder im Wohnwagen unter. Doch wie kommen die Menschen mit dem Leben auf engstem Raum zurecht?

Seit einem Schlaganfall vor acht Jahren ist Heinz aus Walporzheim auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit einem Jahr lebt er nun wiederaufbaubedingt in einem Wohnwagen. Im Hintergrund sein entkerntes Haus. Fotos: Sandra Fischer
Sandra Fischer

Der 65-jährige Heinz-Georg Hoffmann, in Walporzheim nur als Heinz oder Hein bekannt, lebt seit einem Jahr in einem Wohnwagen neben seinem entkernten Fachwerkhaus: Von 120 Quadratmetern Wohnfläche auf maximal 12 – und das als Rollstuhlfahrer. Ein Bett, eine Sitzecke, Miniaturversionen von Kühlschrank, Spülbecken und Herdplatten. Auf der Anrichte steht eine Mikrowelle, im schmalen Flur ein Rollator. Kaum Platz für die wenigen Besitztümer, die er nach der Flut retten konnte.

Man muss Abstriche machen

Die WC-Kabine wurde aus Platzgründen zur Dusche umfunktioniert. Damit entfallen die Fahrten zum Duschen bei Verwandten. Für die Notdurft gibt es im Rohbau eine Toilette und auf der Straße ein Behinderten-Dixi. Trotz aller widrigen Umstände ist Heinz zufrieden mit dem, was er hat. „Man muss Abstriche machen, muss mit weniger auskommen. Für mehr ist einfach kein Platz da, aber ich habe ja auch nicht mehr so viel nach der Flut ...“, sinniert er. „Man kommt natürlich auch mit weniger aus.“

„Man muss mit weniger auskommen. Aber ich hab' ja auch nicht mehr so viel seit der Flut.“

Rollstuhlfahrer Heinz aus Walporzheim lebt seit einem Jahr in einem Wohnwagen.

Naturgemäß ist Heinz kein Mann der materiellen Besitztümer, eine Harley das einzige, was er sich mal gegönnt hat. Als Mitglied der Motorradfreunde Ahrtal legte er viele Kilometer mit seiner Maschine zurück, bis nach Kroatien gingen seine Touren. Doch nach einem Schlaganfall vor acht Jahren muss der Orthopädietechniker, der durch Kinderlähmung seit jungen Jahren gehbehindert ist, seine geliebte Maschine verkaufen, ist nun früh verrentet und auf den Rollstuhl angewiesen.

Eine Dauerlösung ist das nicht

Im Rollstuhl sitzt er vor seinem Wohnwagen, hat sich den Außenbereich mit einem Sonnensegel, Tisch und Stühlen, einem Grill und sogar einem Briefkasten so gemütlich wie möglich gemacht. „Ich komme schon klar, aber eine Dauerlösung ist es nicht, ich werde ja nicht jünger, und es ist schon alles sehr behelfsmäßig und beengt“, gibt er zu, als er seinen Rollstuhl neben der behindertengerecht breiten Wohnwagentür parkt, sich am extra angebrachten Griff hochzieht und auf den bereitstehenden Rollator stützt. Wenige Schritte kann er mit einer Gehhilfe zurücklegen.

Bis Ende des Jahres hofft er, wenigstens in einem Raum seines bis auf das Grundgerüst freigelegten Hauses wohnen zu können – weiß aber auch, dass die Chancen nicht gut stehen. Rechtliche Angelegenheiten sowie fehlende Handwerker für den fachgemäßen Wiederaufbau des historischen Hauses verzögern die Arbeiten. „Überall geht es langsam, aber wie lang soll ich denn hier noch sitzen? Zehn Jahre? Ich stelle mich schon mal auf einen weiteren Winter im Wohnwagen ein“, macht er seinem Frust Luft.

Auch wenn der 65-Jährige nicht viel braucht, um zufrieden zu sein, kann er es kaum erwarten, irgendwann wieder in sein geräumigeres Zuhause zu ziehen. Sein ganzes Leben hat er bis auf wenige Unterbrechungen in dem Haus aus dem 19. Jahrhundert verbracht, wurde dort geboren, wie auch schon sein Vater. „Ich freue mich schon auf den Platz, dann kann ich mir auch wieder eine Katze aus dem Tierheim holen. Meine musste ich nach der Flut schweren Herzens abgeben.“ Für den Stubentiger sei der Wohnwagen zu klein. Da müsse man realistisch sein.

Anja und Rainer Schumacher fühlen sich im ASB-Gemeinschaftswohnen in Bad Neuenahr pudelwohl, freuen sich aber, wenn es zurück geht in die wieder aufgebaute Mietswohnung. Wann das ist, steht noch in den Sternen.
Sandra Fischer

Auch Anja und Rainer Schumacher aus Ahrweiler haben nach der Flut eine temporäre Unterkunft gefunden, bis sie wieder in ihre geflutete Mietwohnung einziehen können. Doch im Gegensatz zu Heinz haben sie keine Eile. „Am Anfang waren wir ungeduldig, aber hier lernt man Geduld.“

Auch wenn ihnen mit 42 Quadratmetern gerade mal die Hälfte ihrer gewohnten Wohnfläche zur Verfügung steht, fühlen sie sich im Gemeinschaftswohnen des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Bad Neuenahr-Ahrweiler pudelwohl. Laut ASB bestehen die Wohneinheiten aus jeweils drei verbundenen 20-Fuß-Containern, die vor der Flut als Behelfsunterkünfte in Berlin eingesetzt wurden. „Hier wurde wirklich an alles gedacht, und die ASB-ler sind immer für einen da, man kann sich richtig wohlfühlen“, schwärmen sie von ihrem vom ASB komplett sanierten und eingerichteten Container: „Das ist ein Stück weit Zuhause.“

In Zukunft minimalistischer

Die Nahtoderfahrung der Flutnacht und die damit einhergehende Verlagerung von Prioritäten plus die positiven Erfahrungen der praktikablen Miniunterkunft werden sich auch nach der Rückkehr in die früheren Räumlichkeiten auf das Wohnverhalten des Ehepaares auswirken, sind sich die beiden sicher. Materielle Dinge haben weniger Bedeutung, sind nicht essenzieller Luxus.

Als geübte Minihausbewohner wollen die Ahrweiler weiter minimalistisch leben, nur noch besitzen, was man wirklich braucht. „Ich mache keine Schränke mehr voll“, gibt Anja Schumacher das Motto des neuen Lebensstils vor. Das Paar, das mit dem Inhalt zweier zusammengeschlossener Haushalte aus den Vollen schöpfen konnte, schwört dem Nippes ab und setzt auf einen verschlankten Haushalt, auf das Nötigste begrenzt.

Natürlich dürfen ein paar persönliche Dinge, die nicht Gebrauchsgegenstände sind, nicht fehlen. Beispielsweise das Hochzeitsbild des Paares oder ein Bild von Anja Schumachers damals fünfjährigem Sohn im Krankenhaus, das die zerstörerische Welle mit sich riss, jedoch von ihrer Schwiegertochter abfotografiert worden war und so als Replika zu ihr zurückkehrte. „Das war das schönste Geburtstagsgeschenk für mich“, beteuert Schumacher und kann die Tränen nicht zurückhalten. „Jeden Tag hab' ich auf dieses Bild geschaut, und dann war es auf einmal weg.“

Auch Rainer Schumacher trauert so manchem Besitz nach, den das Hochwasser sich einverleibte, wie seine antiken, handbemalten Weingläser. „Manchmal fällt einem ein, ,ach, das hatten wir ja mal', aber inzwischen sind wir gut im Improvisieren“, gibt er zu.

Und wenn im gut ausgestatteten Container doch mal etwas fehlen sollte, geht man schnell zum Nachbarn in einem der 48 Wohneinheiten. „Das ist wie ein kleines Dorf hier, wir haben schon super Leute kennengelernt, wir haben ja alle etwas gemeinsam: die Flut.“

Die Erinnerung daran wird auch so schnell nicht verblassen. Besonders, wenn Regentropfen auf das Containerdach prasseln oder das Rauschen der steigenden Ahr nachts in der Unterkunft der Schumachers in der ersten Ahrreihe zu hören ist. „Im Januer und Februar, als die Ahr auf 1,20 Meter gestiegen war, hatte ich schon die Tasche gepackt“, beschreibt Anja Schumacher die immer noch vorhandene Panik, die einsetzt, wenn das nasse Element mal wieder Oberhand gewinnt.

Obwohl das Paar im ASB-Containerdorf gut untergekommen ist, freuen sich die beiden schon auf ihre Rückkehr in die gewohnte Umgebung – irgendwann. „Aber erst, wenn alles fertig ist“, betont die 60-Jährige. Sie will in der Zwischenzeit nicht auf einer Baustelle leben. Wann das so weit ist, steht noch in den Sternen: „Vielleicht Weihnachten, man weiß es nicht. Wir müssen einfach Geduld haben, es wird ja auch wieder schön.“

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