„Ich bin Deutsche“, sagte Samara noch vor Weihnachten voller Überzeugung. In Aserbaidschan geboren, wuchs die Bachelorabsolventin im Kreis Ahrweiler auf, machte Abitur und hat Freunde dort. Doch in den vergangenen Wochen hat sich der Ton in der Politik verschärft, Migration ist das Hauptwahlkampfthema der Parteien, eine mögliche Aberkennung der Staatsbürgerschaft steht im Raum. „Ich bin sehr angespannt und blicke mit etwas Angst in die Zukunft.“, sagt Samara heute.
Samara heißt eigentlich anders. Um sie zu schützen, hat die Redaktion entschieden, den Namen zu ändern. Noch vor wenigen Wochen hatte sie sich aus Gründen mit Klarnamen positioniert, für Integration und gegen Diskriminierung und Rassismus ausgesprochen. So hatte sie während eines Berufspraktikums erlebt, wie ein Kollege bei einer Teambildungsmaßnahme von der Dozentin gefragt wurde, ob er überhaupt Deutsch spreche. Zwar sei die Leitung sofort reingegrätscht, doch für den Mann, der perfekt Deutsch spricht, seine Ausbildung in der Verwaltung gemacht hat und dort sofort eine Stelle antreten konnte, sei das ein demütigender Moment gewesen, der Tage nachwirkte. „Wir sprechen sechs, sieben Sprachen, und die gemeinsame ist Deutsch“, macht Samara klar.
Deutsche Kollegin schlüpft in die Opferrolle
Eine weitere Situation fällt ihr ein: Eine deutsche Kollegin sei von der Polizei kontrolliert worden und habe sich darüber aufgeregt. „Sehe ich denn aus wie ein Flüchtling“, habe die Frau gefragt und viele hätten gelacht, nicht aber die Kollegen mit Zuwanderungsgeschichte. Später habe die Kollegin es als Witz abgetan und erklärt, Deutsche erlebten im Urlaub auch Rassismus. „Unsere Erfahrungen werden klein gemacht. Dabei gibt es kaum Konsequenzen für diese Personen, auf ihr Leben“, stellt Samara fest: keine Kündigungen, keine Beschimpfungen, keine körperlichen Übergriffe, wie sie Menschen erleben, die „anders“ aussehen. Die deutsche Kollegin habe sich in die Opferrolle begeben und dabei Zuspruch erhalten. „Die Kollegen sagten, sie hätte geweint. Soll ich jeden Tag weinen?“, zeigt sie sich ratlos.
In jüngster Zeit erfuhr Samara, die, wie sie sagt, bisher nie Diskriminierung erlebt hat, selbst Anfeindungen und Racial Profiling. Bei einem Fußballspiel in Brüssel, wo die Politikwissenschaftlerin gerade Berufserfahrung sammelt, sei sie als Einzige ihrer Gruppe kontrolliert worden. Neben ihr sei ein junger Mann mit schwarzer Hautfarbe herausgezogen worden – sonst niemand, bemerkt Samara.

Ihre Familie wohnt seit vielen Jahren in Deutschland, ihre Eltern arbeiten in der Gastronomie. „Mein Vater sagt immer, dass er uns ein besseres Leben ermöglichen wollte“, erzählt Samara. Ihre Eltern hätten sofort Sprachkurse gemacht in Deutschland, berichtet sie weiter. In dem Ort im Kreis Ahrweiler, wo sie aufgewachsen sei, habe es viele Familien gegeben. „Unsere Nachbarn waren immer Deutsche“, erinnert sich Samara. Sie hätten dazugehört.
Auch an der Schule: „Meine Lehrerinnen und Lehrer waren sehr unterstützend“, erinnert sie sich. Ihr jüngerer Bruder Emin (auch seinen Namen hat die Redaktion geändert) fand diese Unterstützung nicht mehr. Inzwischen war die Familie in eine Großstadt gezogen, näher an den Arbeitsort der Eltern. Er habe keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, berichtet der Abiturient. Obwohl er die Stufe als einer der Besten abgeschlossen hatte, wirft seine Schwester ein. „Das war frustrierend. Ich war fleißig, hab viel gelernt, weil ich aufs Gymnasium und Abitur machen wollte“, erinnert sich Emin. Das komme ihrer Ansicht nach oft vor, dass Kinder mit Migrationshintergrund keine Empfehlung bekämen, ergänzt Samara.
„Wenn man Kind ist, ist es egal, ob jemand hellhäutig ist oder anders, man hat seinen Spaß.“
Emin (Name vom der Redaktion geändert) steht vor seinem Abitur.
Heute ist Emin auf dem Gymnasium. Seine Freunde dort hätten alle Migrationshintergrund, sagt er: „Man versteht sich ja viel besser, man hat irgendwas gleich.“ In einer Gruppe von Deutschen fühle er sich oft fremd, als einziger Ausländer. „Wenn man Kind ist, ist es egal, ob jemand hellhäutig ist oder anders, man hat seinen Spaß“, erinnert sich Emin an die Zeit im Kreis Ahrweiler. Doch: „Je älter man wurde, desto mehr Unterschiede sah man“, stellt er fest.
An seiner Schule gebe es Schüler, die stolz erzählten, dass sie die AfD wählen, damit die Ausländer abgeschoben würden. „Die machen das nicht ernst, die machen das so lustig“, stellt Enim fest. Vor allem unaufgeklärte Jugendliche wählten diese Partei, ist er sich sicher. „Ein Problem ist TikTok, die rechte Propaganda betreiben“, weiß er. Auch im Alltag habe sich der Ton verändert. So habe er miterlebt, wie ein Mann einen Busfahrer, der in die Pause gegangen sei, als „faulen Ausländer“ beschimpft habe – dabei habe der Deutsche einfach den Bus verwechselt, sagt Emin. Er selbst, der sich immer an die Regeln halte, sei schon fälschlich beschuldigt worden, Dinge getan zu haben, weil er als Ausländer zu erkennen sei. „Man braucht eine gewisse mentale Stärke“, stellt er fest.
„Es gibt einen Unterschied zwischen europäischen und außereuropäischen Migranten.“
Politikwissenschaftlerin Samara (Name von der Redaktion geändert) wiederholt Aussagen ihrer Freunde.
Sie sei immer von Deutschen umgeben, auch im Studium, erzählt Samara weiter. Eine Kommilitonin sei Spanierin, „aber das ist was anderes“, sagt sie und erklärt: „Es gibt einen Unterschied zwischen europäischen und außereuropäischen Migranten.“ Die aktuelle politische Lage belaste sie, sagt Samara, wobei sie „irgendwo eine leichte Gleichgültigkeit“ entwickelt habe: „Ich habe mit meinen Eltern darüber geredet, als davon die Rede war, dass es irgendwann möglich sein könnte, mir meine Staatsbürgerschaft abzusprechen.“ Sie hofften darauf, dass die kommende Koalition nicht aus CDU und AfD bestehe.
Wenn sie mit ihren Freunden darüber spreche, sagten die „Du bist doch nicht gemeint“, so als ob es gute und schlechte Ausländer gäbe, sagt die junge Frau. Ein Auslandssemester in Finnland sei die beste Zeit ihres Lebens gewesen: „Die Gruppe war so international“, schwärmt sie.
Gesellschaft spaltet sich
Ihren Eltern, die beide Akademiker sind, sei politische Bildung in der Erziehung ihrer Kinder wichtig, sind sich die Geschwister einig. Das sei bei vielen Familien anders. Dabei sei politische Bildung in der Familie und auch in der Schule sehr wichtig. In der Familie diskutierten sie viel miteinander, berichtet Samara, die ihren Master in Politikwissenschaft im europäischen Ausland machen möchte, weiter. Eine Spaltung der Gesellschaft beobachten beide, auch die verschärfte Rhetorik: „Aus unserer Sicht ist das ein gefährlicher Trend, denn es normalisiert eine Sprache und politische Haltung, die eigentlich unsere Gesellschaft spaltet, statt sie zu einen. Ich wünsche mir, dass konservative Parteien ihre Rolle darin erkennen, Brücken zu bauen, statt Gräben zu vertiefen.“
Alles fühle sich gerade an wie ein Fiebertraum, sagt Samara: „Traurig bin ich nicht, aber dafür sehr frustriert. Mehr als wählen gehen kann ich gerade nicht tun.“ Und sie betont: „Es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern, dass politische Verantwortung auch bedeutet, die Werte unserer Demokratie aktiv zu schützen: Respekt, Vielfalt und ein klares Nein zu jeder Form von Ausgrenzung.“
Welche Themen Wählern wichtiger sind
Es ist nicht die Migration, die laut Statista, mit Berufung auf das ZDF Politbarometer, die Wähler in diesen Tagen als wichtigstes Thema für ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 nennen. 48 Prozent der Befragten stellen hier Frieden und Sicherheit an erste Stelle. Danach kommt die Wirtschaft. An dritter Stelle die soziale Gerechtigkeit; erst an vierter Stelle steht das Hauptwahlkampfthema der Parteien, Flüchtlinge und Asyl. Danach nennen 23 Prozent Klimaschutz, der im Wahlkampf derzeit wenig Erwähnung findet. Rente und Alterssicherung sind immerhin für 21 Prozent der Befragten wahlentscheidend.