Das Aus für das über Jahre verfolgte Projekt hatte der Grafschafter Bürgermeister Achim Juchen jüngst in einem Interview mit der Rhein-Zeitung bekannt gegeben. Demnach hat sich Europas zweitgrößter Outlet-Betreiber aus dem Projekt zurückgezogen. Neinver bestätigt das, bleibt aber in seiner Begründung vage. „Aus unserer Sicht ist Grafschaft ein attraktiver Standort mit sehr guter Infrastruktur, großem Kaufkraftpotenzial und enormer touristischer Anziehungskraft. Aus diesen Gründen waren wir an der Ansiedlung eines Outlet-Centers in Grafschaft sehr interessiert. Die Verwirklichung der Projektidee erschien durch verschiedene Faktoren zuletzt jedoch nicht mehr realistisch. Daher haben wir uns nach reiflicher Überlegung letztlich entschlossen, die Optionen auf die für die Ansiedelung vorgesehenen Grundstücke nicht zu verlängern und das Projekt nicht weiterzuverfolgen. Über diesen Schritt haben wir die Gemeinde Mitte März in einem persönlichen, sehr konstruktiven Gespräch informiert“, teilte das Unternehmen auf RZ-Anfrage mit.
Mehr als zehn Jahre hat das Thema die Grafschaft beschäftigt – und das Umland gleich mit. Zu groß war die Sorge in den Nachbarkommunen, ein Outlet-Center könnte den Einzelhandel in den Innenstädten beschädigen. Es gab Gutachten und Gegengutachten über die möglichen Auswirkungen, über positive und negative Effekte. Es blieb bei der Ablehnung. Dabei hätte die Gemeinde Grafschaft ein FOC ohnehin nicht so einfach beschließen können, sondern hätte als Grundzentrum eine Ausnahmegenehmigung benötigt. Dazu wäre ein Zielabweichungsverfahren erforderlich gewesen. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang das Landesentwicklungsprogramm. Eine Änderung der bisherigen Festlegungen bedarf der Zustimmung des Landes, da die Belange der benachbarten Mittel- oder Oberzentren betroffen sein könnten, insbesondere deren Einzelhandel. Neben dem Nachweis über die eigentumsrechtliche Verfügbarkeit der benötigten Grundstücke war es dieses landesplanerisch nötige Einvernehmen mit der Landesregierung in Mainz, das der Investor bis zum 31. März hatte nachweisen sollen. Den Nachweis blieb er indes schuldig.
In Bad Neuenahr-Ahrweiler sah man jedenfalls den Einzelhandel in Gefahr. Entsprechend erleichtert reagiert man jetzt. „Dass die Pläne für ein FOC in der Grafschaft nun weder seitens des Investors noch von der Gemeinde Grafschaft selbst weiter verfolgt werden, haben nicht nur wir, sondern auch unsere lokalen Einzelhändler durchaus mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis genommen“, sagt Bürgermeister Guido Orthen.
Bereits im Jahr 2012 hatte sich der Stadtrat der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler eindeutig gegen ein FOC beziehungsweise eine Kooperation ausgesprochen und gleichzeitig beschlossen, den eigenen Einzelhandelsstandort zu stärken und einen sogenannten Masterplan Einzelhandel zu entwickeln. So habe die Diskussion um ein mögliches FOC in der Grafschaft für die Kreisstadt durchaus positive Effekte gehabt. „Sie hat im Einzelhandel und in der Politik das Bewusstsein geschärft, dass sich der Einzelhandelsstandort Bad Neuenahr-Ahrweiler weiterentwickeln und positionieren muss“, heißt es in der Stellungnahme der Stadt.
Auch im benachbart Rhein-Sieg-Kreis atmet man auf. „Die ablehnende Haltung des Rhein-Sieg-Kreises gegenüber dem geplanten Factory-Outlet-Center in der Gemeinde Grafschaft wurde bereits vor über zehn Jahren in einem einstimmigen Kreistagsbeschluss bestätigt. Die damals aufgeführten Gegenargumente haben in der Zeit zunehmender Konkurrenz, die der stationäre Einzelhandel insbesondere durch den Onlinehandel erfährt, an Gewicht gewonnen. Daher bin ich froh, dass dieses Thema nun endlich erledigt ist“, sagt Landrat Sebastian Schuster.
Als potenziell gefährdet sah man in der Kreisstadt unter anderem das Kaufhaus Moses an. Dort ist jedoch angesichts des FOC-Aus keine besondere Euphorie zu spüren. „Ich sehe ja, wie es in Montabaur läuft. Das Einzige, was läuft, ist die Firma Nike. Davor hätten wir keine Angst gehabt“, sagt Inhaber Norbert Wittenberg. „Wir müssen schauen, dass wir mit Corona klarkommen.“
In der Grafschaft gab es zeitweise Bestrebungen, die in Aussicht gestellte Beteiligung an einem Neubau des Hallenbades Twin in Bad Neuenahr-Ahrweiler mit einer Zustimmung zum FOC zu verknüpfen. Davon war zuletzt nicht mehr die Rede. Kooperationen sucht man nunmehr auf anderen Gebieten, etwa beim Hochwasserschutz. Zuletzt kamen Zweifel auf, ob es der Investor überhaupt noch ernst meint. Versuche aus der Politik, das Projekt gleich ganz zu beerdigen, scheiterten indes. Zu einer bereits beschlossenen Bürgerbefragung in dieser Sache kommt es nun nicht mehr.