Dagmar Groß-Mauer, Landesinnungsmeisterin des Fleischerverbands Rhein-Hessen und Obermeisterin der Fleischerinnung im Kreis Ahrweiler, gehört zu den Abnehmern der Mastbullen aus dem Wehrer Stall. Es ist eine gewachsene, seit Generationen bestehende Geschäftsbeziehung. Man kennt, vertraut und schätzt sich.
Die Kempenicher Metzgerei von Groß-Mauer gehört zu den Betrieben, die den Landwirten jetzt schon mehr als den Durchschnittspreis für ihre Schlachttiere zahlen, damit es diesen gut geht. Für sie ist die von einer Expertenkommission empfohlene Tierwohlabgabe auf alle tierischen Lebensmittel oder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleischerzeugnisse, um Milliardeninvestitionen der Landwirte in bessere Haltungsbedingungen zu finanzieren, der falsche Weg. „Das lehnen wir, das Fleischerhandwerk, strikt ab“, so Groß-Mauer.
„Die jetzt vorliegenden Vorschläge führen entweder zu einem Bürokratiemonster oder bestrafen diejenigen, die schon heute nach höheren Standards arbeiten. Die Dokumentations- und Nachweispflichten, die ein Aufschlag auf jedes Kilogramm Fleisch oder Wurst zwangsläufig auslösen würde, sind von einem Handwerksbetrieb kaum zu leisten.“ Und von denen gibt es immer weniger, auch wenn mit der noch vorhandenen Metzgerei im Dorf von Bürgermeistern gern geworben wird. „Wir haben keine Auszubildenden mehr. Das Image des Berufs ist negativ. Die Nachfolge ist ein großes Problem, und Fleischfachverkäuferinnen sind kaum zu bekommen“, so Groß-Mauer.
Jetzt schon Alltag in der Kempenicher Metzgerei: Die Chefin ist im Büro. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer statt einer Tierwohlabgabe sei zwar deutlich einfacher umzusetzen, hätte aber aus Sicht von Dagmar Groß-Mauer fatale Folgen: „Der prozentuale Aufschlag würde die Preisdifferenz zwischen billig und hochwertig noch vergrößern. Wenn man wirklich etwas für mehr Tierschutz und Tierwohl tun möchte, wird man an neuen, europaweit geltenden Tierschutzgesetzen nicht vorbeikommen.“ Momentan bleibe dem Verbraucher nur, von sich aus auf gute Haltung und bestmöglichen Tierschutz zu achten.
Doch dafür muss der Kunde in der Metzgerei aktiv werden und nachfragen. „Ich darf nicht selbst dafür werben, mein Fleisch aus Wehr zu beziehen – nur deshalb, weil es die Fleischindustrie nicht kann“, ärgert sich Dagmar Groß-Mauer. Sie sieht das größte Problem darin, dass kein Unterschied gemacht wird zwischen Fleisch verarbeitender Industrie und Handwerk. „Wir werden alle über einen Kamm geschert.“
Sie hofft, dass es noch lange kleinere Schlachtbetriebe wie Schmitz in Heppingen gibt und sich nicht irgendwann alles auf vier große Schlachtstätten in Deutschland konzentriert, wo Kosten und Gebühren, beispielsweise für die Fleischbeschau, in der Masse effektiver zu steuern sind als bei kleinteiligen Strukturen. Auch mobile Schlachtstätten sind für sie eine Alternative. Doch auch hier mache die Bürokratie einen Strich durch die Rechnung, wenn die Fahrtzeit von dem Ort, wo das Tier getötet wird, bis zum weiterverarbeitenden Schlachthaus nur 45 Minuten betragen darf. Bei Entfernungen, wie sie in ländlichen Regionen üblich sind, sei das kaum einzuhalten.
Wie lange Tiere vom Stall in Wehr bis zu einem Kunden in der Eifel unterwegs sind – auch dafür gibt es natürlich Formulare. Lukas Genn hat sie fein säuberlich ausgefüllt und abgeheftet in einem der zahlreichen Ordner, die Landwirte heute immer griffbereit haben. Den konventionellen Bullenmast- und Ackerbaubetrieb in Wehr gibt es schon seit 1854. Seither vergrößerte sich der Betrieb kontinuierlich. Doch 120 Mastbullen sind für die Genns genug. Sie wollen nicht noch weiter expandieren, nur um billige Konsumware für Supermärkte zu erzeugen.
Charolais, Limousine, Piemonteser und bayerisches Fleckvieh sind als Rassen hier vertreten, um die individuellen Bedürfnisse ihrer privaten Kunden bedienen zu können. „Während der Pandemie sind schwerere Tier gefragt, weil zu Hause gekocht wird und alle Welt nach Hackfleisch ruft“, so Genn. Das Futter stammt aus eigener Produktion. „Früher haben wir zwei Bullen pro Woche geschlachtet, doch der Konsum ist rückläufig“, so Joachim Genn.
Allein von der Bullenmast könnte der Betrieb die Familie nicht ernähren bei gestiegenen Preisen für Futtermittel oder Diesel. 200 bis 250 Euro pro Tier und Jahr bleiben als Gewinn. Deshalb gibt es neben dem Ackerbau noch andere Einnahmequellen wie Lohnarbeiten für andere Landwirte und Betriebshilfe.
Der größte Unsicherheitsfaktor sind für die Familie Genn jedoch die Bürokratie und die Politik. „Die kann einem nicht garantieren, dass man nach einer Investition aufgrund einer neuen Verordnung nun zehn Jahre Ruhe hat“, so Joachim Genn. So lange es in der Region Metzger gibt, die sein Fleisch abnehmen, und so lange es Mutterkuhhalter gibt, die auch die Kulturlandschaft erhalten, will Lukas die Familientradition weiterführen. Er liebt seine Tiere. Das ist ihm anzumerken. Und wenn die Bedingungen nicht mehr stimmen? „In die Ställe würden auch Wohnwagen passen“, sagt der Juniorbauer aus Wehr.