Wenn Udo Oelke, so wie am Mittwochabend, auf der Autobahn nach Mannheim unterwegs ist, dann zieht er in den Kampf. Sein Gegner geißelt gerade die ganze Welt und ist doch für das bloße Auge unsichtbar: das Coronavirus. Weltweit läuft fieberhaft die Suche nach einem Impfstoff, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Udo Oelke (67) aus Bad Neuenahr-Ahrweiler ist einer von weltweit 30 000 Probanden, an denen im Auftrag des Mainzer Unternehmens Biontech ein möglicher Impfstoff getestet wird – unter anderem in Mannheim. Warum macht er da mit, als Versuchskaninchen?
Oelke betreibt in Bad Neuenahr einen Laden für Sportbekleidung, ist ausgebildeter Übungsleiter und passionierter Ausdauersportler. Sechs mal in der Woche läuft er Strecken zwischen zehn und 69 Kilometer. Zu behaupten, er sei fit wie ein Turnschuh, ist nicht übertrieben. Corona indes hat ihn als Geschäftsmann genauso kalt erwischt wie zahllose andere auch. Maximal zwei Kunden dürfen aktuell sein Geschäft betreten – mit Maske, versteht sich. Doch sich der Situation einfach so ergeben, das will er nicht. „Man muss doch was machen“, sagt der 67-Jährige. Denn er ist sich sicher: Je länger die Pandemie dauert, desto gravierender sind die Folgen.
Die Idee, bei der Suche nach einem Covid-19-Impfstoff mitzuhelfen, kam ihm in den Sinn, weil dies derzeit die Speerspitze im Kampf gegen Corona darstellt. „Ich bin erst ganz unbedarft an die Sache herangegangen“, erzählt Oelke. Wie und wo kann man mitmachen? Er machte sich kundig. Seit Ende Juli nimmt er nun schon an einer klinischen Studie des Clinical Research Services (CRS) in Mannheim teil, die von Biontech in Auftrag gegeben wurde. Für die Testphase III des gemeinsam mit dem US-Pharmakonzern Pfizer entwickelten Impfstoffkandidaten hatte das Paul-Ehrlich-Institut grünes Licht gegeben. Das Studienzentrum in Deutschland ist für Biontech und Pfitzer ein Baustein einer weltweiten klinischen Studie mit 30.000 Menschen. Dabei geht es neben Wirkung und Nebenwirkung auch um die Frage, wie der mögliche Impfstoff dosiert werden sollte.
Die Probanden erhalten entweder den Impfstoff oder ein Placebo. Zu welcher Gruppe er gehört, weiß Oelke naturgemäß nicht. Um als geeigneter Kandidat in die Studie aufgenommen zu werden, musste er sich einem umfangreicher Gesundheitscheck unterziehen. Bevor er bei seinem zweiten Besuch in Mannheim die erste Spritze in den Arm bekam, machte ihn der Chefarzt auf die Risiken aufmerksam. „Es gibt keine Garantie dafür, dass ausgerechnet bei Ihnen nichts passiert“, habe der ihm gesagt. Angst hat es ihm nicht gemacht. Oelke vertraut darauf, dass die Studie gut vorbereitet und das Risiko überschaubar ist. Und auch seinem Körper vertraut er. 25 Jahre als Krankenpfleger im OP-Bereich hat ihm im Klinikumfeld Gelassenheit gelehrt.
1700 Euro erhalten die Probanden für die Teilnahme an der Studie. Für manchen Teilnehmer seiner insgesamt elfköpfigen Testgruppe sei das viel Geld und der ausschlaggebende Grund, an der Studie teilzunehmen, berichtet Oelke. Nicht so für den 67-Jährigen, der darin vor allem einen Beitrag sieht, der Pandemie die Stirn zu bieten.
Auf Fragebögen wird genau erfasst, welche Wirkungen beziehungsweise Nebenwirkungen die Probanden verspüren. Eine Probandin bekam die sechsfache Dosis und klagte bald über Kopfschmerzen. Oelke merkte nichts, weder am Tag der Verabreichungen der Spritze, noch in den Tagen danach. Viel trinken ist seine Devise: Oelke glaubt, mit mehreren Litern Wasser intus möglichen Nebenwirkungen entgehen zu können.
Die begleitenden Kontrollen nehmen jeweils einen ganzen Tag in Anspruch. EKG und Blutdruckmessungen alle zwei Stunden sowie Blutabnahme gehören zum Prozedere. Als regelmäßiger Blutspender ist er einiges gewohnt. „Doch da war ich platt wie ein Flunder“, beschreibt Oelke den Aderlass. Untersucht wird sein Blut an drei Standorten: in Mainz, in Sienna (Italien) und in den USA.
Heute ist er zum vierten Mal in Mannheim und bekommt seine zweite Spritze. Drei weitere Kontrolltermine werden folgen. Im November und im Februar gibt es noch zwei Nachsorgetermine, dann ist für ihn die Studie beendet. Spätfolgen nicht ausgeschlossen. Auch davor hat man ihn gewarnt. Abgeschreckt hat ihn das nicht. Er bleibt dabei: „Man muss doch was machen.“