Das Ahrtal und die Region Kreis Ahrweiler werden innerhalb der nächsten zehn Jahre eine touristische „Boomregion“ sein, davon ist Andreas Lambeck, Geschäftsführer des Ahrtal-Tourismus, überzeugt. Wie der Tourismusexperte auf diesen Gedanken kommt und welchen Weg der Tourismus im Ahrtal in den kommenden Jahren zu beschreiten hat, darüber hat unsere Zeitung mit Andreas Lambeck und Barbara Knieps, Pressesprecherin des Ahrtal-Tourismus, gesprochen.
Frau Knieps, Herr Lambeck, wir sind jetzt im vierten Jahr des Wiederaufbaus nach der Ahrflut. Vieles, was zerstört worden war, ist bereits wieder oder derzeit im Aufbau. Wie geht es mit dem Tourismus im Ahrtal weiter?
Andreas Lambeck: Ich glaube, um diese Frage zu beantworten, muss man verschiedene Phasen unterscheiden. Der Wiederaufbau insgesamt wird an einigen Stellen noch bis zu zehn Jahre dauern, und auch dann sind wir mit dem Wiederaufbau im Ahrtal noch nicht fertig, sondern auf einem Stand, an dem wir keine Defizite mehr haben. Diese zehn Jahre gilt es jetzt zu entwickeln. Wir sind also in einer Art Zwischenphase und müssen uns die Frage stellen: Was machen wir, bis etwa die Therme in Bad Neuenahr wiederaufgebaut ist oder der Skywalk steht?
Im Vorfeld dieses Gesprächs haben Sie, Herr Lambeck, gesagt, dass das Ahrtal in zehn Jahren eine touristische „Boomregion“ sein wird. Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Lambeck: Das Ahrtal ist aufgrund seiner geografischen Lage innerhalb von zwei Stunden von Köln, Bonn, Koblenz und Frankfurt aus erreichbar. Unsere touristische Zielgruppe beschränkt sich damit in erster Linie auf ein Gebiet, von dem aus das Ahrtal binnen zwei Stunden erreicht werden kann. Rund 20 Millionen Menschen leben in diesem Einzugsgebiet. Wenn wir es schaffen, diese 20 Millionen Menschen zu begeistern, dann haben wir alles richtig gemacht. Zusätzlich wird das Ahrtal als Urlaubsdestination auch immer mehr in den Beneluxländern interessant.
Auch dürfen wir nicht vergessen, dass sich gerade in Zeiten, in denen das Thema Nachhaltigkeit bei vielen Menschen einen immer bedeutenderen Stellenwert einnimmt, sich auch das Reiseverhalten von Menschen verändert. Wir sind hier im Ahrtal allein aufgrund unserer geografischen Nähe zu Metropolen wie Köln oder Frankfurt sehr nah an den Menschen dran und haben daher große Chancen, wenn die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs wieder steht, ein Naherholungsgebiet für die gesamte Region zu werden. Auch gehe ich davon aus, dass das Reiseverhalten in zehn Jahren ein anderes Gesicht und das Ahrtal eine führende Rolle bei Kurzreisen haben werden.

Reichen die Kapazitäten im Ahrtal denn aus, um eine derart große Zahl an potenziellen Gästen bewirten und beherbergen zu können?
Lambeck: Die Kapazitäten wachsen nach und nach im Ahrtal. Im Herbst nächsten Jahres wird etwa das Dorint-Hotel in Bad Neuenahr wiedereröffnen, bereits in diesem Sommer feiert das „May Hotel“ in Mayschoß seine Neueröffnung, und ab Dezember gibt es mit dem Hotel „Alex an der Therme“ in Bad Neuenahr ein weiteres Vier-Sterne-Hotel. Wir sprechen allein bei diesen drei Hotels von einer Kapazität von circa 400 Zimmern. Allerdings darf man nicht nur die Bettenkapazitäten bei der Beurteilung der Frage, ob das Ahrtal für den Tourismus gewappnet ist, betrachten. Vielmehr hat ein Hotelbetrieb, der erfolgreich wiedereröffnet wurde und gut läuft, auch eine Signalwirkung auf andere Bereiche, etwa auf die Gastronomie oder den Einzelhandel, die sich dann ebenfalls ansiedeln.
Hat sich das Publikum seit der Flutkatastrophe verändert?
Barbara Knieps: Vor der Flut hatten wir 1,5 Millionen Übernachtungen pro Jahr. Ende 2024 waren es rund 750.000 Übernachtungen. Die Übernachtungszahlen haben sich seit der Ahrflut also halbiert. Allerdings ist zu bedenken, dass die einstige Bettenkapazität von rund 8.400 Betten flutbedingt gesunken ist. In Sachen Bettenkapazität sind wir jedoch schon wieder auf einem guten Weg. Aktuell verzeichnen wir rund 6200 Betten. Allerdings stellen wir fest, dass sich die Dauer des Aufenthalts von Urlaubern seit der Flut verkürzt hat. Zwar muss man sagen, dass das Ahrtal noch nie eine Region war, in der Gäste zwei Wochen am Stück Urlaub gemacht haben. Während die durchschnittliche Urlaubsdauer vor der Flut aber bei vier bis fünf Nächten lag, kommen Gäste derzeit insbesondere für ein Wochenende oder ein verlängertes Wochenende zu uns.
Wieso ist das so?
Knieps: Das hat viel damit zu tun, dass die Infrastruktur im Ahrtal noch nicht vollständig wiederhergestellt ist. So ist etwa der Ahrradweg noch nicht wieder durchgängig befahrbar. Da solche touristischen Angebote noch nicht zur Verfügung stehen, verweilen Gäste häufig kürzer im Ahrtal.

Ahr-Radweg bleibt wohl noch Jahre ein Flickenteppich
Geduld beim Wiederaufbau ist für die Bürger im Ahrtal nichts Neues. Doch mancher Tourist dürfte fast vier Jahre nach der Flut erstaunt sein, wie viel noch zu tun ist. Ein Blick auf den Ahr-Radweg, dessen erste Brücken nun erneuert sind.
Schauen wir vor diesem Hintergrund einmal konkret auf die Saison 2025: Für was steht das Ahrtal in diesem Sommer?
Lambeck: Derzeit verstehen wir uns im Ahrtal ganz klassisch als Eventregion. Es gibt im Ahrtal mehr als 1000 Veranstaltungen im Jahr. Ab Anfang April bis Oktober gibt es an jedem Wochenende Veranstaltungen. Viele Gäste kommen ganz bewusst zwei bis drei Tage für den Besuch von Events ins Ahrtal. Wir als Ahrtal-Tourismus verstehen das Ahrtal daher auch als Eventregion und wollen das Thema weiter ausbauen. Allerdings schaffen wir diesen Ausbau nicht allein, sondern brauchen gerade auch in den Orten und Vereinen weitere Partner, die dies mit uns leisten wollen und auch schon tun. Und für diese Unterstützung sind wir unendlich dankbar. Denn diese Events sind wichtig für den Tourismus im Ahrtal, um Gäste für die Region zu begeistern.
Welches Publikum erreichen Sie mit diesen Veranstaltungen?
Lambeck: Das ist eine interessante Frage. Denn wir haben festgestellt, dass das Publikum, das heutzutage an den Veranstaltungen teilnimmt, ein anderes ist als noch vor einigen Jahren. Früher waren es vornehmlich Gäste in fortgeschrittenem Alter, die zu uns kamen, heute sind aber unter den Gästen auch viele junge Menschen und Familien, die zu uns kommen – um etwa an einem „AhrWeinWalk“ teilzunehmen oder um Veranstaltungen wie die „Kölschen Nächte“, den „Ahrweiler Musiksommer“ oder den „Weinherbst“ zu besuchen. Auch haben viele Events heutzutage einen anderen Charakter und sprechen damit eine andere Besuchergeneration an. Und diese möchte auch nur mal für einen Tagesausflug ins Ahrtal kommen, um ein paar schöne Stunden bei einer tollen Veranstaltung zu verbringen.
Knieps: In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Gruppe von Tagestouristen mittlerweile wieder sehr stark geworden ist. Leider gibt es keine statistischen Zahlen, wie viele Tagestouristen pro Jahr zu uns kommen. Aber die Themen „Wandern und aktiv sein“ sind im Ahrtal sehr bedeutsam. Wir haben hier eine sehr attraktive Landschaft. Zudem ist das Thema „Wandern“ ein Anziehungspunkt, weil es sich hier im Ahrtal wunderbar verbinden lässt mit Kultur, Wein und Genuss. Wir haben hier eine Region, die sehr viel auf kleiner Fläche zu bieten hat. Die Ahr ist 90 Kilometer lang von Blankenheim über Adenau bis Sinzig. Auf dieser Fläche kann man unheimlich viel einem Tag erleben. Ich kann etwa morgens in Ahrweiler shoppen gehen und nachmittags bei Dernau auf dem Rotweinwanderweg wandern. Und gerade diese Vielzahl an Möglichkeiten auf kleiner Fläche ist ein besonderes Alleinstellungsmerkmal des Ahrtals.

So könnte Altenahrs neue Touristenattraktion aussehen
Seit 14 Jahren gibt es keine Seilbahn mehr in Altenahr. Das könnte sich in Zukunft wieder ändern. Studenten der Hochschule Koblenz haben jetzt ihre Vision einer künftigen Bergstation den Gremien der Verbandsgemeinde präsentiert.
Die Verjüngung des Gästepublikums ist in der Tat eine erfreuliche Entwicklung. Aber braucht es langfristig nicht noch weitere Konzepte, um den Tourismus im Ahrtal weiter zu beleben und aufrechtzuerhalten? Wie sieht es etwa mit dem vielerorts so erfolgreichen Medizintourismus aus?
Lambeck: Wir verstehen uns nach wie vor als Eventregion, und das Ahrtal steht darüber hinaus für Wein, Wandern und andere sportliche Aktivitäten. Dennoch ist das Thema „Gesundheitstourismus“ auch bei uns im Fokus. Wir erleben in der Region derzeit einen Umbruch im Gesundheitssektor. Von daher bin ich sicher, dass das Thema „Gesundheitstourismus“ auch für das Ahrtal in der Zukunft ein großes Thema sein wird. So wird etwa zu überlegen sein, wie wir die Kompetenzen, die wir bereits in Bad Neuenahr-Ahrweiler mit zwölf ansässigen Kliniken haben, so nutzen und weiterentwickeln können, dass wir ein Gesundheitskonzept für das gesamte Ahrtal erhalten.
Wenn Sie sagen, dass das touristische Konzept fürs Ahrtal künftig breiter gefächert werden soll, dann stellt sich unweigerlich auch die Frage, ob Sie damit auch ein internationales Gästepublikum ansprechen wollen. Braucht das Ahrtal eine Internationalisierung?
Lambeck: Das ist tatsächlich die Frage, ob das Ahrtal mehr Internationalisierung braucht. Allerdings muss man dann auch kritisch fragen: „Kannte vor der Flut ganz Deutschland eigentlich das Ahrtal?“ Und hier ist die klare Antwort meiner Einschätzung nach: „Nein.“ Das Ahrtal kennt man heutzutage deutschlandweit aufgrund der Flutkatastrophe. Unsere Aufgabe ist daher, aus diesem schrecklichen Ereignis etwas Positives zu gestalten. Wenn wir es also schaffen, das Ahrtal in den nächsten zehn Jahren in Deutschland als Urlaubsregion zu positionieren, dann haben wir eine Menge erreicht. Knieps: Das Thema Internationalität ist aber dennoch auch jetzt schon bei uns im Ahrtal bedeutsam. So haben wir viele Gäste aus Belgien und den Niederlanden, und auf diese Gäste möchten wir auch verstärkt eingehen. Aktuell sind wir etwa dabei, unsere Webseite mehrsprachig zu gestalten, damit sich auch Gäste aus dem Ausland bei uns über die touristischen Angebote informieren können.
Wie sieht es mit Großprojekten wie einer geplanten Hängebrücke oder einem Skywalk aus? Braucht das Ahrtal diese Attraktionen wirklich?
Lambeck: Ich denke schon. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass solche Großprojekte nicht nur eine Strahlkraft haben, sondern auch wirtschaftliche Treiber sind. Wenn also Tagestouristen zu uns kommen, um die Hängebrücke zu besuchen, werden sie während dieses Ausflugs auch etwas in einem Café oder Restaurant im Ahrtal konsumieren oder vielleicht noch einen Einkaufsbummel machen. Solche Treiber benötigt man in einer Region. Und derzeit fehlen sie leider im Ahrtal.

Stichwort Wiederaufbau – Wie geht der eigentlich mit dem Ziel zusammen, das Ahrtal als Urlaubsregion zu bewerben?
Lambeck: Hier spielt das Thema Inszenierung eine bedeutende Rolle. Denn nach der Flutkatastrophe haben wir uns die Frage gestellt: Wie gehen wir mit dem Wiederaufbau um? Wollen wir ihn verstecken und kleinreden oder wollen wir den Wiederaufbau nutzen. Wir sind dann zu der Überlegung gekommen, dass wir gesagt haben: Hier spielt das Storytelling des Wiederaufbaus eine bedeutende Rolle. Wir sollten stolz darauf sein, was gerade in Sachen Wiederaufbau im Ahrtal passiert, und wir wollen nicht beim Urlauber den Eindruck erwecken, die Region wäre fertig. Vielmehr ist es uns ein Anliegen, dem Urlauber zu kommunizieren: „Wir sind mitten im Wiederaufbau. Und wenn du zweimal im Jahr zu uns kommst, wirst du jedes Mal eine Veränderung bei uns vorfinden.“
Was kann man sich im Ahrtal unter einem Storytelling des Wiederaufbaus ganz praktisch vorstellen?
Lambeck: Wir bieten etwa Informationen zum Thema Wiederaufbau in Form von Rundgängen durch das Flutgebiet an. Dieses Jahr haben wir zudem damit begonnen, entsprechende Führungen per Bimmelbahn anzubieten. Und wenn die Ahrtalbahn wieder fährt, soll dieses Angebot im gesamten Ahrtal noch erweitert werden. Denn eines ist doch klar: Für die Flutschäden müssen wir uns im Ahrtal nicht schämen. Vielmehr ist das, was hier im Ahrtal in Sachen Wiederaufbau gerade passiert, einzigartig in Deutschland. Knieps: Wir haben bereits kurz nach der Ahrflut gemerkt, dass viele Gäste am Thema Wiederaufbau interessiert waren. Von daher haben wir bereits 2022 die ersten Führungen in den Innenstädten von Bad Neuenahr und Ahrweiler angeboten. In Altenahr wird in diesem Jahr erstmals auch eine solche Tour angeboten. Ziel der geführten Touren ist, nicht nur die Fragen der Menschen zu beantworten, sondern auch darüber zu informieren, was gerade in Sachen Wiederaufbau im Ahrtal passiert. Darüber hinaus haben wir aber im vergangenen Jahr auch gemerkt, dass auch die Nachfrage nach klassischen Stadtführungen wieder gestiegen ist, und auch diese haben wir natürlich im Programm.

Kreis Ahrweiler investiert in den Tourismus
Gleich drei sogenannten Destinationsmanagementorganisationen ist der Kreis Ahrweiler kürzlich beigetreten. Was dahintersteckt, erklärte die Verwaltung unserer Zeitung.
Im Zusammenhang mit dem Thema Wiederaufbau spielt aber auch das Thema „offene Kommunikation“ eine Rolle?
Lambeck: In der Tat. Denn natürlich müssen sich Gäste, die derzeit ins Ahrtal reisen, darüber im Klaren sein, dass es hier noch nicht perfekt ist. Gleichzeitig ist es aber gerade aber für unsere Gäste spannend mitzuerleben, wie das Ahrtal den teilweise älteren Charme ablegt und sich in eine einzigartige Urlaubsregion auf modernstem Standard wandelt. Aber natürlich ist das Ahrtal als Urlaubsregion wenigstens derzeit nicht für jeden Gast gleichermaßen geeignet. Wer einen perfekten Urlaubsort sucht, der könnte im Ahrtal derzeit nicht überall glücklich werden. Wer sich aber auf das Ahrtal und die Region einlässt, der wird, so, wie er die Autobahn verlässt und ins Ahrtal kommt, in eine wunderbare Region eintauchen und eine spannende Zeit erleben. Wichtig ist, dass wir den Wiederaufbau als Chance begreifen. Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass das Ahrtal in zehn Jahren prägend und ein Vorreiter für andere Destinationen dafür sein wird, wie man aus Krisen lernen und etwas Neues entstehen lassen kann.
Der Ahrtal-Tourismus und die gefühlte Ahrregion
Der Ahrtal-Tourismus hat seinen Sitz am Kurpark in Bad Neuenahr. Zuständig ist er für das gesamte Ahrtal, welches laut seinem Geschäftsführer Andreas Lambeck zwischen Sinzig/Remagen beginnt und sich bis zur Quelle in Blankenstein erstreckt. „Die gefühlte Ahrtalregion aus der Sicht des Urlaubers ist dagegen deutlich weitergefasst. Denn wenn jemand im Ahrtal Urlaub macht, besucht er auch das Kloster Maria Laach oder fährt hoch zum Nürburgring. Für ihn geht die Region Ahrtal damit deutlich weiter“, so Lambeck und betont, von daher sei man beim Ahrtal-Tourismus bestrebt, das Ahrtal nicht in starren Gebietsgrenzen zu denken. clv