Begrünte Dachpfannen halten Regenwasser zurück und geben es erst langsam an die Kanalisation ab
Hochwasserschutz beginnt auf dem Dach: Heimersheimer setzt auf begrünte Dachpfannen
Bauherr Andreas Spilles-Mudra (links) mit einer einbaufertigen Pfanne und Grünpfannen-Erfinder Dirk Kieslich mit einer noch nicht bepflanzten Kunststoffkomponente. Hinten links ist bereits eine Dachhälfte „grün“ eingedeckt.
Frank Bugge

Mit einer nicht alltäglichen Idee will der Heimersheimer Andreas Spilles-Mudra seinen Beitrag zum Hochwasserschutz leisten: Er lässt sein Haus mit begrünten Dachpfannen decken.

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Andreas Spilles-Mudra aus Heimersheim hatte die Idee bereits vor der Flutkatastrophe im Juli 2021. Doch die Ahrflut bescherte der Familie im Einfamilienhaus in der Ernst-Thrasolt-Straße einen knapp bis an die Decke gefluteten Keller. Nach der Schadensbeseitigung, die unter anderem eine neue Pelletheizung brachte, folgte nun die lange geplante Sanierung des Satteldaches. 100 Quadratmeter der 130 Quadratmeter großen, neu wärmegedämmten Schrägdachfläche mit Solarthermieanlage werden begrünt. Das ist nicht nur ein Beitrag zur Ökologie, sondern auch zum Hochwasserschutz. Denn die von Dirk Kieslich entwickelte Dachbegrünungspfanne speichert Niederschlagswasser und gibt es zeitverzögert an die Abwasserkanäle ab.

„Unsere Gründächer fungieren also wie ein Schwamm: saugen auf, halten zurück und reduzieren damit die Wassermenge für die Kanalisation“, beschreibt auf der Baustelle in Heimersheim der Grünpfannen-Erfinder, Patentinhaber und Firmengründer aus Plettenberg im Sauerland. „Ein einziges Dach vermag hier natürlich noch nicht viel bewirken, aber es ist ein Anfang!“, sagt Kieslich und rechnet vor: „Ein Dach wie hier bei der Familie Spilles-Mudra hält mit unserem System begrünt knapp 190 Liter Wasser zurück. Zehn Dächer schaffen schon knapp 2000 Liter, und 1000 Dächer vermögen 190.000 Liter abzufedern.“ Sicherlich ein Mosaiksteinchen im Gesamtbild beim Kampf um die Hochwasservermeidung.

Seit 2021 in Serie

Nach Kieslichs Angaben hat seine Firma Mygreentop nach umfangreichen Versuchen und Prüfungen an einem Probedachstuhl die Entwicklungsphase abgeschlossen und Ende 2021 mit der Serienproduktion begonnen. Bisher seien mehr als 70 Dächer mit Neigungen zwischen 20 bis 60 Grad begrünt worden.

Die von dem Kunststoffingenieur konzipierte „Complete-Dachziegel“ besteht aus beständigem Recycling-Kunststoff und enthält 30 Prozent Glasfaser, leistet das gleiche wie eine konventionelle Dachpfanne, also Schutz vor Regen, Sturm und Hagel. Die Kunststoffkomponente sei UV- und witterungsstabil, gebe kein Mikroplastik frei und sei sehr umweltfreundlich und absolut nachhaltig „im Gegensatz zu einer klassischen Beton- oder Tonpfanne“. Sie hat die Maße und die Passform der weitverbreiteten Frankfurter Pfanne, kann als Austauschprodukt den bereits vorhandenen Dachstein ersetzen und braucht keine gesonderte Befestigung. In den Randbereichen bei Dachfenstern oder im First- und Traufbereich können konventionelle Dachpfannen verwendet werden.

Sicher vor Starkregen und auch bei Trockenheit

Die Grünpfannen werden bereits mit Substrat aus Lava, Bims und Blähton gefüllt und mit einem Sedum-Mix-Spezial aus den Niederlanden bepflanzt geliefert. In den zehn Wochen vor dem Einbau bildet sich in jedem „Stein“ eine feste Wurzelmatte, die durch die Regenwasserführung im Element auch im Sommer und in Trockenphasen nicht bewässert werden muss. Die Wurzelmatte widerstehe auf jedem Fall auch Starkregen und könne nicht ausgewaschen werden, versichert der Erfinder.

Ein Thema beim Regenwasserrückhalt auf dem Dach ist das Gewicht. Laut Kieslich wiegt die traditionelle Frankfurter Pfanne 4,35 Kilogramm, die Grünpfanne habe ein Rohteilgewicht von 1,3 Kilo plus Granulat und Vegetation und komme bei Bodenfeuchte auf 4,2 bis 4,3 Kilogramm. Der Kunststoffingenieur rechnet erneut vor: „Im vollständigen wassergesättigten Zustand erreichen wir dann temporär 55 bis maximal 60 Kilogramm pro Quadratmeter.“ Die statische Auslegung von Dächern liege zwischen 120 bis 150 Kilo pro Quadratmeter. Da sei das Wasserspeichern kein Problem. Andreas Spilles-Mudra, selbst Prozessingenieur, hat bei der Dachsanierung seinem Dachdecker diese Daten weitergegeben, und sie wurden beim Dachunterbau berücksichtigt.

Stadt gibt Zuschuss

Eine Grünbedachung sei pro Quadratmeter dreimal so teuer wie eine herkömmliche Dacheindeckung. Im Vergleich zu einer konventionellen Schrägdachbegrünung mit herkömmlichen Techniken sei Kieslichs System allerdings um die Hälfte günstiger, rechnet Andreas Spilles-Mudra vor. Zudem gebe es von der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler für Fassaden- und Dachbegrünung einen Zuschuss von bis zu 2000 Euro.

Dirk Kieslich rechnet noch die mögliche Reduzierung der kommunalen Niederschlagsgebühr sowie die zu erwartenden Heizkostenersparnisse durch verbesserte Wärmedämmung vor. Im Sommer garantiere die Begrünung eine Kühlung gerade der Dachgeschossräume. Der gemischte Bewuchs erhöhe die Biodiversität. Schließlich sei jedes grüne Dach ein CO2-Senker.

Auf der Suche nach einem Dachdecker, der die Gründeckung vornimmt, ist die Familie Spilles-Mudra direkt vor Ort fündig geworden. Die Heimersheimer Dachdeckerfirma Orth hatte keine Probleme, die Arbeiten auszuführen, wie Juniorchef Maximilian Orth bestätigte. „Ich bin froh, dass die Firma Orth unser Experiment mitmacht“, bedankte sich der Bauherr.

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