Teilnehmer lernen in Sinzig, sich mit allen Sinnen für die grüne Oase zu öffnen und richtig zu entspannen
Hilfe aus der Natur: Wie Waldbaden die Menschen entschleunigt
Naturcoach Katrin Dahmen (2.von rechts) leitet die Teilnehmer an, sich mit allen Sinnen für den Wald zu öffnen. Foto: Judith Schumacher
Judith Schumacher

Sinzig. Eine kleine Spinne huscht über den Weg, Farne leuchten in der Abendsonne – über allen Wipfeln ist Ruh. Von Dichtern seit jeher als Balsam für die Seele beschrieben, wird der vom Klimawandel gebeutelte Wald nun zunehmend als Quell der Gesundheit neu entdeckt. Waldbaden heißt der Trend, der seit den 1980er-Jahren in Japan praktiziert wird und nun nach Europa rüberschwappt – genauer gesagt: in den Sinziger Stadtwald.

An der Schmicklerhütte bei Löhndorf treffen sich sechs Frauen und ein Mann aus Rheinbach, Euskirchen und Bad Bodendorf unter der Leitung von Katrin Dahmen aus Bad Münstereifel. Sie weiß: „Studien haben ergeben, dass Kranke, die sich im Wald aufhalten, um ein Drittel schneller gesund werden als solche, die auf Beton schauen.“ Die Biologin, die für das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet, ist zugleich Naturcoach und Dozentin an einer Heilpraktiker-Schule in Wuppertal. „Als ich das erste Mal vom Waldbaden gehört habe, wusste ich sofort, das ist meins“, sagt sie. Zehn Veranstaltungen wird sie in diesem Jahr in Sinzig anbieten, nachdem sie die Genehmigung des Ahrweiler Forstamtsleiters Bolko Haase, der Stadt Sinzig und ihres Försters Stephan Braun erhalten hat.

Karen, Marietta, Mylene, Iris, Sabine und Ralph stehen im Kreis und klopfen sich auf Geheiß von Katrin Dahmens erst mal den Rücken ab, um ein wenig von dem Alltagsballast loszuwerden. Die Teilnehmer erfahren kurz einiges Wissenswerte über Terpene, die Duftstoffe der Bäume, mit denen diese kommunizieren – und dass beim Waldbaden das Herzschutzhormon ausgeschüttet wird, sich der Blutdruck senkt und einem Burn-out vorgebeugt wird. Dann geht es schlendernd los. Alle Antennen sollen ausgefahren, alle Sinne geöffnet werden. Achtsam sein bei jedem Schritt und wahrnehmen, was um einen herum ist, heißt es. Zunächst ist da noch die Geräuschkulisse der Autobahnbrücke. Ein paar Hundespaziergänger, Mountainbiker und Jogger ziehen vorüber. Abseits der Hauptwege wird es ruhiger. „Ihr habt jetzt die Gelegenheit, mit Ruhe und Zeit in der Natur und bei euch selbst anzukommen“, sagt die Kursleiterin. Einige bleiben stehen, halten ihr Gesicht in die Sonne, lehnen sich an Bäume und genießen den leichten Wind auf der Haut.

„Mal was anderes, als wie sonst im Schweinsgalopp Gassi zu gehen“, meint Iris. Vor dem ersten Halt soll jeder einen Stein aufklauben. Diese werden zu einem kleinen Kreis zusammengelegt, nachdem jeder benennt, was der Wald für ihn bedeutet: ein Zuhause, seelisches Überleben, Heimat, Entspannung, intensives Naturerlebnis oder gar ein Gottesdienst an sich selbst. Weiter geht es und tiefer in den sonnenbeschienenen Mischwald. Ein Raubvogel zieht still seine Kreise über dem schützenden Blätterdach, Spinnweben wehen sacht, der Geruch frischer Erde, Harz und Waldmeister liegt in der Luft, auf dem Waldboden ein Schmetterling, der mit aufgespannten Flügeln die letzten Sonnenstrahlen aufnimmt.

Die Schatten der Waldbadenden werden allmählich länger. Es raschelt hier und dort im Laub. Wieder wird ein Kreis gebildet. Mit geschlossenen Augen geben sich die Teilnehmer verschiedene Naturmaterialien weiter, die sie gesammelt haben. „Tastet und fühlt, wie unterschiedlich die Dinge sind“, lautet die Anweisung. Ein Schwammpilz, Moos, eine Baumrinde, stacheliger Ilex, eine Vogelfeder oder ein Lärchenzweig sind die Relikte, die herumgereicht und ausgiebig erkundet werden. „Mir sind die unterschiedlichen Beschaffenheiten aufgefallen – von völlig abgestorben bis noch lebend und frisch“, sagt Ralph. Bei einigen kommen Erinnerungen an die Kindheit hoch. „Ich habe alles ausgeblendet, was außerhalb unseres Kreises war“, sagt Sabine. Iris hat eine Baumscheibe unter den Arm geklemmt. „Der Mensch war schon immer Jäger und Sammler“, meint sie nur und ärgert sich über einen Autofahrer, der mitten im Wald anhält, um mit seinem Schweißhund und einem Eimer zu einer Kirrung für Wild geht.

Doch der Ärger hält nur kurz an, denn nun sollen die Teilnehmer wie Katzen schleichen und mit ihren Füßen den Boden küssen. Beim nächsten Halt zerstreuen sie sich mit einem Spiegel in der Hand ins Grüne und sollen sehen, was sie dabei wahrnehmen. Dann ertönt das Glöckchen, mit dem Katrin Dahmen das Ende der Übung einläutet. Für Karin sieht der Wald im Spiegel perfekter aus, Sabine stellt sich vor, dass im nächsten Moment Fantasiewesen ins Bild kommen. Mylene kommt sehr nachdenklich zurück, sagt jedoch nichts. Doch der zweifachen Mutter, die zudem einen Vollzeitjob hat, merkt man die zunehmende Entspannung deutlich an.

Mit einem Gedicht von Auguste Kurs mit dem Titel „Nur eine Stunde im Wald“ entlässt Katrin Dahmen die Kursteilnehmer in die „Solozeit“. Heißt: eine Viertelstunde nur für sich sein. Auch die letzte Übung genießen die Teilnehmer sichtlich. Mit geschlossenen Augen den grünen Nebel der Terpene einatmen und samt einem Lächeln in alle Körperregionen schicken. Am Ende steht für alle fest: Diese zweieinhalb Stunden im Sinziger Stadtwald waren Entschleunigung pur.

Zweieinhalb Stunden Waldbaden kosten 19 Euro, drei Stunden 22 Euro und vier Stunden 27 Euro. Weitere Infos gibt es im Internet unter www.waldbaden-eifel.de

Von unserer Mitarbeiterin Judith Schumacher

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