Koblenz/Bad Neuenahr
Hat Angeklagter in Tanger Sonnenbrille geshoppt, als in Bad Neuenahr Geldautomat explodierte?
Die Spurensicherung in der Commerzbank Bad Neuenahr am 6. März 2019. (Archivbild)
Hans-Jürgen Vollrath

Koblenz/Bad Neuenahr. Am Landgericht ist der Prozess um die Geldautomatensprengung an der Commerzbank Bad Neuenahrer weitergegangen - mit einem angeblichen Alibizeugen und einem Befangenheitsantrag.

Die Spurensicherung in der Commerzbank Bad Neuenahr am 6. März 2019. (Archivbild)
Hans-Jürgen Vollrath

Die beiden Männer kamen am frühen Mittwochmorgen nach Bad Neuenahr. Ihr Ziel am 6. März 2019: die Commerzbank in der Telegrafenstraße. Im Vorraum der Bankfiliale führten sie ein Gasgemisch in den Geldautomaten ein. Gegen 5.15 Uhr zerriss eine gewaltige Explosion die Stille. Die Täter erbeuteten 100.000 Euro und flüchteten. Wenig später wurden sie gefasst. Seit Ende Dezember 2021 wird der Überfall vor dem Landgericht in Koblenz verhandelt. Dabei sind Überraschungen nicht ausgeschlossen.

Ein 30-Jähriger Niederländer muss sich seit mehr als neun Monaten wegen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion verantworten. Kurz vor dem erwarteten Ende der Beweisaufnahme geriet der Prozess nun abrupt ins Stocken: Die Verteidigung stellte in der Verhandlung mit zahlreichen, teils langen Unterbrechungen einen Befangenheitsantrag gegen die gesamte Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Anne Werner. Schluss war damit noch lange nicht: Der Prozess lief weiter. Über das Ablehnungsgesuch gegen die beiden Berufsrichter und die Schöffen muss noch entschieden werden. Vorausgesetzt der Befangenheitsantrag wird durch einen anderen Richter abgewiesen, sind drei weitere Fortsetzungstermine in dem Strafverfahren terminiert.

Mail vom marokkanischen Optiker

Die Verteidigung stellte zudem den Antrag auf Ladung und Vernehmung eines Alibizeugen. Laut Verteidiger betreibt der Mann in Marokko ein Optikergeschäft und lebt auch dort. Er könne im Zeugenstand bestätigen, dass der Niederländer zum Tatzeitpunk bei ihm in Tanger eine Sonnenbrille gekauft habe. Tatsächlich präsentierte der Rechtsbeistand dem Gericht dann auch am Montagmorgen als Beweismittel eine tagesaktuelle E-Mail aus Marokko, in der der Absender die Kammer darüber informierte, dass der Niederländer bereits am 28. Februar 2019 eine Sonnenbrille bestellt und am 6. März in Tanger auch abgeholt habe. Aus Sicht der Verteidigung belegt die E-Mail, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt gar nicht in Deutschland, geschweige denn als Täter in Bad Neuenahr, gewesen sein kann.

Schlussendlich lehnte das Landgericht aber den Beweisantrag der Verteidigung auf Vernehmung des Zeugen ab, weil’s zur „Erforschung der Wahrheit“ nicht erforderlich sei. Die Kammer ging in ihrem Beschluss davon aus, dass sich der Optiker nach so langer Zeit nicht mehr zweifelsfrei daran erinnern könne, dass der Mann tatsächlich am 6. März in dem Geschäft in Tanger war. Kurzum: Anhand von Indizien ist sich das Gericht recht sicher, mit dem 30-jährigen Angeklagten einen der Automatensprenger vor sich zu haben.

In der Tat: Besonders unangenehm für den Niederländer fällt ein Gutachten des Landeskriminalamtes aus. DNA-Analysen von Mischspuren auf einem sichergestellten Handy und ein Abgleich mit europäischen Datenbanken geben Hinweise von „erhöhter Aussagekraft“, die dem 30-Jährigen zugeordnet werden. Zudem habe ein Augenzeuge den Täter anhand von Fotos der Polizei identifizieren können, meinte Richterin Werner.

Der Zeuge war der Platzwart des SC Bad Bodendorf, den die Automatensprenger am 6. März kurze Zeit als Geisel genommen hatten. Während dieser bei der polizeilichen Wahllichtbildvorlage hatte noch einen der Täter identifizieren können, tat er sich seinerzeit bezüglich des 30-Jährigen Niederländers viel schwerer: „Er hat große Ähnlichkeit“, hielt er bei seiner Vernehmung fest. Eine Steilvorlage für die Verteidigung. „Die Aussage des Zeugen spiegelt ein hohes Maß an Unsicherheit wider. Die Behauptung der Kammer, der Zeuge habe den Angeklagten auf den vorgelegten Fotos wiedererkennen können, die ist schlichtweg falsch“, lehnte der Rechtsanwalt folglich die gesamte 12. Strafkammer wegen Befangenheit ab. An Ende des Tages sprach sich derweil der Staatsanwalt gegen den Befangenheitsantrag aus.

So gingen die Täter in der Bank vor

Laut Staatsanwaltschaft soll der 30-jährige Angeklagte tatsächlich gewusst haben, wie man Geldautomaten mit einem Gasgemisch sprengt. An jenem Mittwochmorgen habe sich der Mann mit einem Mittäter in die Filiale der Commerzbank begeben. Dort hätten beide mithilfe eines Brecheisens das Bedienmodul des Geldautomaten herausgehebelt, in den hierdurch zugänglich gewordenen Hohlraum ein Acetylen-Sauerstoffgemisch eingefüllt und dieses mit einem Elektroschocker über eine Zündleitung vom Eingangsbereich der Bank aus zur Explosion gebracht. Durch die Druckwelle sei der im Automaten eingebaute Tresor geöffnet worden.

Von unserem Mitarbeiter Horst Bach

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