Nach 25 Jahren verabschiedet sich der Abgeordnete aus Bad Breisig von der landespolitischen Bühne - Bilanz und Ausblick
Guido Ernst: „Die Landespolitik muss zulegen“
Treffsicher: Ernst beim Handwerkerfest an der Ahr-Akademie. Archivfotos: Vollrath
Vollrath

Kreis Ahrweiler. Am Sonntag, 14. März, wird der neue Landtag gewählt. 25 Jahre war der Christdemokrat Guido Ernst aus Bad Breisig Mitglied des Parlaments. Jetzt ist Schluss. Mit 70 geht der studierte Gymnasiallehrer in den landespolitischen Ruhestand. Wie fällt seine Bilanz aus nach mehr als zwei Jahrzehnten als direkt gewählter Abgeordneter von der Rheinschiene und dem Brohltal?

Am 29. Januar war die letzte Plenarsitzung des rheinland-pfälzischen Landtags in dieser Legislaturperiode. Für Sie die letzte Ihrer politischen Laufbahn. Was ist Ihnen bei der Sitzung durch den Kopf gegangen?

So richtig Wehmut konnte bei der Sitzung nicht aufkommen, weil wir in den vergangenen Monaten wegen Corona in der Mainzer Rheingoldhalle und nicht im Landtagsgebäude getagt haben. Wehmut wird aufkommen, wenn ich dann noch mal die Fraktion in Mainz besuchen werde.

Können Sie sich noch an Ihre erste Sitzung 1996 erinnern?

An die Sitzung selbst, nicht wirklich. Aber die Stunden davor. Das war ein Berufsstart mit Verspätung. Ich bin mit Landtagskollegen aller Fraktionen mit der Bahn nach Mainz zur ersten Sitzung der Legislaturperiode gefahren, und dieser Zug hatte eineinhalb Stunden Verspätung. Wir haben damals noch über das Zugtelefon den Landtag informiert.

Warum sind Sie vom Lehramt in die Politik gewechselt?

Ich komme aus der Kommunalpolitik. Das war stets meine politische Heimat, und sie ist es auch heute noch. Es hat mich aber schon früh gereizt, meine politische Arbeit auf höherer Ebene fortzusetzen und mich für meinen Wahlkreis auch in Mainz einzusetzen und nachhaltig etwas zu bewegen. Kommunalpolitik und Landespolitik haben schließlich viele Gemeinsamkeiten. Hier wie dort gilt: Politik ist immer eine Gemeinschaftsleistung, ein Ringen um den richtigen Weg.

Wie würde Sie sich selbst politisch charakterisieren, gibt es politische Vorbilder?

Für mich heißt Politik nicht, den eigenen Willen auf Biegen und Brechen durchzusetzen, sondern einen gemeinsamen Weg zu finden. Ich gehe gern voran, aber ich bin auch immer Mannschaftsspieler. Von Gerhard Steffens, meinem Vorgänger als Landtagsabgeordneter, habe ich viel gelernt.

25 Jahre in der Opposition, haben die nicht mürbe gemacht?

Ein Zuckerschlecken war das wirklich nicht, aber mich hat es nicht mürbe gemacht. Die CDU war mehrmals kurz davor, Regierungsverantwortung zu übernehmen, aber leider gab es auf den letzten Metern dann immer wieder Rückschläge. Die CDU-Fraktion hat in 25 Jahren nie lockergelassen und auch aus der Opposition heraus einiges erreicht. Mal im zweiten, mal im dritten Anlauf. Unsere Beharrlichkeit hat sich oft durchgesetzt.

Opposition heißt in der praktischen Arbeit: Du hast gute Ideen als Partei und die kommen dann auch irgendwann mal wieder. Nur nicht von dir und deiner Partei, sondern in leicht abgeänderter Form von der Regierungsbank. Da hilft es auch nichts, dass man „dicke Backen“ macht. Aber wir können auch Erfolge vorweisen, etwa im Schulbereich. Die von der SPD gewünschte flächendeckende Integrierte Gesamtschule und Abschaffung anderer Schulformen haben wir mithilfe der Eltern- und Lehrervertretungen und öffentlichem Druck verhindert.

Sind Sie grundsätzlich zufrieden mit der Landespolitik?

Insgesamt muss die Landespolitik zulegen. Wir müssen die Themen, die es auf Landesebene gibt, besser zu den Bürgern transportieren. Kommunalpolitik interessiert jeden, mit der Bundespolitik wird man den ganzen Tag berieselt. Das Interesse an der Landespolitik ist aber eher gering. Wir sind nicht im Fokus des Wählers, nicht im Fokus der Bevölkerung. Wenn die Landespolitik in den Fokus gerät, dann zumeist durch Skandale: Minister muss ins Gefängnis, Ministerin tritt zurück, der Nürburgring-Skandal oder Versäumnisse der Regierung beim Flughafen Hahn. Aber das ist ja nicht Sinn und Zweck von Politik, dass die Leute so auf Landesthemen aufmerksam werden.

Mangelt es uns an dem Gefühl, Rheinland-Pfälzer zu sein? Die Bayern scheinen da ganz anders unterwegs zu sein.

Wir können sicherlich noch mehr zusammenwachsen. Ein Beispiel: Der Bonn-Berlin-Ausgleich: Das ist für uns im Norden ein spannendes und wichtiges Thema, aber interessiert im Süden des Landes kaum jemand. Oder das Beispiel Bundesgartenschau 2031 am Mittelrhein zwischen Koblenz und St. Goar. Da hat man uns im Norden des Mittelrheintals nicht auf dem Schirm. Da waren wir schnell raus. Als Reaktion auf diese Absage der Nachbarn ist übrigens das Projekt „Starke Kommunen, starkes Land“ unter meiner Mitwirkung entstanden. Hier arbeiten links- und rechtsrheinische Verbandsgemeinden und Städte von Weißen-turm bis Remagen zusammen.

Wo sehen Sie die Hauptaufgabe des Landtagsabgeordneten? Was kann der Abgeordnete bewirken?

Im klassischen Sinne hat er die Aufgabe, durch seine politische Arbeit das Wohl der Menschen im Land zu fördern. Durch seinen direkten Bürgerbezug, den er lokal und regional hat, weißt er, was die Menschen bewegt, und kann sich für ihre Belange einsetzen. Im Parlament nimmt er mit seinem Stimmrecht Einfluss darauf, wie sich das Land wirtschaftlich, kulturell, bildungspolitisch entwickelt.

Vor Ort bin ich der „Herr Kaiser“, wie aus dem Werbespot einer Versicherung. Eigentlich ein Dienstleister, einer der Türen zu Ministerien aufmacht und nach Lösungen mit den Behörden sucht. Die Bürger sprechen mich an und tragen mir ihre Sorgen vor. Es ist oft viel Kleinkram, aber die Menschen erwarten eine Antwort von mir, um die ich mich zu kümmern habe. Folglich ein fester Bestandteil meiner Arbeit und eine, die ich mit Herzblut ausgefüllt habe.

Welche Bedeutung hat der Landtag heute? Funktioniert das demokratische Spiel von Opposition und Regierung noch? Wie hat sich die politische Landschaft verändert?

In Rheinland-Pfalz funktioniert das nur bedingt. Es ist Zeit für einen Regierungswechsel. Die Parteienlandschaft ist vielfältiger geworden. Linke und AfD sind dazugekommen und in manchen Landtagen sind auch die Freien Wähler vertreten. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Stimmenverhältnis, aber auch auf die Diskussionen.

Empfinden Sie die AfD als Gefahr für unsere Demokratie?

Die von Lucke gegründete AfD war eine Partei, deren Überzeugungen man nicht teilen musste, die man aber nicht als Gefahr für die Demokratie ansehen musste. Das ist heute anders. Nicht umsonst werden Teilorganisationen der AfD vom Verfassungsschutz beobachtet. Gelingt es der AfD nicht, sich von diesen Leuten zu trennen, kann man sie als Gefahr für die Demokratie ansehen. Mich beruhigt auch nicht der Hinweis, dass es ähnliche Parteien fast überall in Europa gibt. Deutschland hat eine andere Geschichte.

Sind Parteien noch zeitgemäß, oder wie können die etablierten Parteien verhindern, dass sie von Populisten über die sozialen Medien abgewählt werden?

Für die Organisation von demokratischer Willensbildung sind die Parteien immer noch wichtig. In Parteien kann ich mich einbringen, mitdiskutieren, die politischen Vertreter auswählen, mir eine Meinung bilden. Alles das geschieht in strukturierten, demokratischen Prozessen. Leider engagiert sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in Parteien. Lieber engagiert man sich heute projektorientiert.

Natürlich müssen sich die Parteien auch der sozialen Medien bedienen. Sich allerdings allein darauf oder vorrangig darauf zu konzentrieren, wäre ein Fehler. Ich glaube, dass viele Bürger sich ihre politische Meinung noch immer über Berichte in den hergebrachten Medien bilden. Und zum Glück kann man bei Facebook und Co. ja nicht wählen.

Wie würden Sie den Zustand von Rheinland-Pfalz im Bundesvergleich beschreiben?

Im politischen Ranking der Bundesländer liegt Rheinland-Pfalz im Mittelfeld. Damit kann man sich zufriedengeben, man kann aber auch mehr erreichen wollen.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Im schulischen Bereich liegen wir auch im Mittelfeld, bei den Grundschulen manchmal etwas schlechter. Das kann doch nicht der Anspruch sein. Schauen Sie sich die ganze „Reformitis“ im Schulbereich der vergangenen 20 Jahre an. Eine Schulart wurde von der anderen abgelöst, eine Qualitätsoffensive jagte die nächste. Und dann dieses Ergebnis? Auch bei der Digitalisierung hinken wir meilenweit hinterher. Im Finanzausgleich zwischen den Bundesländern war Rheinland-Pfalz mal Geberland, heute fühlen wir uns als Nehmerland wohl. In der Liste der am stärksten verschuldeten Kommunen in Deutschland liegen wir mit mehreren Teilnehmern in der Spitzengruppe, dank eines kommunalen Finanzausgleichs, den das Landesverfassungsgericht nun schon zweimal beanstandet hat.

Also, alles schlecht in Rheinland-Pfalz?

Nein, das will ich damit nicht sagen. Aber es ist noch sehr viel Luft nach oben. Schule, Digitalisierung, die Versorgung mit Ärzten auf dem Land, die hohe Verschuldung von Kommunen und Städten sind große Baustellen im Land. Oder nehmen wir das Thema Sicherheit: Die Polizei ist unterbesetzt. Es kann nicht sein, dass nachts weit und breit nur ein Streifenwagen besetzt werden kann. Sichtbarkeit schafft Sicherheit.

Wo liegen die Herausforderungen für die Zukunft des Landes?

Zunächst alles tun, um gemeinsam mit dem Bund die Pandemie zu bewältigen. Wir müssen uns den Herausforderungen des Klimawandels stellen, wir müssen bei der Digitalisierung Gas geben, die Kommunen durch einen besseren Finanzausgleich wieder handlungsfähig machen, den ÖPNV besser machen, mehr Lehrer für kleinere Klassen einstellen und mehr Sicherheit durch mehr Polizisten gewährleisten.

Wer gewinnt die Landtagswahl, wer gewinnt die Direktmandate in den beiden Wahlkreisen im AW-Land?

Nach jetzigen Umfragen die CDU, aber es scheint knapp zu sein. Wichtig ist zunächst einmal, stärkste Fraktion zu werden, dann wird man über Koalitionen verhandeln. Bei den Direktmandaten im Kreis Ahrweiler setze ich natürlich klar auf Petra Schneider und Horst Gies.

Und was kommt jetzt bei Guido Ernst? Pläne für die Zukunft?

Ich freue mich auf mehr Zeit für die Familie. Meine Frau und ich machen jetzt einen Spanischkurs an der Volkshochschule und haben Reisepläne, auch mit dem Freundeskreis aus dem Landtag. Und dann muss ich die Bücher noch lesen, die ich mir in der Corona-Zeit bei Buchhändlern in der Region bestellt habe. Kommunalpolitisch bin ich ja auch weiterhin in Stadt- und Verbandsgemeinderat Bad Breisig und im Kreistag engagiert.

Das Gespräch führte Uli Adams

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