Marcel Werner, Fraktionsvorsitzender der CDU, bringt das Empfinden vieler Kommunalpolitiker aus der Grafschaft in einem knappen Satz auf den Punkt: „Es ist ein ausgeglichener Haushalt, zu Lasten unserer politischen Gestaltung.“ Dieser Eindruck zog sich durch die gesamte Gemeinderatssitzung – und ließ nur wenig Hoffnung für neue Projekte aufkommen. „Wir mussten viele Projekte schieben, die uns sehr am Herzen liegen“, so Werner weiter. „Wir verabschieden hier einen Haushalt, der uns unsere Grenzen des Machbaren aufzeigt.“
Die Steuereinnahmen der Grafschaft sind hoch
Und auch Hubert Münch, SPD-Fraktionsvorsitzender, stellte in seiner Rede fest: „Einen Haushalt aufzustellen ist immer eine Herausforderung und selten vergnügungssteuerpflichtig. Aber in diesem Jahr tut es weh. Uns im Rat und sicher auch den Bürgerinnen und Bürgern. Wir werden die Hebesätze für die Grundsteuern und die Gewerbesteuer erhöhen, spürbar für jeden einzelnen Haushalt und jedes Unternehmen. Da tröstet es wenig, dass die letzten Erhöhungen 2011 oder bei der Gewerbesteuer gar 2001 erfolgt sind.“
Lothar Barth, Fraktionsvorsitzender der Freien Wählergemeinschaft, zeigt sich allerdings mit Blick auf die kommenden Jahre optimistisch: „Die Steuereinnahmen der Grafschaft sind hoch. Immer nur jammern über auswärtige Einflüsse, die uns irgendwas verhageln, bringt nichts. Wir müssen lernen, das Machbare personell und finanziell von dem riesigen Wunschzettel herauszufiltern und das gegenüber der Bevölkerung kommunizieren.
Die FWG ist überzeugt, dass die Grafschafter Bevölkerung von uns allen diese Offenheit zur schonungslosen Prüfung und Evaluierung beschlossener Dinge und eingefahrener Wege erwartet.“ Unwägbarkeiten wie die möglichen Auswirkungen einer Strom- und Gaspreisbremse und weitere Kostensteigerungen 2023 erschwerten die Haushaltsberatungen für das kommende Jahr.
Von den einstmals 15 Anträgen der Fraktionen wurden nur drei Anträge angenommen
So kam es dann auch, dass die Ortsbeiräte und Fraktionen diverse Anträge auf die Einstellung von Mitteln für verschiedene Projekte stellten. Manche erst so kurzfristig vor der Gemeinderatssitzung, dass sie zum einen nicht mehr vorberaten werden konnten und zum anderen dazu führten, dass sich CDU-Ratsmitglied Bruno Zimmermann eine „Antragsfrist bis zum Hauptausschuss“ wünschte. Seines Wissens nach seien noch nie so viele kurzfristige Anträge der Ortsbeiräte gestellt worden wie bei diesem Haushalt.
Letztendlich nahm der Gemeinderat die Anträge der Ortsbeiräte zur Kenntnis und beschloss sie gemäß der Vorlage mit zwei wesentlichen Änderungen: Die Anzahl der durch den Ortsbeirat Bengen beantragten Buswartehallen wird von zwei auf drei erhöht, und die Mittel für eine elektrische Polleranlage in Ringen wurden gestrichen.
Von den einstmals 15 Anträgen der Fraktionen wurden zudem nur drei Anträge angenommen. Dabei handelt es sich unter anderem um den Antrag der CDU, einen Deckungsvorschlag für Ortsbezirksmittel zur Förderung von Sozialprojekten und für das Kultur- und Vereinsleben. Für diese Bereiche sollen 35.000 Euro aus anderen Ansätzen „Freiwilliger Leistungen“ den Ortsbeiräten zur abschließenden Entscheidung zur Verfügung gestellt werden, heißt es in dem Antrag.
Die Summe könnte laut CDU gedeckt werden aus Teilen des Zuschusses ÖPNV-Seniorenticket (15.000 Euro), der Mitgliedschaft Tourismusförderung (7000 Euro), des Zuschusses Jugend- und Seniorentaxi (6000 Euro), der sozialen Förderung Pflegebedürftiger (5000 Euro) und der Ernährungsbildung für Kinder und Jugendliche (2000 Euro). Nun soll ein Sachbeschluss mit einem eigenen Tagesordnungspunkt im Jahr 2023 gefasst und der Posten für den Nachtragshaushalt eingebracht werden.
Genervte Mienen wegen der Technik
Ebenfalls beschlossen hat der Rat einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Darin geht es um die Einstellung von 40.000 Euro in den Haushalt 2023 für Planungsmittel, um das geplante Radverkehrskonzept in der Grafschaft im kommenden Jahr fortzuschreiben und drei weitere Routen in die Planung aufzunehmen. Auch könnte der Bau einer Fahrradbrücke in Ringen geprüft werden. Der dritte vom Rat genehmigte Antrag kam von Seiten der Sozialdemokraten, zusätzliche Mittel für E-Ladestationen in Zusammenhang mit dem Ausbau der Fotovoltaikanlagen auf der Grafschaft in den Haushalt einzustellen.
Für genervte Mienen sorgte bei der jüngsten Ratssitzung unterdessen noch die Technik. Die Sitzung fand in der Mensa des Are-Gymnasiums in Ringen statt, die laut Bürgermeister Achim Juchem über eine massive und vor allem laute Belüftungsanlage beheizt wird. Während des ohnehin streckenweise recht lauten Rauschens passierte es dann immer wieder, dass die Tischgeräte, also Mikrofone und Lautsprecheranlagen, ausfielen. So fingen in dieser Sitzung außergewöhnlich viele Aussagen der Fraktionsvertreter mit „Funktioniert es jetzt wieder?“, „Bin ich zu hören?“ oder „Könnte ich bitte das Handmikrofon haben?“ an.
Steuern werden angezogen – Gebühren steigen
Der Gemeinderat hat einen ausgeglichen Haushalt für 2023 anvisiert. Das ist allerdings nur möglich, weil die Grafschaft Privatpersonen und Gewerbetreibende zur Kasse bittet. Und voraussichtlich werden auch die Kosten für die Abwasserbeseitigung und die Wasserversorgung steigen.
Konkret wird es, wenn es um die Abwassergebühren im Jahr 2023 auf der Grafschaft geht. Klare Empfehlung des Werksausschusses: Die Gebühren müssen angepasst werden. Bürgermeister Achim Juchem spricht allerdings von einer „vergleichsweise moderaten“ Gebührenanhebung. Sie sei „unvermeidbar gewesen angesichts der sonst kommenden Verluste des Abwasserwerkes.“ Laut der Kalkulation bedeutet das für einen Vier-Personen-Haushalt Mehrkosten zwischen rund 70 und 90 Euro pro Jahr. Und die Kosten für die Wasserversorgung steigen ebenfalls. Hier kommen auf einen durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt noch einmal rund 150 Euro pro Jahr an Mehrkosten dazu.
Beides sorgte bei den Fraktionsmitgliedern für Stirnrunzeln, es herrschte aber Konsens, dass die Anhebung notwendig ist. So ließ Hans-Peter Moog (SPD) verlauten: „Wenn wir jetzt die Gebühren nicht anpassen, wird die Steigerung in den Folgejahren nur umso massiver ausfallen.“ Zuletzt seien die Gebühren für die Abwasserbeseitigung 2006 angepasst worden.
Und Peter Kündgen (FWG) meinte dazu: „Ich habe persönlich das Gefühl, dass überall aktuell die Kosten explodieren. Vielleicht sollten wir insgesamt mal überlegen, wo man sonst die Kosten für den Bürger senken kann.“ Zudem hat der Gemeinderat eine Anhebung der Realsteuersätze beschlossen. Demnach wird die Grundsteuer A von vormals 285 Prozent auf 345 Prozent, die Grundsteuer B von 338 auf 365 und die Gewerbesteuer von 330 auf 380 Prozent angehoben.
Die Gemeindeverwaltung teilte dazu mit: „Mit Blick auf die ohnehin schon aktuell hohe Belastung der privaten Haushalte sollte bei der Grundsteuer B nur eine moderate Erhöhung gewählt werden.“ Nach den aktuellen Hebesätzen würde das zusätzliche Kosten in Höhe von 20 Euro pro Haushalt im Jahr 2023 bedeuten. dcc