Ein Kandidaten-Quartett bewirbt sich bei den Bürgern im Kreis Ahrweiler für die Wahl am 23. Januar
Führung gesucht: Wer wird neuer Landrat im Kreis Ahrweiler?
Abriss und Aufbau kennzeichnen das Bild im Ahrtal. Viele Infrastrukturfragen für ein modernes Tal sind aber noch nicht entschieden.
imago images/Reichwein

Jetzt ist es amtlich: Wenn am Sonntag, 23. Januar, der neue Landrat für den Kreis Ahrweiler gewählt wird, stehen vier Namen auf dem Zettel für die rund 100.000 stimmberechtigten Bürger im Kreis Ahrweiler.

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Abriss und Aufbau kennzeichnen das Bild im Ahrtal. Viele Infrastrukturfragen für ein modernes Tal sind aber noch nicht entschieden.
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Der Wahlausschuss des Kreises hat die Kandidaturen von Christdemokrat Horst Gies, dem überparteilichen Bewerber Christoph Schmitt (SPD) sowie von Cornelia Weigand und Axel Ritter, beide parteilos, für den Wahlsonntag zugelassen. Wer auch immer aus dem Kandidatenquartett am vierten Sonntag im neuen Jahr das Rennen macht, er steht vor einer Herkulesaufgabe.

Rund 150 Tage nach der Flutkatastrophe präsentiert sich der Kreis bei vielen Zukunftsfragen immer noch wie in einer Schockstarre. Von der viel beschworenen Modellregion scheint man weiter entfernt denn je. „Es hakt an allen Ecken. Es fehlt die starke Führung nach innen wie nach außen“, beschreibt einer die Situation, der seit Monaten ganz nah am Geschehen ist. Bei allen wichtigen Infrastrukturfragen gebe es kein Fortkommen, keine Richtungsentscheidung. Wie sicher vor Hochwasser ist die Wasserversorgung? Was ist mit der Abwasserentsorgung? Nur noch ein hochmodernes Klärwerk entlang der Ahr, oder werden die schwer beschädigten Abwasseranlagen an der Mittel- und der Unterahr doch wieder aufgebaut? Was ist mit der Wärmeversorgung? Setzt man künftig entlang der Ahr auf Gas, Luft-Wärme-Pumpen, wo früher Ölheizungen standen? Oder auf eine moderne und klimafreundliche Wärmeversorgung, etwa kleine Nahwärmenetze, wie sie die Gemeinden Mayschoß, Rech und Dernau für sich geplant haben? Und wird aus dem Ahrtal ein SolAhrtal?

Alles Entscheidungen, die nicht unmittelbar in den Aufgabenbereich eines Landrates fallen. Schon in der Vergangenheit hat man sich in der Ahrweiler Kreisverwaltung gerne auf die kommunale Selbstverwaltung, also auf die Hoheit von Verbandsgemeinden, Städten und Gemeinden bei der Daseinsfürsorge, berufen, wenn es um knifflige Entscheidungen ging, für die man nicht unbedingt Beifall erwarten durfte. Dann hieß es gern: „Der Landrat ist ein König ohne Reich.“ Etwa bei der Windkraft: Statt schon vor 20 Jahren einen Entwicklungsplan für den ganzen Kreis voranzutreiben, wurde die Verantwortung auf die Ebene darunter delegiert. In der Liste der Kreise mit dem höchsten Stand an Erneuerbarer Energie im Land ist der AW-Kreis seit jeher das Schlusslicht.

Und dennoch: „Der Job des Landrates ist es, die Dinge in die Hand zu nehmen, die Verantwortlichen in den Gemeinden an einen Tisch zu holen und Vorschläge zu machen, die Debatte zu moderieren und Lösungen voranzutreiben“, beschreibt eine Stimme aus dem Kreishaus, wie er die Verantwortung des obersten Beamten im Kreis Ahrweiler sieht. Derzeit Fehlanzeige. Können die vier Landratskandidaten, die sich am 23. Januar den Bürgern zur Wahl stellen, diese Rolle füllen? Haben sie eine Vision, wie der Kreis Ahrweiler die Flutfolgen bewältigt und sich für die Zukunft aufstellt – nicht nur an der Ahr, sondern auch in den Städten und Dörfern am Rhein und in der Eifel, die zum Kreis gehören?

Horst Gies, CDU
picture alliance/dpa

Horst Gies: Für Horst Gies wird jener Sonntag im Januar ohne Zweifel ein besonderer Tag. Am Wahltag hat er auch Geburtstag, wird 61 Jahre alt. 69 Jahre wäre er, wenn die achtjährige Amtsperiode des zu wählenden Landrats abläuft. Zu alt?

Gies ist der einzige der vier Kandidaten, der von der Partei nominiert wurde. Dabei hat der CDU-Kreisvorsitzende seinen Parteifreunden auch keine große Wahl gelassen. Noch vor einer Beratung im Vorstand und eines Parteitages hatte er seine Kandidatur bereits öffentlich gemacht. Im Vorfeld wurden auch andere Namen in CDU-Kreisen gehandelt, etwa der des Grafschafter Bürgermeisters Achim Juchem.

Gies verfügt über die meiste Erfahrung in der Kreisverwaltung. Schon seit 2004, also 17 Jahre, hat er den wegen der Flutkatastrophe und wegen Krankheit abgetretenen Landrat Jürgen Pföhler als Kreisbeigeordneter immer wieder vertreten. Seit dem 11. August ist er quasi in Vollzeit Stellvertreter. Als Kreisvorsitzender und Kreistagsmitglied ist Gies prominentester Vertreter der CDU-Politik der vergangenen zwei Jahrzehnte. Seit elf Jahren ist Gies CDU-Landtagsabgeordneter, zuvor war er Geschäftsführer des Bauern- und Winzerverbandes mit einer Handvoll Mitarbeitern. Vor allem an der Ahr ist Gies politisch eine Macht, hat in den Vergangenheit trotz erheblicher Stimmenverluste das Direktmandat im Landtagswahlkreis 13 (Ahr/Eifel) für die CDU verteidigt, zuletzt mit 45,2 Prozent der abgegebenen Stimmen. Als Vordenker und Visionär ist er indes noch nicht aufgefallen. Als Landespolitiker vertritt er stramm die Position seiner Partei, im Kreis die Linie der Kreistagsfraktion. Was Horst Gies keiner absprechen kann: Repräsentative Aufgaben erfüllt er mit Bravour. Am Mikrofon lebt er auf.

Cornelia Weigand, parteilos
Hans-Jürgen Vollrath

Cornelia Weigand: Die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde (VG) Altenahr ist das mediale Gesicht der Flutkatastrophe an der Ahr. Ob im Fernsehen oder im Radio oder bundesweit erscheinenden Magazinen – überall hat Weigand dem Elend, das die Flutkatastrophe verursacht hat, ein Gesicht gegeben. Und sie war die erste, die den Neuaufbau des Ahrtals als Modellregion forderte – klimafreundlich, umweltbewusst, nachhaltig soll es werden. Doch kann Cornelia Weigand, studierte Biologin und seit 2019 Bürgermeisterin der am stärksten von Ahr in Mitleidenschaft gezogenen Verbandsgemeinde, auch Landrätin?

Viele von der Flut betroffene ehrenamtliche Bürgermeister der VG sehen seit dem 15. Juli kein Fortkommen. Es gab öffentlich Streit, als die Gemeinden Dernau, Rech und Mayschoß verkündeten, ein Nahwärmenetz knüpfen zu wollen. Ohne Unterstützung der Verbandsgemeinde und ihrer Bürgermeisterin. Und spätestens seit sie ihre Kandidatur fürs Landratsamt bekannt gab, ist die Unruhe in den Dörfern groß. Ein äußeres Zeichen dafür: Die Bürgermeister luden zu einer Pressekonferenz: 150 Tage nach der Flut – ohne ihre Bürgermeisterin. Rückendeckung für ihre Bewerbung hat sie von den Grünen im Kreis. Mit deren Hilfe hatte sie es auch schon auf den Bürgermeisterstuhl geschafft.

Christoph Schmitt, SPD
Pitzen

Christoph Schmitt: Jüngster Bewerber um das Landratsamt in Ahrweiler ist Christoph Schmitt aus Niederzissen. Der 35-jährige Sozialdemokrat tritt als überparteilicher Bewerber an. „Wir brauchen jetzt einen politischen Neuanfang. Dies kann nur gemeinsam gelingen, wenn alle konstruktiven Kräfte im Kreis gewonnen werden können. Daher trete ich als überparteilicher Kandidat an“, so der 35-jährige Diplom-Finanzwirt.

Schmitt ist in der Kommunalpolitik fest verankert. Gemeinderat Niederzissen, Verbandsgemeinderat Brohltal und seit vier Jahren Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kreis stehen auf seiner Politikeragenda. Ausschlaggebend für seine Kandidatur sei der wachsende Zuspruch aus anderen Parteien und Kreistagsfraktionen, der Verwaltung und vor allem der Bürger im Kreis gewesen“, hat er gegenüber der Rhein-Zeitung erklärt. Im Kreistag genießt er hohes Ansehen in allen Parteien – als Politiker, der nach dem gemeinsamen Nenner sucht. Mit großen Behörden kennt er sich aus. Beruflich ist er beim Bonner Bundeszentralamt für Steuern beschäftigt. Dort war er mehrere Jahre im Leitungsstab tätig.

Wenn er am 23. Januar zum Landrat gewählt wird, will er die rund 500 Köpfe zählende Kreisverwaltung nicht alleine führen, hat er angekündigt. Er will die Stelle des ehrenamtlichen Kreisbeigeordneten mit einem hauptamtlichen Beigeordneten besetzen. Unterstützung für Christoph Schmitt gibt es von der SPD, von der FWG Sinzig und vom FWG-Landesverband.

Dr. Axel Ritter, parteilos
Bugge

Axel Ritter: Als letzter aufs Kandidatenkarussell für die Wahl des neuen Landrats ist der Bad Neuenahrer Architekt Axel Ritter gesprungen. Es ist sein insgesamt vierter Anlauf für ein öffentliches Amt. Im Mai 2015 trat er bei der Landratswahl als einziger Gegenkandidat von Jürgen Pföhler an. Ritter, damals noch parteilos, holte aus dem Stand 24,8 Prozent der Stimmen. Bei der Bundestagswahl 2017 trat er als Direktkandidat für die Piraten an und gewann 0,8 Prozent der Erststimmen. Im November 2017 stand er dann auf den Wahlzetteln für die Bürgermeisterwahl in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Da musste sich Ritter Amtsinhaber Guido Orthen geschlagen geben. Immerhin 15,6 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen auf Ritter. Danach war er, wie nach jedem Wahlkampf, in der Versenkung verschwunden.

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