Unwohlsein, Überforderung, Übergriffe, Unterstützungsbedarf: Das sind die vier U’s, in deren Rahmen sich die Arbeit des Awareness-Teams auf dem Festivalgelände ganz grundsätzlich bewegt. Die Frauen und Männer in den markant-pinken Westen sind im Auftrag der Guardian Angels, einem Expertenzusammenschluss für eventpsychologische Dienstleistungen, erstmals am Ring. Und hatten dort bereits einiges zu tun, wie uns der Gründer der Initiative, Daniel Brunsch, erzählt.
Wirklich überrascht zeigt sich der Diplom-Psychologe dabei nicht von der guten Auslastung, schließlich habe sein Team im Vorfeld des Festivals bereits eine Bedarfsanalyse durchgeführt – und dabei festgestellt, „dass es wie auf allen anderen Großveranstaltungen dieser Art auch bei Rock am Ring immer wieder sexistische oder rassistische Übergriffe gibt. Das ist leider die Realität.“ Wobei sich die Arbeit des Awareness-Teams keineswegs ausschließlich auf potenziell strafrechtlich relevante Vorfälle begrenzen lässt.
Auch mit mobilem Team unterwegs
„Wir sind hier Ansprechpartner für ganz unterschiedliche Probleme“, erklärt Brunsch. „Manche kommen zu uns nach einer Panikattacke, andere, weil sie zu viel getrunken haben oder durch die Vielzahl an Reizen auf so einem Festival einfach mal eine Pause brauchen.“ Die Guardian Angels haben für solche Fälle „Safer Spaces“ eingerichtet, sichere Rückzugsräume also, in denen sich Betroffene etwa zwischen Orbit und Mandora Stage „mal für 20 Minuten hinsetzen und zur Ruhe kommen können“, so Brunsch, der zudem auch mit einem mobilen Team im Infield und auf den Zeltplätzen unterwegs ist.
Am anderen Ende des Einsatzspektrums aber „haben wir natürlich auch mit rassistischen Beleidigungen oder sexuellen Übergriffen zu tun“. Fälle, so Brunsch, die sich von den Festivalveranstaltern kaum vermeiden ließen, denn: „Wir sehen auf solchen Großveranstaltungen letztlich immer auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Die Menschen legen ihre grundsätzliche Einstellung nicht vor dem Festivalgelände ab, ganz im Gegenteil: Unter Alkoholeinfluss zeigen sich solche negativen Tendenzen eher noch enthemmter.“
„Wir hinterfragen nicht, ob jemand wirklich Opfer geworden ist, sondern erkundigen uns danach, was wir zur Unterstützung tun können.“
Daniel Brunsch
Für ungewöhnlich hält der Psychologe diese Tatsache nicht, man müsse schließlich berücksichtigen, „dass hier 90.000 Menschen zusammenkommen, wir also von der Größenordnung einer Stadt sprechen, in der solche Dinge ebenfalls tagtäglich passieren“. Dabei sei Rock am Ring allerdings – auch in Relation zu anderen Festivals – „grundsätzlich sehr friedlich und entspannt. Die Menschen hier achten aufeinander.“
Wozu aus Sicht von Brunsch auch der von den Organisatoren erlassene – und im Infield vielerorts plakatierte – Verhaltenskodex beiträgt: „Solche Regeln“, verdeutlicht er, „schrecken viele potenzielle Täter bereits im Vorfeld ab, weil sie sehen, dass Fehlverhalten nicht akzeptiert wird und sie auf dem Festival selbst dann auch Gefahr laufen, rausgeschmissen zu werden.“ Noch wichtiger allerdings sei das hiervon ausgehende Signal an die (möglichen) Opfer, „weil man ihnen zeigt, dass man auf ihrer Seite ist und sie gesehen werden“.

Und wenn trotz solcher Vorkehrungen wieder mal was passiert? „Reagieren wir je nach Bedarf der betroffenen Personen“, erklärt Brunsch – und verweist gleich auf die zentrale Maßgabe des Awareness-Teams: „Wir hinterfragen nicht, ob jemand wirklich Opfer geworden ist, sondern erkundigen uns danach, was wir zur Unterstützung tun können.“ Manchem reichten dann schon 20 Minuten Pause, ein bisschen Wasser oder eine Decke. In extremeren Fällen „stellen wir auch den Kontakt zu Eltern oder Freunden her, wenn zum Beispiel jemand überfordert ist oder stark betrunken“, sagt Brunsch, dessen Team bei Straftatbeständen auf Wunsch auch die Polizei hinzuzieht.
„Wenn jemand eine Anzeige aufgeben will, unterstützen wir ihn natürlich dabei, machen den Betroffenen aber zugleich auch klar, welche Konsequenzen damit verbunden sind: dass sie das Geschehene zum Beispiel bei der Polizei oder unter Umständen später auch vor Gericht noch mehrmals schildern müssen.“
Appell: Vorfälle konsequent melden
Eine ganz grundlegende Botschaft ist Brunsch dabei allerdings noch vor einer möglichen Lösungsfindung wichtig, wie er betont: „Wir versuchen, die Menschen durch unser Angebot auch darin zu bestärken, solche Vorfälle zu melden, weil die Bedarfe nur auf diese Art sichtbar werden und die Veranstalter auch nur dann reagieren können, wenn sie mitbekommen, was passiert.“ Das Ergebnis dessen sei dann in letzter Konsequenz bestenfalls, „dass nicht wie bislang fast immer nach solchen Vorfällen die Opfer nach Hause gehen, sondern die Täter“.
Das Thema Awareness – Infos und Kontakte
Unter Awareness versteht man das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für Situationen, in denen grenzverletzendes oder -überschreitendes Verhalten stattfindet. Awareness-Arbeit soll zur Sensibilisierung und Prävention von allen Formen von (sexualisierter) Belästigung, Diskriminierung und Gewalt führen.
Das 30-köpfige Awareness-Team bei Rock am Ring ist 24 Stunden am Tag erreichbar – an den „Safer Spaces“ zwischen Orbit und Mandora Stage oder auf dem Campingplatz A2, daneben aber auch telefonisch unter 01523/6161051. Wer sich bedroht oder unwohl fühlt, kann mit dem Codewort „Wo geht’s nach Panama?“ oder „Awareness“ zudem jegliches Festivalpersonal ansprechen und erhält umgehend Hilfe. Weitere Infos zu den Guardian Angels gibt es auch hier.

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