Die Botschaft der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) lautet: Es gibt kein sicheres Trinken von Alkohol. Die Empfehlung, keinen Alkohol zu trinken, vertritt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Am 10. Mai thematisiert das Frühburgunder-Forum die Diskussion unter dem Titel „Alkoholpolitik versus Kulturgut“ und stellt die Frage, wie Wein in einer regulierten Zukunft bestehen kann? Im Vorfeld hat unsere Zeitung Fragen an die Winzer im Ahrtal gestellt: Wird weniger Wein getrunken? Wie soll man damit umgehen? Ist alkoholfreier Wein die Alternative? Und wie lässt sich Wein als Kulturgut am besten verteidigen?
Lukas Sermann, Vorsitzender des Ahrwein e.V. und selbst Winzer in Altenahr, hat bereits beobachtet: „Es ist gleichzeitig cool, Wein zu trinken – und uncool, Alkohol zu trinken.“ Deshalb sieht er die Chancen der Ahr als Kulturweinregion, die mit hochwertigen Weinen davon profitieren kann, „dass es mehr Genussmenschen gibt“. Insgesamt werde zwar weniger Wein getrunken, aber mehr Wein mit Herkunftsbezeichnung, der erzählt, wo und wie nachhaltig er wächst, wofür Winzer arbeiten. Zunehmend beschäftigten sich Konsumenten mit diesen Fragen. „Die Ahr steht für Herkunft und muss sich darauf fokussieren“, so Sermann. Er hält es jedoch auch für falsch, das Marketingrad dafür zu überdrehen. „Wir müssen nicht die Lautesten sein, sondern die Überzeugendsten.“ Es sei an der Ahr schon länger so, dass Winzer nicht einfach nur Wein verkauften. Es gebe außerdem den Wechsel vom germanischen zum romanischen System mit der dort üblichen Gepflogenheit, die Herkunft der Weine vom Anbaugebiet bis hin zur Lage zu definieren. Mit 75 Prozent der Winzer, die das im Ahrtal umsetzten, sei man Vorreiter in Deutschland.
„Ich empfinde es als eine Frechheit, dass so etwas Wein genannt werden darf.“
Lukas Sermann
Alkoholfreie Wein zu produzieren, ist für den Winzer Lukas Sermann keine Option. „Ich empfinde es als Frechheit, dass so etwas Wein genannt werden darf.“ Er räumt aber ein, dass alkoholfreie Produkte für Genossenschaften ein wichtiger Absatzmarkt sein könnten – nicht aus Überzeugung, sondern weil die Nachfrage es fordere. Eine Alternative sieht Sermann in sogenannten Proxies – eine neue Kategorie eigenständiger, komplexer Getränke, die geschmacklich ganz neue Wege gehen, ohne dabei etwas sein zu wollen, was sie nicht sind: Wein. Das könnte, so Sermann, beispielsweise ein Apfelsaft von Streuobstwiesen, versetzt mit weißem Tee und Sprudel sein. Experimenteller könne man auch auf Restaurantebene werden. Statt einer Weinbegleitung eine Geschmacksbegleitung mit nicht alkoholischen Varianten anzubieten, wäre ein Weg. Und man könnte auch abkommen von der häufig auf der Speisekarte zu findenden 0,2-Liter-Weinmaßeinheit hin zu Ausschankmengen von 0,05 oder 0,15 Litern.
„Wein ist ein Kulturgut, das die Menschen seit 5000 Jahren begleitet.“
Hans-Joachim Brogsitter
Hans-Joachim Brogsitter aus dem Kreis Ahrweiler ist als weltweit operierender Weinhändler, Hotelier sowie Weingut- und Restaurantbesitzer mit dem Thema konfrontiert. Er erinnert daran, dass „Wein als Kulturgut die Menschen seit 5000 Jahren begleitet“. Er hält die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) propagierten Erklärungen, dass es beim Alkoholkonsum keine gesundheitlich bedenkliche Menge gebe, für eine „bewusste Verfälschung der Datenlage“. Dahinter erkennt Brogsitter auch Interessenkonflikte der Akteure einzelner Organisationen. Kritisch sieht er in diesem Zusammenhang beispielsweise die Aussagen des Leiters einer kanadischen Studie, Tim Stockwell, wonach Alkohol auch dann nicht gesundheitsfördernd sein soll, wenn er nur in Maßen genossen wird.
Einen ebenso suspekten Einfluss hat aus seiner Sicht die Organisation Movendi International, ursprünglich in den USA als „International Order of Good Templars“ („Guttempler”) gegründet. Sie sei als Abstinenzbewegung Förderer der WHO. „Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat das unkritisch übernommen, was allen Regeln der evidenzbasierten Ernährungsmedizin widerspricht“, so Brogsitter. Dabei ignoriere man die Erkenntnisse des Ernährungswissenschaftlers Prof. Dr. Nicolai Worm, dass leichter moderater Weingenuss im Rahmen einer gesunden Ernährung und eines aktiven Lebensstils kein erhöhtes Krebsrisiko darstelle, sondern sogar gesundheitliche Vorteile bringen kann. „Wir versuchen, unsere Kunden aufzuklären über das Kulturgut Wein“, so Brogsitter. Mit der Kampagne „Wine in Moderation“ tun das auch viele Weingüter im Ahrtal, indem sie für einen moderaten Alkoholgenuss werben.
Alkohol ist Geschmacksträger
Für Marc Linden vom Weingut Sonnenberg in Bad Neuenahr könnte der Ahrwein seine Vorteile, vor allem als Spätburgunder, nicht mehr ausspielen, wenn man ihm den Geschmacksträger Alkohol nimmt. „Wir erhalten die Kulturlandschaft nur mit einem solchen Produkt“, sagt er. Gerade bei Rotwein handele es sich um sehr hochwertige Weine mit gehaltvollen Extrakten aus reduzierten Mengen, die mit hohem Aufwand produziert würden und auch ihren Preis hätten. Diesen Unterschied müsse man weiterhin herausschmecken dürfen. Es wäre sonst ein bisschen so, als wenn man in der Formel 1 nur 100 km/h fahren dürfe.
Trotzdem spürt auch er, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Dass Menschen auf Alkohol verzichten wollen oder müssen, beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen. Deshalb hält er alkoholfreie Produkte als Ergänzung für sinnvoll. So hat das Weingut beispielsweise mit dem alkoholfreien Secco „Vervé“ ein neues Produkt im Angebot, das Prickeln ohne Promille verspricht. Dem Wein durch einen Dienstleister den Alkohol zu entziehen und ihn zu verperlen – das alles sind Zusatzkosten, die das Produkt teurer machen als einen normalen Wein. Trotzdem hat Linden in die Alternative investiert. Auch die Winzergenossenschaft Dagernova reagiert verstärkt auf den Trend, dass weniger Alkohol getrunken wird – beispielsweise mit einem Sprizz Birne-Mango, der neu im Sortiment ist. Die Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr hat einen rauschfreien Rosé im Angebot.
Und dennoch: Für Marc Linden vom Weingut Sonnenberg bleibt echter Wein mehr als nur ein Getränk. Und das macht er auch in seinem Newsletter für seine Kunden klar: „Wein ist ein Kulturgut, ein Spiegel der Landschaft, ein Ergebnis von Boden, Klima und Handwerk. Ein Wein trägt Geschichte, Seele und Charakter in sich – das kann ein alkoholfreies Produkt nicht ersetzen.“
„Der moderate Weingenuss ist nicht nur erlaubt, sondern auch gesund, selbst für Diabetiker.“ Das sagt mit dem Mediziner Gerhard Kreuter jemand, der jetzt seinen 85. Geburtstag gefeiert hat. Der Facharzt für Innere Medizin beschäftigt sich seit Anfang der 1990er-Jahre wissenschaftlich mit dem Thema „Wein und Gesundheit“. Vorträge, Veröffentlichungen und Interviews haben ihn seitdem zu einem bundesweit gefragten Fachmann auf diesem Gebiet gemacht. „Am Abend ein Gläschen Wein, das kann mir niemand verbieten“, verriet der Jubilar jüngst zu seinem Ehrenfest.