Ortsbürgermeister Alfred Sebastian und sein Team wollen das zerstörte Dernau wieder lebenswert machen - doch es gibt Hürden
Ein Dorf gibt nicht auf: Dernaus Bürgermeister und sein Team wollen Dernau wieder lebenswert machen
Die Flut hat in Dernau mehr als 80 Prozent der Häuser beschädigt, der Ort war schwer getroffen und verwüstet. Ortsbürgermeister Alfred Sebastian will das Dorf wiederaufbauen – mit langem Atem.
Jens Weber

Was neonpink in der Karte markiert ist, steht nicht mehr. Wohnhäuser, der Kindergarten – abgerissen, weil die Flut ihnen zu sehr zugesetzt hat. Alfred Sebastian, seit 2009 Ortsbürgermeister von Dernau, sitzt vor dieser Karte an der Wand im Bürgerbüro. Straßen, Grundstücke und Gebäude seines Heimatdorfes sind darin umrissen. Striche und Linien für eine kleine Welt, die Mitte Juli unterging.

Wasser und Schlamm fluteten das Dorf, machten weit mehr als 500 Häuser unbewohnbar in dem Ort, der bislang für 1700 Menschen ein Zuhause gewesen war. Elf von ihnen starben, zwei nahmen sich kurz nach der Flut das Leben. Als Alfred Sebastian, ein elanvoller 66-Jähriger, diese Bilanz nennt, wird seine Stimme leiser. Es geht um das Bitterste dieser Katastrophe.

Doch es geht auch darum, wie Dernau wiederaufgebaut wird – schön und zukunftsträchtig, wie Sebastian es formuliert. Nach Wochen und Monaten, die davon bestimmt waren, gegen die Schäden und Folgen der Flut anzuarbeiten, „läuft der Wiederaufbau aber erst an“, sagt er, ein Bauingenieur im Ruhestand.

Oberste Priorität habe für sein Team und ihn bislang gehabt, „dass wir dafür sorgen, dass das Leben im Dorf einigermaßen funktioniert“. Dass Heizungen – provisorisch – laufen, Straßen befahrbar und Häuser erreichbar sind. Man wollte Grundlagen schaffen, damit Menschen überhaupt in Dernau leben können. Die Ortsgemeinde hat deshalb beispielsweise Tiny Houses, also Minihäuser, und eine provisorische Seniorenresidenz aufgestellt – wo, das verraten die blauen Markierungen in der Karte. Es sind einige.

Gerade ist die Gemeinde dabei, Unterkünfte für die aus ganz Deutschland anreisenden Handwerker im Gewerbegebiet zu errichten. Zudem soll ein Baustofflieferant angesiedelt werden, eine Firma, die Baugeräte verleiht, und eine Betontankstelle. All dies zu organisieren, war viel Arbeit, sagt Sebastian. Er spricht für sich und sein Team, den ortseigenen Krisenstab. Es gab unzählige Tage, die nach zehn, elf Stunden endeten, an denen „man völlig erledigt war“ und doch keine Ruhe fand.

Bei all dem erzählt der Ortschef nur beiläufig davon, wie er die Flutnacht durchgestanden hat. Auch bei ihm stand das Wasser 2,5 Meter hoch im Erdgeschoss, der Keller war vollgelaufen. „Ich bin so was von all dem überrascht worden“, meint Sebastian. Er habe am 14. Juli noch gegen 18, 19 Uhr mitgeholfen, „Sandsäckchen zu packen“ – zum Schutz gegen Hochwasser. Er fasst sich an den Kopf: „Sandsäckchen bei so einer Flut.“ Im Nachhinein: völlig nutzlos.

Als er sich auf den Heimweg machte, sah er das Wasser kommen. Da dachte er noch, dass es das etwas höher im Dorf gelegene Haus von ihm und seiner Frau nicht erreichen würde. Ein Irrglaube. Die Brühe machte Stunden später an der viertletzten Treppenstufe zum Obergeschoss halt. Der Rest der Nacht: unwirklich. Irgendwann kamen die ersten schlimmen Nachrichten, sprach er mit Dorfbewohnern, die gerade so überlebt hatten, machte er die erste Fahrt durch den Ort, dieses verschlammte Trümmerfeld. „Ich hatte Tränen in den Augen, ich konnte das alles nicht begreifen.“

Jetzt, ein halbes Jahr später, in dem gemeinschaftlich viel geschafft wurde, geht es für Dernau mit Blick auf den Wiederaufbau inzwischen um die richtig dicken Bretter, die in Richtung Zukunft gebohrt werden wollen. Stichwort Straßenbau und Bahnlinie. Wobei zu der Bundesbahn laut Sebastian noch nicht einmal Kontakt wegen des weiteren Vorgehens besteht.

Kopfzerbrechen bereitet auch das Dorfwärmenetz, das Dernau mit den benachbarten Ortsgemeinden Rech und Mayschoß aufbauen will – „am liebsten morgen“. Etwa 40 Prozent der Haushalte wollen sich laut Sebastian dieser nachhaltigen Form des Heizens direkt anschließen. Demgegenüber stünden starre Förderrichtlinien und, was die Wiederaufbauhilfen angeht, komplexe, langwierige Antragsverfahren und damit einhergehend finanzielle Unwägbarkeiten. „Es dauert alles. Was wir im Tal aber am dringendsten benötigen, sind Klarheiten, um planen zu können“, sagt Sebastian. Die untergegangene Sportanlage ist für ihn auch so ein Projekt, dessen Wiederaufbau wegen Unklarheiten in der Schwebe hängt. Die Behörden prüfen.

Überdies sorgt sich Sebastian wegen des Hochwasserschutzes. Weshalb, das erklärt er mit weiteren Fingerzeigen auf der Ortskarte: Gut 80 Prozent des Dorfes liegen in dem von der Struktur- und Genehmigungsbehörde (SGD) Nord neu ausgewiesenen Überschwemmungsgebiet – in jener Zone, in der beim Wiederaufbau Auflagen für ein hochwasserangepasstes Bauen berücksichtigt werden müssen. Jede Maßnahme bedarf einer Genehmigung. Nun fürchtet Sebastian um die bauliche Charakteristik des auch bei Touristen so beliebten Dorfes.

Er will da nicht falsch verstanden werden: „Klar ist: Wir müssen der Ahr mehr Platz lassen, wir brauchen mehr Retentionsflächen außerhalb der Orte. Wir brauchen ein Hochwasserschutzkonzept, das seinen Namen verdient.“ Aber mit den verschärften Vorgaben für das hochwasserangepasste Bauen im Ort sei kein Zentimeter Retentionsfläche gewonnen. Und für so ein Extrem wie die Flut könne man schlicht nicht schützend bauen. Klar sagt der Ortschef: „Wenn so etwas zeitnah noch mal passiert, können wir das Tal eh vergessen. So etwas steht niemand zweimal durch.“ Ein düsterer Gedanke.

Lieber nach vorn schauen. Die Gelegenheit, ein zukunftsträchtiges Dernau zu schaffen, ist da, wenn auch aus dem Chaos geboren. Sebastian nennt Beispiele: „Wir können den Kindergarten auf Höhe der Zeit aufbauen dank Spendengeldern und Sponsoren. Die Straßen sind kaputt, also kann man jetzt Glasfaser verlegen. Auch die Hauptstränge für die Dorfwärme könnten wir in dem Zuge angehen.“ Zumindest wenn bald planerische Klarheit bestünde.

Sebastian glaubt daran, dass die Krise eine Chance sein kann. „Je mehr es an die Realisierung von Ideen geht, stelle ich zwar fest: So einfach wird das nicht – aber wir kämpfen dafür.“

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