Drei Jahre nach der Flut kämpfen die Winzer an der Ahr immer noch mit den bürokratischen Nachwirkungen der Flut
Drei Jahre nach der Flut im Ahrtal ziehen Winzer Bilanz: Wiederaufbau ist Marathon
Sie ziehen drei Jahre nach der Flut Bilanz: (von links) Weinbaupräsident Hubert Pauly, Knut Schubert, Kreisgeschäftsführer des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau, Franz-Josef Schäfer, Vorsitzender der Kreisbauern, und Ingrid Strohe, Ehrenvorsitzende der Landfrauen. Foto: Hans-Jürgen Vollrath
Hans-Jürgen Vollrath

Ahrtal. Während im Weinberg der nächste Jahrgang reift, kämpfen die Winzer an der Ahr immer noch mit den bürokratischen Nachwirkungen der Flut. Drei Jahre danach ziehen die Vertreter von Weinbau und Landwirtschaft eine Bilanz: Sie erzählt vom Kampf mit der Bürokratie und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. 

Drei Jahre nach der Hochwasserkatastrophe ist das Ahrtal immer noch gezeichnet. Vieles befindet sich nach wie vor in einer Phase der Unsicherheit und des Umbruchs. Besonders sichtbar wird das in Mayschoß, wo in wenigen Tagen die alten Gebäude der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr abgerissen werden. Der Ort, an dem Vertreter von Landwirtschaft und Weinbau zum dritten Jahrestag der Flut Bilanz zogen, wird also bald Geschichte sein. Die Prognose: Der Weg in die Zukunft verlangt auch von denjenigen, die im Ahrtal die Kulturlandschaft erhalten, noch viel Geduld.

14,1 Millionen an staatlichen Hilfsgeldern wurden bisher ausgezahlt, sagte der Vorsitzende der Kreisbauern, Franz-Josef Schäfer, zum Stand des materiellen Wiederaufbaus, betonte aber gleichzeitig, dass der immaterielle Schaden ungleich größer sei. „Was schwerer wiegt, dass viele Menschen traumatisiert sind. Es gibt viel menschliches Leid. Das wird oft außer Acht gelassen.“

Berufsständische Organisationen hätten außerdem zehn Millionen Euro an Spenden rekrutiert und sehr kurzfristig zu den Menschen gebracht. Das habe geholfen. Insgesamt liege das Antragsvolumen bei 33 Millionen Euro, so Knut Schubert auf Nachfrage. Der Kreisgeschäftsführer des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau macht eine gewisse Zurückhaltung und Scham bei Menschen, wenn es um staatliche Hilfe geht.

Viele Behörden beteiligt

„Es ist ein Marathon, für den viele einen langen Atem brauchen. Wir haben es mit vielen verschiedenen Institutionen zu tun. Da gibt es positive Nachrichten, aber auch viele Herausforderungen“, so Knut Schubert, Kreisgeschäftsführer des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau. Auf dem Pfad durch den Behördendschungel komme dieser Satz immer noch vor: „Hier hört unsere Zuständigkeit auf“. Ein Prinzip der kommunizierenden Röhren geben es nicht, beklagte Schubert zu viel Bürokratismus.

Allein beim Beantragen von Wiederaufbaugeldern habe man es in Rheinland-Pfalz mit drei verschiedenen Anlaufstellen zu tun. Für Flächenschäden ist die Kreisverwaltung zuständig, für investive Ausgaben, wie zum Beispiel nach dem Verlust von Maschinen oder Weinbergsmauern, das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Mosel und für private Schäden die ISB-Bank. Ein zweiter Punkt, der aus Sicht von Schubert bei der Wiedergutmachung drückt: die Marginalgrenze von 5000 Euro. Das treffe vor allem die kleineren Unternehmen, die 20 Prozent der Antragssteller ausmachten, und die leer ausgingen. „Das ist Erbsenzählerei“, so Schubert.

200 Millionen Euro an Schäden

Allein im Weinbau hat die Flut Schäden in Höhe von 200 Millionen Euro verursacht. „Von 560 Hektar Anbaufläche wurden rund 10 Prozent zerstört“, so Weinbaupräsident Hubert Pauly. Und von den 65 selbstvermarktenden Winzern seien neben den Genossenschaften 60 stark betroffen – je nach Einzelbetrieb lägen die Schäden in einer Größenordnung zwischen 250 000 Euro und fünf Millionen Euro. Eineinhalb Ernten und damit 50 Millionen Euro gingen an der Ahr durch die Flut verloren. Um mit Spritzungen zu retten, was zu retten war, habe man den Hubschraubereinsatz organisiert. „Wichtig war vor allem die wahnsinnige Solidarität“, erinnert Pauly an die Hilfe durch Kollegen aus ganz Deutschland.

Auf 10 Hektar der Rebfläche werden die Winzer an der Ahr künftig verzichten. Sie werden nicht mehr kultiviert. Doch trotz aller Vorsorge, die Winzer auch bereits vor der Flut betrieben hätten und ihnen jetzt zusätzlich auferlegt werde, sagt Pauly mit Blick auf die Zukunft: „Ein solches Hochwasserereignis wie 2021 ist nicht aufzuhalten.“

Infrastruktur fehlt

Bei allem Bemühen, den Tourismus wieder ins Tal zu holen, sei noch nicht vorhandene Infrastruktur ein Hemmschuh, so Pauly. Das gelte für rare Parkplätze ebenso wie für noch fehlende Bettenkapazitäten. Und bei Aktionen in den Weinbergen habe man es erst einmal mit naturschutzrechtlichen Genehmigungen zu tun. Um 18 Uhr müssten die Veranstaltungen beendet sein, um brütende Vögel nicht zu stören. Eine positive Nachricht hatte Pauly aber dann doch zu verkünden: „Es gibt genügend Winzernachwuchs an der Ahr. Denn wenn es den Weinbau hier nicht mehr gibt, wird auch der Tourismus sterben.“

Die Landwirtschaft, so Schäfer, sei eher noch glimpflich bei der Flut davongekommen. Es habe sich in erster Lini um Schäden an Grün- und Ackerland gehandelt, weniger um Gebäudeschäden. 28 Landwirte seien betroffen gewesen, davon zwei bis drei existenziell. Es sei eine große Aufgabe, die Schäden zu erfassen und zu bewerten, um die Hilfen auf den Weg zu bringen – ein Prozess, der immer noch andauere. Auch beim Thema Prävention sei die Landwirtschaft involviert.

Die große Frage, die in Zusammenarbeit mit den in diese Problematik eingebundenen offiziellen Stellen, zu beantworten ist: Wie lässt sich Wasser in der Fläche zurückhalten? Funktioniert Hochwasserschutz mit Miscanthus, auch als Chinaschilf bekannt? Wie müssen Wegenetze ertüchtigt werden, damit sie nicht zur Wasserschneise werden? „Manchmal kollidieren neue Anbauformen, die das Wasser zurückhalten, aber mit dem EU-Förderrecht“, so Schäfer. Und so bleiben noch viele Hausaufgaben, die am besten in überregionaler Gruppenarbeit zu erledigen sind.

Engagement wird ausgebremst

Auch die Landfrauen im Kreis Ahrweiler haben nach der Flut ihren Beitrag an Hilfe geleistet und sind dabei auf deutschlandweite Solidarität getroffen. Deren Ehrenvorsitzende Ingrid Strohe berichtete in diesem Zusammenhang über das Projekt „Landfrauen pflanzen Zukunft“ mit dem Ziel, die Lebensqualität in den von der Flut betroffenen Dörfern zu erhalten und aufzubauen, beispielsweise durch blühende Oasen auf öffentlichen Flächen. Das Problem: Das ehrenamtliche Engagement, auch durch Spender aus ganz Deutschland unterstützt, wird derzeit ausgebremst. Denn die Planung der Infrastruktur entlang der Orte an der Ahr sei noch nicht so weit, so Strohe. Der Verlauf einer Straße, der Standort einer Brücke oder die Gestaltung des Ufers – alles sei noch nicht endgültig entschieden. bea

Top-News aus der Region