Wiederaufbau: Nach der Flut überwog bei der Familie die Leidenschaft für einen besonderen Beruf
Der Ofen geht nicht aus: 120 Jahre Bäckerei Schragen in Ahrweiler
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Nach der Flut hat sich Volker Schragen einen neuen Holzbackofen angeschafft. Schragen übernahm damals mit 18 Jahren als jüngster Bäckermeister in Rheinland-Pfalz den Familienbetrieb. Sein Vater war früh gestorben. Fotos: Beate Au
Au Beate. Beate Au

Ahrweiler. Morgens, wenn alles noch schläft, schiebt Volker Schragen die ersten Brötchen in den Holzbackofen. Der aus dem Ofenbauerdorf Bell stammende Steinkoloss ist das neue Herzstück in der Bäckerei und Konditorei Schragen in Ahrweiler. Diese Anschaffung ist das Ergebnis eines intensiven Nachdenkens darüber, wie ein Neuanfang nach der Flut aussehen kann für eine Familie, die seit 120 Jahren von und mit dem Bäckerhandwerk lebt.

Zur Mannschaft im Café Schragen gehören neben Jacqueline Schragen (links) und Volker Schragen (rechts) auch Lena Pöschmann und Ryan Gregory.
Beate Au

Im Frühjahr 1903 haben die Vorfahren von Volker Schragen den Betrieb gegründet. Seitdem ist viel passiert, unter anderem zwei Weltkriege. Die Kraft zum Wiederaufbau und Durchhalten wurde nach der Flut im Jahr 2021 auch der vierten Generation abverlangt. Die Wassermassen, die in der Nacht zum 15. Juli durch die Ahrhut rauschten, hatten das Erdgeschoss ausgeräumt und Schlammberge hinterlassen. „Auch die schönen Thonetstühle aus dem Café waren nicht mehr zu retten. Es gibt Gäste, die ihnen nachtrauern“, so Jacqueline Schragen. Im neuen Café Schragen ist alles ein bisschen anders. „Wir wollten es heller und moderner gestalten“.

Doch es gibt einige Details, die an die alten Zeiten erinnern, darunter die nostalgischen Deckenlampen aus den 1950er-Jahren. Auch das Fenster mit dem alten Familienwappen wurde restauriert. Es zeigt als Symbol einen Schragen, womit im Mittelalter ein Gestell aus kreuzweise verbundenen Pfosten gemeint war.

Familientradition, aber ohne Zwang

„Altes bewahren, aber mit einem modernen Twist“ – das war das Motto des Wiederaufbaus, dem sich die Familie verschrieben hat. Mit Tochter Kimberley Büch, die vor der Gesellenprüfung zur Konditorin steht, kann die Geschichte der Bäckerei Schragen samt Café nun auch weitergeschrieben werden. Ihre neuen Ideen sind in Form von Petit Fours und fantasievollen Tortenkreationen bereits in der Theke zu bewundern. „Wir haben unsere Tochter nicht gezwungen, diesen Weg zu gehen“, erzählt ihre Mutter Jacqueline Schragen. Sie sei ganz von allein darauf gekommen, nachdem am beruflichen Weg als Pferdewirtin Zweifel aufkamen. Nach einigen Erfahrungen als Urlaubsvertretung der Eltern reifte der Wunsch, die Tradition in der Patchworkfamilie Schragen weiterzuführen.

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Nach der Flut hat sich Volker Schragen einen neuen Holzbackofen angeschafft. Schragen übernahm damals mit 18 Jahren als jüngster Bäckermeister in Rheinland-Pfalz den Familienbetrieb. Sein Vater war früh gestorben. Fotos: Beate Au
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Die Zeit nach der Flut war eine Herausforderung für alle. „Schaffen wir es? Diese Frage haben wir uns oft gestellt“, so Jacqueline Schragen. „Ihr müsst es nicht für mich machen“ – das habe ihr die Tochter versichert. Und doch haben es Volker Schragen im Alter von 60 Jahren mit Unterstützung seiner Frau Jacqueline (57) gewagt. Allerdings mit der Maßgabe, das frühere Tempo aus dem stressigen Arbeitsalltag zu holen. Und hier kommt der neue Holzbackofen ins Spiel. Denn er erlaubt keine Produktion im Akkord, verlangt seinen eigenen Rhythmus.

„Er wird morgens gegen 2 Uhr angefeuert, auf Temperatur gebracht, und dann wird chronologisch in den unterschiedlichen Zeitfenstern abgebacken. Zuerst kommen die Brötchen hinein. Sie benötigen die meiste Hitze, damit sie den Tag über schön knackig bleiben, dann folgen die Brote“, so Schragen. Für die empfindlicheren Konditorenprodukte hat man sich einen kleinen Elektroofen zugelegt. Der Holzofen ist für die Schragens ein Schritt zurück zu den Wurzeln. Dass er jetzt in Zeiten der Gasmangellage zur rechten Zeit kam, war Zufall. „Er zwingt aber auch dazu, eine konzentrierte Auswahl für das Sortiment zu treffen“, so Schragen.

Es bleiben viele Herausforderungen

Es bleiben trotzdem noch genügend Herausforderungen, denen sich das Bäckerhandwerk in diesen Zeiten stellen muss. Als die Schragens bereits am 26. Juli 2022 wiedereröffnet haben, sahen sie sich dem Problem der gestörten Lieferketten gegenüber. Von der Milch über die Hefe bis zum Mehl waren die Grundzutaten plötzlich nicht mehr selbstverständlich zu haben. „Vor zwei Wochen gab es keine Milch“, beschreibt Schragen die Situation, mit der das Handwerk bis heute umgehen muss.

Die Bäckerei Schragen bezieht ihr Mehl von der Genossenschaft Bäko. Die Kunst sei es übrigens, sich nach jeder neuen Mehlerntelieferung auf die von der Natur erzeugten Qualitäten einzustellen. Sie hofft, dass dieses Handwerk genügend Respekt erfährt, um in Zukunft zu bestehen. Die Schragens haben vor, auch wieder auszubilden. Derzeit gibt es mit Lena Pöschmann und Ryan Gregory zwei Angestellte. „Wir könnten auf jeden Fall noch eine zusätzliche Kraft brauchen“, so Jacqueline Schragen. Denn Personal zu finden, sei auch in dieser Branche schwierig.

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