Nichts tun, das kann Irmgard Mollstroh gar nicht. Mit ihren 90 Jahren denkt die Hotelchefin der Bad Breisiger Rhein Residenz und Inhaberin des Geschäfts Modetruhe immer noch nicht daran, die Hände in den Schoß zu legen. Denn das hat sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gemacht. Immer ist sie ihre eigenen Wege gegangen, hat ihre Ideen und Visionen in die Tat umgesetzt – und das mit Erfolg. Und wenn sie heute aus ihrem Leben erzählt, dann ist es, als könne sie auf all die Energie, die sie in ihre Projekte und Visionen gesteckt hat, noch zurückgreifen – und nicht nur der Zuhörer, sondern auch sie selbst vergessen dabei ganz schnell, dass Mollstroh keine 65 Jahre mehr ist.
Im Alter von 75 Jahren erst hat Mollstroh das Hotel am Bad Breisiger Rheinufer gekauft. Es hatte zuvor zweieinhalb Jahre lang leer gestanden und war renovierungsbedürftig. „Als ich nach dem Kauf den Schlüssel in der Eingangstür umdrehte und im Hotel stand, habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben gefragt: ,Was hast du denn jetzt gemacht?' Mir stand eine Menge Arbeit bevor“, erinnert sie sich. Doch genau das wollte sie. Im Juni 2004 war ihr Mann gestorben, mit dem sie seit ihrem 20. Lebensjahr verheiratet war. „Jeden Abend bin ich von meiner Arbeit in meinem Geschäft in der Biergasse an das Rheinufer gekommen und vor Trauer dort rumgeirrt“, erzählt Mollstroh rückblickend. „Ich hatte keine Aufgabe mehr.“ Als sie das leer stehende Hotel im Herbst desselben Jahres betrachtete, hatte sie auf einmal wieder jede Menge neue Ideen. Im darauffolgenden Dezember machte sie schließlich den Kauf perfekt – und hatte Arbeit bis zum Hals. „So musste ich nicht die ganze Zeit an die Trauer um meinen Mann denken“, berichtet sie.
Mit dem Restaurieren und Renovieren alter Häuser kannte sich Mollstroh inzwischen schon aus. Sowohl in Neuss als auch in Bad Breisig hat sie im Laufe ihres Lebens immer wieder alte, heruntergekommene Gebäude erworben, diese wieder auf Vordermann gebracht und Geschäfte oder Wohnungen dort eingerichtet. Ganz anders sah das im Hotelgewerbe aus. Neben der Restauration war dies eine zweite große Aufgabe für die damals 75-Jährige. „Ich mache das aber alles gern. Wenn ich etwas vor mir sehe, dann will ich auch sofort etwas aus dieser Vision machen“, beschreibt sie sich. Und es war nicht das erste Mal im Leben, dass sich Mollstroh in einem Geschäftsbereich selbstständig machte, der ihr bis dahin noch vollkommen fremd war.
Schon in ihrer allerersten Selbstständigkeit betrat sie fremdes Terrain. Nach dem Besuch eines Gymnasiums machte Mollstroh eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau im Lederhandel ihrer Eltern in Neuss. Als Auszubildende bekam sie gerade einmal 30 Mark im Monat, erinnert sie sich. Das war nicht genug, um ihren Traum von der eigenen Parfümerie zu verwirklichen. Um ihre Lücke bei den Vorkenntnissen zu füllen, arbeitete sie ein halbes Jahr lang ohne Bezahlung in der Parfümerie eines alten Ehepaares. Das Ladenlokal für ihr erstes Geschäft direkt am Neusser Bahnhof bekam Mollstroh über eine Freundin. Und um die Waren und die Eröffnung des Geschäfts finanzieren zu können, arbeitete sie in einem Kaufhaus. Von ihrem Gehalt kaufte sie nach und nach die Ware für ihren Laden. „Mein Wohnzimmer war bald voller Kisten“, erinnert sich Mollstroh lachend. Mit 20 Jahren war der Kraftakt dann erfüllt. Sie konnte ihre eigene Parfümerie eröffnen und war Geschäftsfrau.
Ihre Leidenschaft war schnell gefunden: „Ich wollte immer kaufen und verkaufen. Das hat mir Spaß gemacht“, sagt Mollstroh und hat dies bis heute fortgeführt. „Mein Mann hat mich immer machen lassen und mich unterstützt. Ich würde ihn immer wieder heiraten. Er war der Richtige“, sagt die Hotelbesitzerin. Sie lernte ihn mit 18 Jahren kennen. Drei Monate nachdem er als Spätheimkehrer aus dem Krieg wiedergekommen war. Eigentlich hatte Mollstrohs Vater für sie einen anderen Mann ausgemacht, der finanziell besser aufgestellt war. „Aber da habe ich mich durchgesetzt. Auch wenn mein Mann sein ganzes Leben lang nichts gehabt hätte, ich hätte ihn genommen“, sagt Mollstroh. Und so schlug sich das junge Paar während seiner und ihrer Ausbildung mit nur rund 390 Mark im Monat durch. Von ihren Eltern, so Mollstroh, habe sie keine finanzielle Unterstützung bekommen. Alles, was sie im Leben erreicht hat, habe sie sich selbst erarbeitet.
Als sie den Lederwarenladen ihrer Eltern übernahm, verkaufte sie dafür ihre Parfümerie, die sie nun schon zehn Jahre lang geführt hatte, und zahlte damit ihre Eltern aus. Auch das habe sie nicht geschenkt bekommen, betont sie. „Ich glaube aber, dadurch haben mein Mann und ich viel Kraft gewonnen.“
Das Gleiche sagt sie auch über ihre Kindheit. Mollstroh wurde 1930 in Neuss geboren. Der Zweite Weltkrieg prägte das junge Mädchen. „Tagsüber war ich in der Schule, nachts im Luftschutzkeller. Der Keller, Bomben, zerstörte Häuser oder der Tod von Nachbarn, das war für mich Alltag“, erzählt die 90-Jährige. Und dennoch sei sie immer ein fröhliches und auch freches Kind gewesen: ein Kind, das den ganzen Tag sang und mit den Jungs Fußball spielte. Ein junges Mädchen, das nach dem Krieg gegen den Willen ihrer Mutter ganz allein aus der Evakuierung acht Tage lang beschwerlich nach Neuss zurückkehrte, um herauszufinden, ob ihr Vater noch lebte. Eine junge Frau, die früh die Leidenschaft für das Singen entdeckte und später mit ihrem Mann für die Gesangsausbildung sparte. „Ich hatte das Glück, dass sich in meinem Leben immer die Dinge herauskristallisiert haben, die gut für mich waren – auch wenn sie mit viel Arbeit verbunden waren“, sagt die 90-Jährige. Das Leben sei nicht gerade verlaufen, aber sie habe die Möglichkeit und Kraft gehabt, an ihm mit all seinen Höhen und Tiefen teilhaben zu können. „Und daher nehme ich meine Energie: Jeden Morgen danke ich Gott dafür, dass er mich so reich beschenkt hat, ich meinen Verstand behalten habe und er mich jeden Tag spüren lässt, dass das Leben lebenswert ist“, sagt Mollstroh.