Andy Neumann spricht Klartext: „Wir sind nicht da, wo wir sein könnten“, sagt er auf die Frage, wie es mehr als sieben Monate nach der Flut ums Ahrtal steht. Das Krisenmanagement nennt er „nicht zufriedenstellend“, denn er wisse, was dieser Staat leisten könne.
Neumann, Flutbetroffener aus Ahrweiler, der mit seinem Buch „Es war doch nur Regen“ seit Wochen in der Bestseller-Liste zu finden ist, bezeichnet die Abarbeitung der Lage von der Staats- und Verwaltungsseite her als „zu behäbig, zu beamtenmäßig“. Das drückt auf die Stimmung all der Menschen, die mit der Bewältigung der Flutschäden zu tun haben. Es geht auf den Baustellen nicht voran, das führt zur Ermattung und Ermüdung. „Die Hoffnung wird gefressen“, schildert er es anschaulich und meint vor allem die Auszahlungen von Versicherungen und Wiederaufbauhilfen, um die nun nötigen Handwerker bestellen und bezahlen zu können.
Kritik an Kommunikation
Er sieht Politik und Verwaltung des Landes Rheinland-Pfalz allein mit der Katastrophenbewältigung überfordert („Da will man alles selbst machen“). Vor allem die „kleine“ Investitions- und Strukturbank (ISB), die mit den Anträgen der Nichtversicherten auf Hausratsbeihilfe und Wiederaufbauhilfe nicht nachkommt. Gleichzeitig vermisst Neumann, Kriminaldirektor beim Bundeskriminalamt, eine gute und bei den Betroffenen ankommende Kommunikation wiederum durchs Land und den Kreis.
Die Leute müssten fürs große Ganze wissen, was wie aufgebaut wird. Es müssten wenigstens ungefähre Zeiten angegeben werden, wann etwa die öffentliche Infrastruktur mit Straßen und Brücken wieder fertig sein soll. Den aktuell vorgelegten „Bericht zum Wiederaufbau“ nennt er „nur ein Pamphlet“. Es zu lesen „würde mich nur aufregen“, befürchtet er. Er hätte sich lieber ein paar öffentlich präsentierte „Big Points“ für den Zukunftsblick gewünscht.
Teile der Erlöse aus Buchverkauf gespendet
Im RZ-Gespräch im vom Hoffnungswerk angebotenen Kaffeebus „Café on wheels“ spart er nicht mit Kritik an der Politik. Im Untersuchungsausschuss des Landes zu Versäumnissen in der Katastrophennacht „kommt nichts rum“, prophezeit er. Ähnliches habe er zu oft miterlebt. Und schließlich: Selbst an der Organisation des viel kritisierten Katastrophenschutzes im Land werde sich nichts ändern, so seine Einschätzung. Unterm Strich steht für ihn und für viele Betroffene an der Ahr, dass sie nicht ernst genommen werden und resignieren.
Neumanns sehr persönlich gehaltenes Flutbuch als „Protokoll einer Katastrophe“ erlebt bundesweit eine sehr große Nachfrage. Die Menschen wollen wissen, wie es in der Flutnacht und danach an der Ahr war. „Andy Neumann nimmt die Leser mit in diese Situation und macht auf sehr persönliche Weise deutlich, welche Kämpfe die Bewohner des Ahrtals durchstehen mussten. Feinsinnig und mit einer Prise Humor“, heißt es im Klappentext des Verlages. Das Buch zeichnet für alle „draußen“ ein Bild der Katastrophe und ihrer Bewältigung. Wie versprochen hat er 40.000 Euro aus dem Buchverkauf an die Ahrtal-Jugendherberge, die Initiative „GlasklAHR“, die Fluthilfe Ahr, den Verein „Die AHRche“ sowie die Initiative „5-Euro-Haus“ gespendet.
Die „Heilsbringer fürs Ahrtal“
Neben den klassischen Medien bieten vor allem Soziale Medien wie Facebook einen virtuellen Blick ins Ahrtal. Von der Reichweite her führend sind mit ihren Videobeiträgen und Kommentierungen etwa der „Lohnunternehmer Markus Wipperfürth“ mit mehr als 280.000 Zuschauern, oder „Azubi Wilhelm Hartmann“ (mehr als 41.000). Sie werden von ihren Communitys durchaus als „Heilsbringer fürs Ahrtal“ gefeiert. Für einige Leser, die sich bei ihm gemeldet haben, sei er vielleicht auch so etwas, berichtet Neumann. Er nehme das zur Kenntnis, bedanke sich. Ende. „Wenn Dankbarkeit zum Geschäftsmodell wird, dann sollten alle Lampen angehen“, hat Autor Neumann neulich, selbst erregt, in einer kritischen Debatte um die Rolle von freiwilligen Helfern im Ahrtal gepostet. „Wer immer sagen muss: Ich bin der König, der ist nicht der König“, fasst er es süffisant zusammen.
An dieser Stelle kommt wieder seine Kritik an der eigentlich institutionalisierten Katastrophenbewältigung auf. Ohne das unermüdliche Engagement der Freiwilligen wie etwa über den Helfershuttle würde das Ahrtal beim Wiederaufbau sicherlich heute nicht da stehen, wo es steht. Aber die sich selbst organisierenden Freiwilligen seien in einer in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Hilfsaktion ans Werk gegangen, „weil der Staat hier eine Lücke gelassen hat“. Doch dürfe das Helfertum nicht zu einer festen Einrichtung werden oder gar zum Selbstzweck, legt Neumann nach. „Das Ziel aller Hilfe muss es doch sein, dass schließlich die Hilfe nicht mehr gebraucht wird.“
Großer Plan für das Ahrtal fehlt
Das ist seine Antwort auf „die zwei Märchen“, die er immer wieder hört. Das eine sage, dass es im Ahrtal ohne die Hilfe gerade der bekannten Protagonisten nicht gelaufen wäre. Das andere erzähle, es werde alles zusammenbrechen, wenn sie abziehen. Das stimme nicht. Wenn Einrichtungen, Angebote, Treffpunkte und Begegnungsstätten wie etwa die „Arche“ sich etabliert haben, dann sollten sie in die kommende Normalität weiterentwickelt und integriert werden.
Wie soll es weitergehen? Andy Neumann, von Berufs wegen immer wieder gern als Terrorismusexperte in den Medien zitiert, vermisst den großen Plan für Ahrtal, in dem die Ökologie und der langfristige Hochwasserschutz die Hauptbestandteile sind. Ein geplantes Handeln finde nicht statt, was er zumindest auf Kreisebene einem Vakuum nach dem Ausscheiden des Landrats zuschreibt. Alle hofften auf die neue Landrätin Cornelia Weigand. „Doch die Zeit läuft uns davon. Es werden überall durch Bauarbeiten schon Fakten geschaffen“, kritisiert er, verweist auf die Gestaltung des Ahrverlaufs oder viele Kleinigkeiten in seinem unmittelbaren Wohnumfeld in Ahrweiler.
Trost in den scheinbar kleinen Dingen
Der Buchautor berichtet von einem langen Gespräch mit Bürgermeister Guido Orthen. „Überall an der Ahr kamen die Bäume weg, und woanders wurde anschließend gleich wieder geteert und der Boden versiegelt“, schildert er beispielsweise, um einen Grundsatz zu formulieren: „Bauen scheint der Schlüssel.“
Am Ende des Gesprächs werden die Themen kleinteiliger, die Beispiele privater, aber damit plastischer. Er dürfe sein Brennholz aus Hochwassergründen nicht mehr draußen neben dem Haus auf dem Grundstück in Ahrnähe stapeln. Aber die Stadt plane, neue Gewerbeflächen zuzubetonieren. „Schizophren“ nennt Neumann das.
Bei ihm klingt es so, als ob er Trost in den scheinbar kleinen Dingen findet. Etwa dem von vielen besuchten Kulturprogramm im Zelt („super aufgezogen“) oder der kommenden Begrünungsaktion, unter anderem vom Helfershuttle unterstützt. Nach sieben Monaten sei die Zeit dafür gekommen: „Wir machen’s grün, wir machen’s bunt, wie machen’s schön.“
Das sieht man bei den Neumanns vorm langsam fertig werdenden Haus und auf dem Grundstück mit seinen viele Insektenhotels, und das soll auch in der Stadt sichtbar werden. Ehefrau Dr. Ragna Neumann-Franz hat die Initiative „Lass es leben – mit uns blüht und lebt das Ahrtal wieder“ gegründet. Andy Neumann ist fleißig dabei, etwa wenn es an der Römerstraße darum geht, die vom Hochwasser vernichtete Grünanlage zu einem „blühenden Paradies“ zu machen. Blüte für Blüte, Schritt für Schritt.