Unser Autor Frank Bugge aus Sinzig hatte Übernachtungsplätze für freiwillige Fluthelfer bereitgestellt: Kleine Geschichten der großen Hilfe
Beeindruckt, ergriffen, erfüllt: Kleine Geschichten der großen Hilfe an der Ahr
Helfer aus Hessen in Sinzig beim Fluthelfereinsatz: Maik, Marco, Francesco und Frank Bugge, der für unsere Zeitung aus dem Ahrtal berichtet.
Frank Bugge

Leon war der erste. Der – wie sich erst später herausstellte – gerade mal 17-Jährige hatte die Fernsehbilder und Videos auf Facebook von der Flutkatastrophe gesehen und für sich und die Welt beschlossen, dass es jetzt nichts Wichtigeres gibt, als selbst im Ahrtal zu helfen. Das verkündete er mit unnachgiebigem Nachdruck der Familie, seinem Lehrherrn und dem Rektor der Berufsschule. Sie ließen ihn gewähren.

Leon setzte sich in Augsburg in den Zug und erreichte Sinzig in voller Montur – Gummistiefel, Latzhose, Handschuhe plus kleines Gepäck – und voller Tatendrang. Eine Woche lang lebte er bei uns. Tagsüber fand Leon seine Einsatzorte als „betreuter“ Fluthelfer zunächst bei flutbetroffenen Freunden im Dreifaltigkeitsweg, die ihn geradezu adoptierten, gern auch an die Nachbarn „ausliehen“. Oder Leon zog mit anderen jungen Leuten und Trupps mit gleichem Impetus durch die Straßen an der Ahr von Keller zu Keller, um anzupacken und rauszuschleppen.

Die ungewohnt harte körperliche Arbeit, der gemeinsame, selbstbestimmte „Kampf“ mit den Flutbetroffenen oder anderen Helfern gegen Schlamm, Dreck und „die Katastrophe“, ihr gemeinschaftliches „Wir schaffen das“, das hat ihn tagelang begeistert und getragen. Leon war nicht zu bremsen, war euphorisiert, teilte immer wieder Fotos und Eindrücke mit Selfies auf Facebook, erhielt dort großartige Rückmeldungen. Er erfuhr wie Tausende andere Ahrtal-Spirit, der schließlich als #SolidAHRität“ gefeiert wurde.

Leon war der erste Fluthelfer, der bei uns übernachtete. Bis Mitte September sollten es Menschen aus allen Teilen der Republik werden, die zwischen einer und 14 Nächten bei uns schliefen, duschten, frühstückten, „denen mit einem Büttchen bunt“ geholfen wurde und die abends von ihren Erlebnissen als Fluthelfer berichteten. Alle ebenso beeindruckt, ergriffen, aber auch erfüllt wie Leon.

Mit dem Wohnmobil in Europa unterwegs

Doch der Reihe nach. Als „es“ passierte, waren wir mit dem Wohnmobil in Europa unterwegs. Die Nachrichten aus der Heimat, die nur bruchstückhaften Informationen aus der Familie und von Freunden, machten klar: Wir müssen zurück. Unterwegs auf der Autobahn begegneten uns Konvois von Feuerwehren und THW, offenbar auf den Weg ins Ahrtal oder sogar schon zurück. „Wir danken für eure Hilfe“ war immer wieder an Brücken zu lesen.

Daheim auf unserer Terrasse empfingen uns unerwartet wildfremde Leute. Sohn Jan war von Tag eins an mit den „Eimerketten-Trupps“ im Fluthilfeeinsatz bei einem Kumpel in Ahrweiler, dessen Wohnung in der Schützenstraße liegt. Der wiederum hatte in der Flut ein älteres Ehepaar aus der später vollgelaufenen Erdgeschosswohnung zu sich nach oben geholt – und ihnen damit das Leben gerettet. Sie hatten nichts mehr außer ihrer Nachtwäsche. Zunächst kamen sie bei uns unter, neu eingekleidet und versorgt aus dem nahen Spendenlager. Schließlich übernahm ihre Tochter die Betreuung.

Staatskritik beim Abendbier

In der Schützenstraße lag auch eine Woche lang der Einsatzort von Thorsten aus dem Osten Berlins. Der hatte Frau und Kind trotz Ferien und Urlaub zu Hause gelassen, weil er an der Ahr helfen musste. Wohl nicht ganz ohne „politischen“ Ansatz, wie seine anhaltende Staatskritik beim Abendbier immer wieder zeigte. Wenn er sage, wen er wähle, fliege er sicherlich bei uns raus, stellte er schließlich fest. Bilateral einigten wir uns darauf, die verbleidenden beiden Tage nicht mehr über Politik zu reden. Beim Abschied sagte er zu, auf jeden Fall wieder an die Ahr zum Helfen zu kommen.

Offenbar Ergebnis einer Partywette war der Wochenendeinsatz von Francesco und Marco. Die hatten sich abends verabredet, am frühen Morgen von Hessen aus zum Helfen an die Ahr zu fahren. „Das machst du nie“, hatte einer dem anderen unterstellt. Denkste. Beim Scheppen in Heimersheim trafen sie auf Maik aus Fulda. Der Heizungsbauer hatte sein Wohnmobil top ausgerüstet für seinen ersten Helfereinsatz. Alle drei Hessen kamen später immer wieder zum Helfen zurück.

Ebenso wie Gerald und Elmar aus dem Raum Bamberg. Sie beide waren die Vorhut. Von Sinzig aus erkundeten sie das Ahrtal, suchten und fanden Einsatzstellen und Arbeit. Im September und Oktober organisierten die beiden über ihren Motorradklub Spendenaktionen daheim und fuhren mit Bussen voller Helfer tageweise ins Flutgebiet.

Techtelmechtel beim Ahr-Einsatz

Ein Techtelmechtel steckte hinter dem Ahr-Einsatz von „Bernhard und Bianka“, wie wir sie nannten. Sie hatten sich gerade erst kennengelernt und den gemeinsamen einwöchigen Hilfseinsatz an der Ahr beschlossen. Für „Bianka“ waren die schwere Arbeit, der Staub, der Dreck und vor allem der Ölgeruch in Dernau, wo sie halfen, gar nichts. „Bernhard“ dagegen blühte auf, machte ihr gegenüber „den Dicken“. Nichts war ihm zu schwer oder zu dreckig. Abends erzählte er überschwänglich von ihrem tollen Tag. Inwieweit „Bianka“ wirklich beeindruckt davon war, im Minibagger auf dem Schoß von „Bernhard“ sitzend zur Kaffeepause durch Dernau kutschiert zu werden, konnten wir nicht klären. Wir haben nichts mehr von ihnen gehört.

Der Pfeife rauchende Oliver war ein ruhiger Typ, der sehr regelmäßig und allein zum Hilfseinsatz ausrückte, sehr gut klar kam, aber wenig zu erzählen hatte. Sabine aus Oberstdorf strandete in einer Regennacht bei uns. Von Oberstdorf mit der Bahn kommend, wollte die Skilehrerin weiter und ins Zeltlager am Helfer-Shuttle. Sie hatte viel in den Medien gesehen und fieberte ihrem Katastropheneinsatz entgegen. Doch nachts und bei Regen war nichts zu machen. Oliver setzte sie am nächsten Morgen in Ringen ab, wo ihr Hilfseinsatz startete, der auf ihrer Facebook-Seite zu verfolgen war.

Stolz in all dem “Driss"

Gleich zwei Wochen lebte Jörg aus Essen bei uns, tagsüber an der Ahr aktiv. Er arbeitet in der Eventbranche, wo dank Corona nichts ging. Sein motorsportbegeisterter Chef kennt die Ahr von Besuchen auf dem Nürburgring. Er stellte Jörg frei. Der wiederum organisierte sich über sein Netzwerk einen 20-Tonnen-Bagger, den er samt An- und Abfuhr per Tieflader gratis bekommen hatte. An der Ahr in Ahrweiler, in der Schützenstraße und an den Schulen, baggerte er weg, was weg musste. Auch das Haus einer älteren Dame, der Jörg nicht nur mit kostenlosem Abriss und Abfuhr half, sondern sie auch trösten konnte. Obendrein machte er noch einen kleinen Jungen glücklich, der in „all dem Driss“ stolz war, in Jörgs Bagger mitfahren zu dürfen. Der Essener hinterließ ein großes Erinnerungsfoto und seinen Bagger in Spielzeuggröße. Da hatten sich zwei Kumpels gefunden.

Immer mal wieder übernachtete Dennis bei uns. Von Beruf Bäcker auf der anderen Rheinseite und als Tanztrainer in der Region bekannt, half und hilft er in jeder freien Minute an der Ahr. Unter anderem war er tagelang bei der Weinlese dabei und unterstützt die „Schwarzwaldmädel“, wenn sie in Laach kochen und zum Gratisessen einladen. Der bislang letzte Übernachtungsgast war Danilo. Er rauschte kurzfristig sehr spät abends mit einem Auto voller Heizungen und einem dicken Spendenscheck aus seinem Dorf in der fernen Uckermark heran. Am nächsten Morgen übergab er alles in Ahrweiler, machte sich dann wieder heim. Könnte sein, dass er noch mal wiederkommt, hat er mitgeteilt. Hilfe ist ja weiter nötig.

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