Statt Menschen tümmeln sich nun Gegenstände im großen Eingangsbereich des Goldenen Ankers. Gemälde, Stühle, Lampen, Tresore, Besteck, Geschirr, Pflanzen – die Liste aller Gegenstände, die der Auktionator und Ahrweiler Antiquitätenhändler Wolfgang Huste an zwei Tagen versteigern möchte, ist hier noch lange nicht zu Ende. Genau genommen ist sie 393 sogenannte Posten lang. Zu den Posten gehören einzelne Gegenstände, Konglomerate von mehreren Gegenständen, aber auch ganze Zimmer und Etagen.
Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten, verkauft: Ein Mann hat zugeschlagen, er hat sich gleich mehrere Ölgemälde für nur 100 Euro gesichert. Ein Schnäppchen, schon die Bilderrahmen wären teurer. Es ist ein Sammler aus Sankt Augustin, dem es Kunstgegenstände angetan haben. Seit 38 Jahren schon sucht sich der 53-Jährige seine Stücke auf Antiquitätenmärkten und Auktionen zusammen. Am Freitag hatte er auf der Auktion im Goldenen Anker wenig Konkurrenz. Nicht viele Interessenten waren gekommen, bemerkte Huste etwas enttäuscht. Er glaubt aber, dass am Samstag, wenn keiner arbeiten muss, mehr los sein wird.
Dann sollen auch die „großen Fische“ der Auktion unter den Hammer fallen. So auch die Ankerbar, die komplett für mindestens 5000 Euro weggehen soll. Für Alice Giffels ist es der Raum, in dem wohl die meisten Erinnerungen leben. Als ihr Mann Toni Giffels 1980 auf die Idee kam, sie mit einem weißen Tresen und weißen Möbeln einzurichten, hatte er in Deutschland vergeblich nach einem Zimmermann gesucht, der ihm diesen Wunsch erfüllen konnte. Alle wollten ihm nur dunkles Holz anbieten. Doch Toni Giffels blieb stur, es sollten weiße Möbel sein, und die fand er schließlich in Rotterdam. „Wenn mein Mann nicht Hotelier geworden wäre, dann wohl Innenarchitekt“, sagt Alice Giffels mit dem Blick auf all die Überbleibsel seiner Liebe zum Detail, die nun verkauft werden müssen.
Man merkt ihr an, dass die Auflösung der Hotelräume nach 50 Jahren, die sie in ihnen gearbeitet hat, nicht nur viel planerische, sondern auch emotionale Kraft kostet. Immer wieder fallen ihr kleine Details auf, auf die sie zeigt und aufmerksam macht. Doch einzelne Geschichten und Anekdoten aus der Ankerbar fallen ihr ad hoc nicht ein, es ist eher das große Ganze aus all den vergangenen Jahren, das diesen Raum so besonders für sie macht. Wolfgang Huste versucht die Magie des Raumes so zu erklären: „Könnte die Ankerbar reden, so könnte sie sicher einiges erzählen, und sicher sind einige Menschen froh, dass die Bar eben nicht reden kann. Denn hier wurden unzählige Entscheidungen, Absprachen oder auch Geschäfte besprochen. Allein schon wegen der Geschichten wäre die Bar 100.000 Euro wert.“
Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten, verkauft: Ein Pärchen mit der Bieternummer 20 ist nun um unzählige Flaschen Wein und Spirituosen reicher und um 190 Euro ärmer. Sie haben die alkoholische Ausstattung einer kompletten Bar ergattert, nachdem sie einen anderen Interessenten überbieten mussten. Als sie die Flaschen später einräumen, sagt ihnen einer der ehemaligen Hausmeister, sie hätten doch gleich den ganzen Weinkeller kaufen können. Hier lagern noch mehr Spirituosen, und auch unter anderem verstaubte, teure Weine aus den Fünfzigerjahren. „Wir haben es uns überlegt, aber wo sollen wir das lagern?“, sagt die Frau mit der Bieternummer 20 dem Hausmeister.
Und es wäre noch größer gegangen, doch dafür bräuchte das Paar nicht nur Stauraum, sondern einen großen Saal: Die gesamte Vinothek, mit Tresen, Mobiliar, Gegenständen und Getränken, soll versteigert werden. Als der Hausmeister noch einmal in den großen Raum im Untergeschoss führt, schaut er etwas traurig drein. Hat er Herzschmerz bei dem Gedanken, dass das alles nun nicht mehr ist? „Es ist mehr als das“, antwortet er. Er erinnert sich an die unzähligen und ausgelassenen Veranstaltungen, beispielsweise die Sitzungen der KG Blau-Weiss Neuenahrer Schinnebröder. Die Vinothek ist der Lieblingsort des Hausmeisters, der sich selbst als lebendes Inventar des Hotels bezeichnet. „Wir haben dieses Hotel gelebt“, sagt er über sich und die anderen Mitarbeiter.
So sieht das auch Marlene Vogt, die seit 30 Jahren als Empfangschefin im Goldenen Anker gearbeitet hat. Sie hat sich als Andenken die große Empfangsglocke aus Messing mit nach Hause genommen. Doch das Herzstück des Hotels, das sei kein einziger Raum, sagt sie. „Das Herzstück ist die Familie Giffels.“ Und die bleibt, auch ohne Hotel. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten, verkauft – gilt nur für die Gegenstände, nicht aber für die unzähligen Erinnerungen und Geschichten im Familienbetrieb.