Altenahr/Bad Breisig – Wenn Rowan West in diesen Tagen seine Werkstatt in Altenburg betritt, dann nimmt sein jüngstes Projekt fast den gesamten Raum ein. Der 58-jährige Orgelbaumeister ist mit dem Neubau der Orgel für die Pfarrkirche Sankt Marien in Bad Breisig beauftragt. Die im norddeutschen Barockstil gebaute Orgel, deren Gehäuse noch in weiten Teilen erhalten ist, soll ein adäquates Innenleben erhalten.
Die Arbeit ist durchaus mit einer archäologischen Puzzlesuche zu vergleichen. „Unser Ziel ist es, Gehäuse und Orgel in einen optischen wie akustischen Einklang zu bringen“, erklärt West beim Besuch unserer Zeitung. In diesen Tagen, vorausgesetzt die Arbeiten laufen nach Plan, werden die letzten der mehreren Tausend Einzelteile in Altenburg gefertigt. Dann beginnt das große Verpacken, ehe in Bad Breisig die Aufbauarbeiten beginnen.
Das Instrument, dessen Herstellung in die Jahre 1755 bis 1759 fällt, wurde vor gut einem halben Jahr aus der Breisiger Pfarrkirche entfernt. Seitdem wurden in Wests Werkstatt mehr als 2000 Pfeifen aus Zinn-Metall-Legierungen gegossen oder aus Holz geschnitzt. „Im Grunde hat sich seit Jahrhunderten an den handwerklichen Abläufen kaum etwas geändert. Maschinen kommen so gut wie gar nicht zum Einsatz“, sagt der gebürtige Australier, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in Deutschland lebt und arbeitet.
Aber nicht nur von seinen sieben Mitarbeitern, sondern auch von den zukünftigen Spielern der neuen Orgel ist Handarbeit gefordert. Denn anders als in modernen Orgeln wird bei der Rekonstruktion der Breisiger Barockorgel auf Elektronik verzichtet. Sämtliche Einstellungen und Registrierungen werden manuell vorgenommen. Einzige Ausnahme bilden die Luftbalgen, die über ein motorgetriebenes Gebläse versorgt werden. „Aber selbst bei Stromausfall bleibt die Orgel noch bespielbar, da die Balgen auch von Hand gepumpt werden können“, macht West deutlich. Der kontinuierliche Luftzug, in der Fachsprache Wind genannt, unterliegt minimalen Schwankungen. Die „atmenden Winde“ sorgen zum einen für ein leichtes Vibrato, zum anderen wird die Aufmerksamkeit der Zuhörer angeregt.
Rund 14 Kubikmeter Holz, mehrere Jahre abgelagerte Eiche und Kiefer, sowie mehrere Hundert Kilogramm Metall sind in den vergangenen Wochen und Monaten in der Orgelbauwerkstatt zu einem Instrument verarbeitet worden. Die kleinste Pfeife ist gerade einmal sieben Millimeter kurz, die größte stattliche fünf Meter lang. „Über die Zeit entsteht eine persönliche Bindung zu der Orgel. Mit gemischten Gefühlen denke ich schon jetzt an den Moment der Fertigstellung“, gesteht West und spricht damit auch für seine Mitarbeiter.
Letztlich müsse man sich aber vom Instrument trennen, auch um die Liebe aufrecht erhalten zu können. Überhaupt zeigt sich der ruhige Australier immer wieder nachdenklich-philosophisch: „Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, in der es kaum noch prägende Stile gibt. Im Barock, der Gotik oder der Renaissance wurde mit Allegorien, Metaphern und einer großen Symbolik gearbeitet.“ Den rekonstruierenden Orgelbau versteht West daher als Rückbesinnung auf Konstanten. Sich selber würde er als „Kulturbotschafter oder -vermittler“ bezeichnen.
Die Arbeiten für die neue Orgel von Bad Breisig, deren 27 Register über zwei Manuale und ein Pedal gespielt wird, werden noch die kommenden Monate andauern. In diesen Tagen steht zwar der Umzug in das Gotteshaus an, wo der endgültige Aufbau auf der Empore vollzogen wird. In Feinarbeit muss dann jede der mehr als 2 000 Pfeifen harmonisiert und im nächsten Arbeitsschritt im Gesamtklang gestimmt werden. Erst zur Weihnacht wird die Orgel komplett spielfertig sein. Dann dürfen sich die Zuhörer auf einen einzigartigen Hörgenuss freuen. Denn trotz barocker Bauweise lässt sich nahezu die gesamte Orgelliteratur auf dem Instrument intonieren.
Von unserem Mitarbeiter Andreas Wetzlar