Äpfel, Birnen, Trauben, Orangen und eine Ananas liegen neben Kunstblumen in der Tischmitte. So, als ob sie nur darauf warteten, als Vorlage für ein Stillleben herzuhalten. Das müssen sie aber gar nicht – die Hauptsache ist, es wird gemalt. Die großen Tonpapierbögen liegen schon bereit, Pastell- und Ölkreiden ebenso. Auch die Bewohner der Lebenshilfe-Notunterkunft in Mendig sind schon am großen Tisch im „Arp Labor“ des Arp Museums im Bahnhof Rolandseck versammelt. Die Restlichen aus der Notunterkunft „Düsseldorfer Hof“ gleich neben dem Museum trudeln noch ein.
Die Angst ist noch spürbar
Früher haben Andrea, Ulrike, Pascal und Co. zusammen im Lebenshilfehaus in Sinzig gelebt. Bis zur Ahrflut, die ihr Zuhause zerstört, zwölf ihrer Mitbewohner ums Leben gebracht und den Rest von ihnen auseinandergerissen hat. Die Erlebnisse der Flutnacht sind noch lange nicht verarbeitet – weder bei den Bewohnern noch bei den Mitarbeitern der Lebenshilfe. Es habe einen „massiven Rückgang in der Entwicklung“ gegeben, berichtet Hans-Christian Seifert, kommissarischer Geschäftsführer der Lebenshilfe-Kreisvereinigung. Fälle von Demenz und Inkontinenz hätten zugenommen. Und da sei da noch diese Nervosität, die immer um sich greift, wenn es stark regnet.
Eine Lebenshilfe-Bewohnerin hat „Hinlauftendenzen“ entwickelt: Immer wieder macht sie sich von der Interims-Lebenshilfe-Unterkunft in Rolandseck zu Fuß nach Sinzig auf – und verläuft sich dabei regelmäßig. Mit Therapeuten der Ehrenwall’schen Klinik werden die Traumafolgen aufgearbeitet. Daneben gibt es reittherapeutische Anwendungen, tiergestützte Interventionen und eben die „Kunsttherapie“ im Arp Museum – alles finanziert aus Spenden zur Förderung der Bewohner der Lebenshilfe. „Solche Angebote wie hier sind elementar“, betont Seifert.
Struktur im Alltag hilft
Grundsätzlich gelte es, wieder mehr Struktur in den Alltag der Lebenshilfe-Schützlinge zu bringen. Und das nicht nur in den neuen Unterkünften, die nach wie vor nur Notunterkünfte seien. Der erlittene „Verlust von Betreuungsqualität“ soll auch mit externen Angeboten wie dem im Arp Labor wettgemacht werden. Hier fühlen sich die Lebenshilfe-Schützlinge fast schon wie zu Hause. Das ist ihr Raum hier; er gibt ihnen Sicherheit.
Nach dem ersten Mal war ich so bezaubert – weil die Freude so groß war, sich wiederzutreffen.
Annette Krapp, Leiterin der Kunstvermittlung im Arp Museum
„Ich hatte anfangs arge Bedenken wegen dieser großen Gruppe“, schmunzelt Annette Krapp, Leiterin der Kunstvermittlung im Arp Museum. „Aber nach dem ersten Mal war ich so bezaubert – weil die Freude so groß war, sich wiederzutreffen.“ Heute weiß sie: „Es muss für diese Gruppe einfach so sein.“ Auch Lebenshilfe-Geschäftsführer Hans-Christian Seifert ist voll des Lobes. „Wir haben gemerkt, welche positiven Effekte die künstlerische Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen der Flutnacht hat“, erklärt er. Nach den Treffen sei bei allen eine „deutliche Entspanntheit“ spürbar.
Begeisterung steckt an
Alle machen begeistert mit, obwohl ein ganzer Arbeitstag (zumeist in den Behindertenwerkstätten der Caritas) hinter ihnen liegt. Und die Begeisterung und gute Laune stecken auch die Museumsmitarbeiter an. Allen voran Franca Perschen, die als Kunstvermittlerin die Workshops mit den Lebenshilfe-Bewohnern betreut. „Ich freu mich immer sehr darauf und gehe beschenkt nach Hause“, sagt sie.
Manchmal führt Franca Perschen die Lebenshilfe-Bewohner auch durch die neuen Ausstellungen im Museum. „Kunst zum Anfassen“ haben sie etwa bei der Schau von Franziska Nast erlebt. Nach dem Besuch der Ausstellung „Tierisch was los“ in der Kunstkammer Rau haben sie Tiere gemalt, zu Karneval entstanden Dada-Masken. „Wir machen alles, was relativ unkompliziert ist, manchmal auch ganz spontan“, erklärt Perschen.
Motive werden verspeist
Einige bleiben sich dabei aber immer treu. Andrea zum Beispiel. Sie malt immer alles bunt. Auch Ulrike mag es farbig. Und sie mag Stoff und Wolle. In ihrer Tasche hat sie einen selbst aufgewickelten Pompon dabei, fertig zum Aufschneiden. Irgendwann riecht es im Arp Labor nur noch nach Orange und Ananas. Ein klares Zeichen dafür, dass einige der Lebenshilfe-Bewohner vom Malen schon zum Essen übergegangen sind. Auf dem Nachbartisch ist ein Teil der heute entstandenen Bilder ausgebreitet. Gleich werden sie fein säuberlich zusammengepackt und als besondere Trophäen mit nach Hause genommen – obwohl die neuen Wohnungen schon jetzt reich geschmückt sind mit den Bildern, die allwöchentlich im Arp Labor entstehen.