Künstler suchen nach der Flut ihren Platz
Are-Gilde sorgt sich um ihre Zukunft: Wie Künstler nach der Ahrflut ihren Platz finden
Von links oben im Uhrzeigersinn: Angelika und Hans Castelli haben ehrenamtlich mit angepackt. Annemarie Müller-Feldmann verlor viele wertvolle Dokumente. Cristina Schäfer hat fast ein Jahr lang nicht gemalt. Werner Winkler hat den Kopf für das Fotografieren noch nicht frei. Präsidentin Eva-Maria Kreuter organisierte bei sich Nischentreffen. Dieter Breuer hatte in der Flutnacht Glück im Unglück.
Uwe Sülflohn

Sie ist die älteste Künstlergruppe in Rheinland-Pfalz: die Are-Künstlergilde, kurz Are-Gilde genannt, vor 81 Jahren in Ahrweiler gegründet. Ihre heutigen Mitglieder sind sich sehr wohl der langen Tradition bewusst: Sie sind stolz auf die Vergangenheit der Künstlergruppe, sorgen sich aber auch um ihre Zukunft.

Von links oben im Uhrzeigersinn: Angelika und Hans Castelli haben ehrenamtlich mit angepackt. Annemarie Müller-Feldmann verlor viele wertvolle Dokumente. Cristina Schäfer hat fast ein Jahr lang nicht gemalt. Werner Winkler hat den Kopf für das Fotografieren noch nicht frei. Präsidentin Eva-Maria Kreuter organisierte bei sich Nischentreffen. Dieter Breuer hatte in der Flutnacht Glück im Unglück.
Uwe Sülflohn

Zuerst die Pandemie und ihre Auflagen, dann die Flut – das alles habe die Are-Gilde ausgerechnet in ihrem Jubiläumsjahr „an den Rand des Erträglichen gebracht“, formuliert Gildemitglied Angelika Castelli. Wer hatte nach den schrecklichen Geschehnissen überhaupt noch die Motivation und die Kraft, sich künstlerisch zu betätigen? Jetzt, ein gutes halbes Jahr nach der Flutkatastrophe, gibt es bei den Are-Künstlern zwar die ersten zaghaften Ansätze, wieder zu malen oder zu fotografieren. Doch eine Ausstellung ist gefühlt immer noch in weiter Ferne. Wo auch ausstellen? Und mit was?

Denn nicht nur Kunstwerke sind beim Hochwasser vernichtet worden, auch die Materialien für den Aufbau einer Ausstellung sind futsch. Die gesamte Ausstattung der Are-Gilde war im Keller bei Gildemitglied Dieter Breuer in Walporzheim untergebracht. Breuer selbst hatte Glück im Unglück: Er und seine Frau wohnen im Obergeschoss eines Mietshauses. Ein schmerzhafter Zufall bewahrte ihn in der Katastrophennacht vor dem Schicksal, dem Ahr-Tsunami von Angesicht zu Angesicht zu begegnen: Er war schon auf dem Weg nach draußen, als er auf der Treppe stürzte und sich eine Verletzung am Scheinbein zuzog, angesichts derer er dann doch lieber drinnen blieb.

Die Verletzung brachte ihm in der Folge eine Blutvergiftung ein, die Flut viele Wochen in Notunterkünften. Als er dann nach Walporzheim zurückkehrte, war der verschlammte Inhalt seines Kellers bereits entsorgt worden. Wer weiß, ob noch etwas zu retten gewesen wäre? Die neu angeschafften Staffeleien vielleicht? Doch es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen: Breuer war einfach nicht da, als die Helfer den Keller ausräumten. Inzwischen ist der pensionierte Bundeswehrsoldat mit aller Kraft für seinen Wohnort im Einsatz: Er hilft im Walporzheimer Versorgungszelt mit. Auch zum Pinsel hat er schon wieder gegriffen, aber es fällt ihm noch immer schwer.

Im März 2018 war bei der Are Gilde noch alles in Ordnung: Da feierte die Künstlergruppe – begleitet vom Ensemble Klezmer und Co. aus Rheinbach – die Vernissage zur Ausstellung „Kontraste“ in der Ahrweiler Synagoge. Im Hintergrund zu sehen ist die Gemäldeserie „Kontraste“ von Robert Reuter.
Uwe Sülflohn

Gildemitglied Werner Winkler dagegen ist noch voll und ganz mit seinem schwer flutbeschädigten Haus beschäftigt. Er wohnt in Bad Neuenahr hinter der Pius-Kirche, keine 200 Meter von der Ahr entfernt. Das Wasser hat die wichtigsten Teile des Hauses zerstört, auch sein Fotografieequipment sei komplett „abgesoffen“, erzählt er. Dazu kommt die emotionale Achterbahnfahrt. „Alles braucht Zeit“, sagt Winkler – „herrichten, aufbauen und schauen, dass die Finanzen reinkommen.“ Einen freien Kopf fürs Fotografieren hat er noch nicht. „Das kommt aber wieder“, hofft er.

Schlimm getroffen hat es auch Annemarie Müller-Feldmann, langjährige Förderin der Are-Künstlergilde. Die 94-Jährige war bis zur Hochwasserkatastrophe „Deutschlands dienstälteste Antiquarin“: In der Telegrafenstraße war ihr Grafik-Antiquariat angesiedelt, und neben unzähligen Originalgrafiken und Aquarellen fielen hier in der Flutnacht auch viele Dokumente zur jüdischen Geschichte rund um Bad Neuenahr-Ahrweiler den Fluten zum Opfer. „Aus dem Geschäft hab‘ ich zwei Leitz-Ordner gerettet, aber kein einziges Bild“, erzählt Annemarie Müller-Feldmann.

Daheim in Westum blieb Gildemitglied Cristina Schäfer von der Flut zwar verschont. Trotzdem hat sie fast ein Jahr lang nicht gemalt. „Ich weiß nicht, ob es an Corona lag. Es gab kein Ziel, keine Ausstellung, kein Projekt“, beschreibt sie die Zeit vor und nach der Flut. Seit der Katastrophe ist sie nun mehr noch als früher als Lehrerin an der Boeselager-Realschule plus gefordert. Im Kunstunterricht will sie ihren Schülern die Möglichkeit geben, das Erlebte zu verarbeiten. Selbst wieder zu malen, das hat sie erst vor Kurzem versucht. „Das erste Bild ist schlicht und einfach nichts geworden“, schmunzelt Schäfer. Sie sei wohl einfach aus der Übung gekommen.

Auch Angelika Castelli hat ihren Pinsel lange ruhen lassen. Selbst vom Hochwasser verschont, hat sie mit ihrem Mann Hans nach der Flutkatstrophe ehrenamtlich am Spendenlager am Johannisberg mit angepackt. Um ihr den Wiedereinstieg in die Malerei zu erleichtern, hat sie sich einfach alte Bilder genommen und überarbeitet. Castelli hat auch einen potenziellen neuen Ausstellungsort aufgetan: den Glaspavillon der Rheinbacher Glasfachschule.

Eine Sonderrolle in der Künstlergemeinschaft nimmt Margarete Gebauer ein: Obwohl sie selbst Flutbetroffene ist, hat sie als einzige der Gildemitglieder bereits wieder Ausstellungen gehabt und dabei vor allem ihre „Flutkunst“ gezeigt, die sie mithilfe von Antje Schlaud, ebenfalls Künstlerin und Mitglied der Are-Gilde, aus ihrem verschlammten Atelier in Bad Bodendorf retten konnte. Ganz bewusst setzt Gebauer in der aktuellen Situation auf Kunst: Der Zerstörung will sie Kreativität entgegensetzen, dem Hässlichen etwas Schönes.

Und die Gemeinschaft selbst? Nach der Flut sind die Künstler der Gilde naturgemäß ein bisschen auseinandergedriftet. „Jeder hatte sein Schicksal“, erzählt Eva-Maria Kreuter, Präsidentin der Are-Gilde. Durch „Nischentreffen“ in ihrem von der Flut verschonten Zuhause versuchte sie aber, den Kontakt wieder zu intensivieren. „Vereinsamung muss man einfach durchbrechen“, betont Kreuter.

Mittlerweile sind die Gildemitglieder wieder so gut vernetzt, dass sie sich Gedanken über die gemeinsame Zukunft machen können. Die eigentlich für September 2021 geplante Ausstellung zum 80. Jubiläum soll auf jeden Fall noch in diesem Jahr nachgeholt werden. Es gibt zwar noch viele Fragezeichen, aber auch schon Pläne. Wie wäre es zum Beispiel mit einer sommerlichen Ausstellung in den Weinbergen?

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