Missliche Entwicklungen mit Handwerksbetrieben, die teilweise das „Blaue vom Himmel“ versprochen hatten, dann aber schlecht oder schlicht gar nicht gearbeitet haben, führten dazu, dass das Lehrerehepaar immer noch in der kleinen Dachgeschosswohnung seines Hauses lebt. Dass sie diese Alternative überhaupt haben, ist der glücklichen Fügung zu verdanken, dass die Flüchtlinge, an die sie die Räume im Obergeschoss vermietet hatten, wie durch eine Fügung vier Tage vor der Katastrophe ausgezogen waren.
Zuflucht in der Flutnacht 2021 unterm Dach
Der enge Raum unter dem Dach war in der Flutnacht Zuflucht für sechs Menschen, die dort ausharrten, während um sie herum die Welt unterzugehen schien und der Fluss sich zerstörerisch Bahn brach. Nach Mitternacht hatten Andrea und Gunnar Lawrenz drei Frauen gerade noch so an den Armen ins Haus ziehen können, die eigentlich nur auf die andere Straßenseite wollten, doch gegen die Strömung nicht mehr ankamen. Auch weckten sie den im Souterrain ihres Mietshauses gleich nebenan schlafenden afrikanischen Flüchtling. „Wir saßen dann hier oben im Kerzenschein, haben Gitarre gespielt und gesungen.
Dann hörten wir diese unglaublichen Schreie, sie kamen von dem älteren Ehepaar, das nicht aus seinem Bungalow hinter uns herauskam – und dann hörten die Schreie plötzlich auf, es war furchtbar“, erinnert sich Andrea Lawrenz. Später stellte sich heraus, dass die Feuerwehr das Ehepaar doch noch hatte retten können. „Wir waren danach nur im Funktionsmodus. Die iranische Familie, die im Obergeschoss unseres Mietshauses überlebt hatte, konnte gar nichts tun. Sie saß nur stumm neben ihren nassen Sachen, das war für uns in dieser Situation eine große Verantwortung“, sagt Andrea Lawrenz.
Schock zwei Wochen später
Für sie und ihren Ehemann kam der eigentliche Schock erst zwei Wochen später, als sie realisierten, dass sie doch nicht, wie sie ursprünglich angenommen hatten, für ihr eigentliches Wohnhaus eine Elementarversicherung abgeschlossen hatten. „Glücklicherweise traf das aber auf unser Mietshaus zu, das wir drei Monate vor der Flut gerade fertig eingerichtet hatten, um dort bezahlbaren Wohnraum für anerkannte Flüchtlinge vorzuhalten“, erklärt Gunnar Lawrenz, der wie auch seine Frau der Freikirchlichen Credo-Gemeinde in Kripp angehört. Allerdings: Die Versicherung deckt zwar die Kosten zur Gebäudesanierung ab, das gesamte Inventar jedoch nicht.
Wie sie die Zeit nach der Katastrophe überstanden haben und was alles geschehen ist, hat das Ehepaar in einem Tagebuch festgehalten. „Ich wollte auch wissen, wem ich zu danken habe – das war der ursprüngliche Grund, warum ich damit angefangen habe“, so Andrea Lawrenz. Dort ist jeder Tag festgehalten, wer gekärchert, geschüppt, geräumt, sie mit Essen versorgt, Parkett herausgerissen oder ständig geputzt hat. Es kamen wildfremde Helfer, aber auch aus ihren beiden Schulen, dem Rhein-Gymnasium und dem Peter-Joerres-Gymnasium samt Gunnar Lawrenz' Schulleiter, sowie aus einer Baptistengemeinde in Paderborn oder vom Hoffnungswerk.
Kleiner Junge wünscht Kraft und Segen
Gunnar Lawrenz nimmt sein Portemonnaie hervor und zieht daraus einen kleinen weißen Zettel. „Den trage ich seit dem zweiten Tag nach der Flut bei mir. Den hat mir damals ein kleiner Junge in die Hand gedrückt, vielleicht so zweites Grundschuljahr, der auf seinem Rädchen hier vorbeikam“, sagt er. Darauf steht in ungelenker Kinderhandschrift zu lesen: „Viel Kaft und viel Segen. Ben.“
In dem Tagebuch der Lawrenzes ist aber auch noch anderes festgehalten. Wann es beispielsweise wieder geregnet hat und sie erneut das Wasser im Keller stehen hatten. Dreimal war dies nach der Flutkatastrophe der Fall. „Dass wir dieses Buch geführt und alles dokumentiert haben, bewirkt, dass die Erinnerung nicht nur ein unbestimmtes Gefühl bleibt. Mit jeder Seite begebe ich mich in die damalige Situation, es ist kein Zeitbrei für uns, und dadurch sind wir auch nicht traumatisiert“, beschreibt Andrea Lawrenz die heilende Wirkung. Später hatte sie gelesen, dass eine Traumatherapeutin genau solches Vorgehen empfiehlt.
Hausmusik und Gesellschaftsspiele
Zu Heiligabend werden die drei Kinder des Ehepaars und die Mutter von Andrea Lawrenz kommen. Auch wenn die Wohnung noch nicht bezugsfertig ist, steht der Weihnachtsbaum schon. Neben dem von der Flut geretteten und restaurierten großen Esstisch und den Stühlen. „Wir werden ganz klassisch mit viel Hausmusik und jeder Menge Gesellschaftsspielen feiern“, freut sich Andrea Lawrenz auf diese Atempause. Denn die tut Not. „Dadurch, dass wir voll berufstätig sind und dann abends bis etwa 22 Uhr hier alles noch selbst machen, was zu tun ist, geht es uns langsam an die Substanz“, sagt sie. Und sie fügt nachdenklich hinzu: Viele andere, oft ältere Leute, die sich nicht selbst helfen können, hätten auch dieses Weihnachten immer noch eine Ruine vor sich ...