Wann er denn zum letzten Mal an der Oberahr gewesen sei, fragte der Bad Neuenahrer Hotelier Günther Uhl (Hotel Krupp) mit kritischem Unterton den Bonner Tourismusplaner Jan-F. Kobernuß, nachdem dieser in der Mitgliederversammlung des Vereins Ahrtal-Tourismus Bad Neuenahr das Verfahren und die Eckpunkte einer „Tourismusstrategie Ahrtal 2025“ vorgestellt hatte. Die soll Ende des Jahres vorliegen. Dort herrsche die Apokalypse, so Uhl, der Vorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbandes im Ahrkreis ist. Es sei alles andere zu erwarten als die Umsätze von vor drei Jahren, die Kobernuß als Maßstab gesetzt hatte. Er hatte 1,5 Millionen Übernachtungen, 3,4 Millionen Tagesgäste und 140 Millionen Euro an touristischer Wertschöpfung für die „Destination Ahrtal“ benannt.
Ähnlich kritisch äußerte sich Daniel Kempen vom Hotel Rodderhof (Ahrweiler) zum Thema Langzeitplanung. Er sprach vom aktuellen Zeitdruck an der Ahr. Am 15. Juli laufen die Zahlungen aus der Betriebsunterbrechungsversicherung aus; deshalb müssten viele von der Flut getroffene Betriebe wieder öffnen und Geld verdienen. Sofortmaßnahmen seien existenziell. Die „Authentizität“ und die „Alleinstellungsmerkmale bei uns an der Ahr“ vermisste Gastronom Hans Stefan Steinheuer (Steinheuers Heppingen) im Konzeptentwurf und sprach ein „Bau- oder Architekturstilbuch“ für den Wiederaufbau an.
„Die Geschichte der Flut erzählen“
Weinhändler Volker Danko, zugleich Vorsitzender der Werbegemeinschaft Bad Neuenahr, regte an, an vielen Stellen den Gästen „die Geschichten von der Flut weiter zu erzählen“. Er habe erfahren, dass viele Menschen teilhaben wollten. Dies sollte man berücksichtigen. Kobernuß sowie Vorsitzender Christian Lindner und Geschäftsführer Christian Senk nahmen die Kritik und Vorschläge aus der Versammlung, zu der nur 39 der 278 Mitglieder gekommen waren, auf. Lindner hatte bereits bei der Eröffnung der Mitgliederversammlung im Zeltprovisorium im Kurpark der von der Flut stark ramponierten Kreisstadt davon gesprochen, dass alle „Leistungserbringer“ im Tourismus aufgrund von Corona und den Flutschäden sehr viel Geduld und Durchhaltevermögen brauchten.
Neuer Vorstand
Der neue Vorstand des Ahrtal-Tourismus: Christian Lindner (Vorsitzender). Vertreter von Gastronomie, Hotellerie und Ferienwohnungen: Ute Körtgen, Andreas Carnott (neu), Denis Hüttig und Sebastian Kniel (neu). Vertreter der Winzerschaft: Peter Kriechel. Vertreter des Einzelhandels: Patrick Küpper (neu). Vertreter der Kliniken und Fachärzte: Dr. Ulrich Bauer (neu). Vertreter der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler: Guido Orthen (qua Amt Mitglied). Vertreterin der Spielbank Bad Neuenahr: Sandra Berns (qua Amt Mitglied).
Nach einem emotionalen Filmeinspieler mit Bildern von der Ahr und einer Gedenkminute für die Opfer stellte er zuversichtlich fest: „Es geht immer weiter voran.“ Optimistisch stimme, dass 90 Prozent der 300 Mitgliedsbetriebe weiter machen wollen. Bereits zum Jahresende könnten 50 Prozent der Betriebe wieder Gäste empfangen, so Lindner, der ein Sweatshirt mit dem Motto „We AHR one.#SolidAHRarität“ aus dem „Ahrtal-Store“ unterm Jackett trug.
In einer Klausurtagung habe der Vorstand ein Positionspapier als Grundlage für die Entwicklung im Ahrtal nach der Flut vorgelegt. Das müsse nun „aus der Mitte heraus“ und fachlich begleitet ausgearbeitet werden. Dafür und fürs Personal gebe es von der Stadt Bad Neuenahr 2022 und 2023 zusätzlich 260.000 Euro. Das Land habe zudem eine Million Euro in Aussicht gestellt. „Lasst es uns gemeinsam angehen“, schloss Lindner.
Die Tage seien wie Achterbahnfahren, beschrieb der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, Guido Orthen, das schwierige „Tagesgeschäft“ und die Hindernisse des Wiederaufbaus an vielen Stellen. „Sie selbst sind die Mutmacher“, bestärkte er die Vereinsmitglieder. Jetzt müsse man „Provisorien bauen, aber den Aufbau schon zu Ende denken“, erläuterte er die Entwicklung, die ebenso im Tourismus und in jedem Betrieb laufe.
In einer Mischung aus Bilanz und Ausblick, eloquent und in freier Rede, stellte Geschäftsführer Christian Senk die Vereinsentwicklung seit 2019 und die aktuelle Struktur vor. Aktuell habe die konkrete Beratung der Betriebe im Aufbau absoluten Vorrang und auch die nötigen Mittel, um „Face-to-Face“ eine Hilfe geben zu können. Parallel solle die Arbeit an der Tourismusstrategie 2025 erfolgen. Kritisch merkte er an, dass es aus der Wiederaufbauhilfe ja „nur das geben wird, was war. Wenn wir mehr wollen, dann müssen wir uns andere Geldgeber suchen.“
Schnell aufgebaut und umgesetzt werden soll ein neues Kommunikationskonzept mit Besucherlenkung. Es gehe bereits jetzt schon um jeden Gast. Die vielen Tausend Helfer, die durch ihre Hilfseinsätze ihre Bindung zum Tal und seinen Leute gezeigt hätten, seien ein Potenzial, so Senk, lässig mit einem Ahrtal-Hoodie mit dem Hinweis „I love Ahr“ gekleidet. Das Motto „Dein Besuch im Ahrtal ist gelebte SolidAHRität“ richte sich nicht nur an sie, sondern ebenso an Stammgäste und an Leute, die vom Ahrtal in den Medien gehört haben. „Wir müssen das an den Gast bringen, was geht.“
Digitale Tools entwickeln
Im angesichts der Flutschäden an der Ahr „ehrlichen“ Onlineauftritt soll mit digitalen Tools wie einer interaktiven Karte den Gästen gezeigt werden, was das Tal an Veranstaltungen und Sehenswürdigkeiten, schönen Seiten und Möglichkeiten im Bereich Freizeit, Genuss und Outdoor zu bieten hat.
Von der Mitgliederversammlung wurde der laut Senk auf „begründete Hoffnung“ beruhende Wirtschaftsplan 2022 ebenso abgesegnet wie der Stellenplan, der auf 17 Mitarbeiter (plus vier Auszubildende) wächst. Drei neue Stellen sind für die Erarbeitung des Tourismuskonzepts vorgesehen, darunter die Stelle eines „Nachhaltigkeitmanagers“.
Der Jahres-Veranstaltungskalender sieht unter anderem das „Ahrtaler Gipfelfest“ wieder als vierwöchige Online-Wanderkampagne vor. Die „Klangwelle“ im Kurpark ist für die Wochenenden 6. bis 9. und 13. bis 16. Oktober terminiert. Der Tag der offenen Weinkeller soll am 18./19. November steigen. Den Jahresabschluss bilden die „Uferlichter“ als Winterangebot mit Eisbahn im Kurpark.
Von unserem Mitarbeiter Frank Bugge
“Attraktiver als vor der Flut"
Die „Tourismusstrategie Ahrtal 2025“ soll den Neustart des Tourismus im Ahrtal nach der Flut begleiten, so Planer Jan-F. Kobernuß von der IFT Freizeit- und Tourismusberatung aus Köln. Und das Ahrtal soll dann „attraktiver sein als vor der Flut“, formulierte er. Los geht es mit einer Analyse und Befragung der Betriebe, aber auch von rund tausend Fluthelfern, die mit ihrem Einsatz „ihre starke Identifikation“ mit dem Tal gezeigt hätten. Über ein Leitbild gibt es dann ein Handlungskonzept, das in „Maßnahmewerkstätten“ in den Orten entlang der Ahr von Hoteliers, Gastronomen, Vermietern, Winzern und Einzelhändler erarbeitet wird. Kobernuß nannte einige Beispiele von Angeboten, die bei den Gästen „Sehnsüchte erfüllen“ und deshalb wirksam seien: inszenierte Naturerlebnisse, paradiesische Wohlfühlplätze, Sonne und Wasser sowie Essen und Trinken. Das Thema „Storytelling und Leidenschaft“ lasse sich an Ahr an der Hilfsbereitschaft, Solidarität und Mitmenschlichkeit nach der Flut festmachen. fbu