Knapp zwei Millionen Menschen sind bundesweit regelmäßig auf Lebensmittel der Tafeln angewiesen. Die Zahl derjenigen, die ebenfalls zum Abholen von Nahrungsmitteln berechtigt sind, ist vermutlich deutlich höher – so die Schätzung vieler Tafelmitarbeiter. Doch oft ist es die Scham, die Menschen vom Besuch einer Tafel abhält. In Adenau wollen die Mitarbeiter des Vereins „Markt für Leib und Seele – füreinander, miteinander“ mit diesen Schamgrenzen nun aufräumen. Einmal in der Woche bietet der Verein, der von vielen gemeinhin in der Verbandsgemeinde als „Tafel“ bezeichnet wird, eine Lebensmittelausgabe für Menschen aus der Verbandsgemeinde Adenau und angrenzenden Orten an, deren Einkommen für den Einkauf von Lebensmittel nicht oder kaum ausreicht.
Rund 200 Personen sind aktuell im Kundenregister der Tafel verzeichnet – und es könnten durchaus noch mehr werden. Denn anders als in vielen anderen Orten bundesweit sind die Kapazitäten der Adenauer Tafel noch nicht erschöpft. „Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir viele Spenden bekommen – sowohl von Supermärkten und Discountern als auch von Privatleuten“, erklärt Ria Braun, Mitorganisatorin der Lebensmittelausgabe. Über die große Unterstützung freut sich die Ehrenamtliche.
Die Scham beim Gang zur Tafel ist hoch
Im Jahr 2008 starteten die Vereinsmitglieder die Lebensmittelausgabe in Adenau – anfangs noch in Räumen der Verbandsgemeinde. Seit rund einem Jahr findet die Lebensmittelausgabe immer mittwochs in der ehemaligen Kapelle des einstigen St-Josef-Krankenhauses statt, auch das vereinseigene Sozialcafé ist dann geöffnet. Von vielen Bestandskunden wird der Standort, der zentral gelegen ist, angenommen.
„Aber leider erleben wir es auch heutzutage immer wieder, dass Menschen, die eigentlich berechtigt wären, zu uns zu kommen, sich nicht trauen. Weil sie sich schämen oder weil sie denken, dass vor einem Besuch erst viele finanzielle Nachweise erbracht werden müssten“, weiß Braun zu berichten. „Ich habe etwa gerade erst wieder gehört: ,Wenn man zu euch möchte, muss man ja eine amtliche Bescheinigung haben.’ Aber das ist falsch. Das Einzige, was es für den Besuch der Tafel braucht, ist ein Gehalts- oder Einkommensnachweis.“
„Es muss sich niemand schämen, wenn er zur Tafel geht. Im Gegenteil: Bei uns ist jeder herzlich willkommen.“ Ria Braun, Mitorganisatorin der Adenauer Tafel
Natürlich wissen Ria Braun und die rund 40 weiteren ehrenamtlichen Tafelmitarbeiter, dass die Scham, zu einer Lebensmittelausgabe zu gehen, die sich an Bedürftige richtet, und die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber derartigen Institutionen mitunter hoch sind. „Aber es muss sich niemand schämen, wenn er zur Tafel geht. Im Gegenteil: Bei uns ist jeder herzlich willkommen“, bekräftigt Ria Braun im Namen ihrer Kollegen und betont, gerade in Zeiten, in denen die Lebensmittelpreise immer weiter stiegen und die Inflation zunehme, sei die Existenz von Tafeln lebenswichtig.
Um neuen Kunden die Angst zu nehmen, möchten Braun und ihre Vereinskollegen daher aufräumen mit den Vorurteilen, die noch immer in der Gesellschaft im Bezug auf die Tafel verhaftet sind. „Das Allerwichtigste ist, klarzustellen, dass wir wirklich keine Bescheinigung von irgendeinem Amt verlangen. Wer bei uns Lebensmittel bekommen möchte, der benötigt lediglich eine Bescheinigung, aus der die Höhe des monatlich zur Verfügung stehenden Einkommens ersichtlich ist. Das kann ein Gehaltsnachweis sein, eine Rentenbescheinigung, ein Bürgergeldbescheid vom Jobcenter oder ein Nachweis über den Empfang von Sozialhilfe sein. Dieser Nachweis muss vor dem ersten Besuch vorgelegt werden, dann werden die neuen Kunden registriert und sind damit berechtigt, an der wöchentlichen Lebensmittelausgabe teilzunehmen.“
Nicht alle Tafelkunden sind arbeitslos
Doch wie hoch darf das Einkommen eigentlich sein, das zur Abholung von Lebensmitteln bei der Tafel berechtigt? Auch hierauf hat Braun eine Antwort: „Wir haben zwar keine festen Obergrenzen, aber wir richten uns nach dem jeweils aktuellen Bürgergeldsatz, den Arbeitslose samt Wohnkosten erhalten. Dieser Satz liegt derzeit bei rund 1000 Euro.“ In diesem Zusammenhang möchte Braun sogleich mit noch einem Vorurteil aufräumen: „Die Kunden der Tafel sind nicht alle arbeitslos. Im Gegenteil: Rund die Hälfte unserer Kunden beziehen eine Rente, rund ein Drittel ist erwerbstätig.“
Die Lebensmittelausgabe selbst startet in der Regel um 9.30 Uhr. Hierbei haben die Kunden die Möglichkeit, ihre Einkäufe gegen einen symbolischen Euro selbst zusammenzustellen. Das Lebensmittelangebot ist breit gefächert. Neben Brot und Dauerlebensmitteln wie Reis und Nudeln und Konserven dürfen sich Tafelkunden auf Obst und Gemüse, Milchprodukte, Käse und Fleischprodukte und auch Tiefgekühltes freuen. Besorgt haben die gespendeten Lebensmittel acht Fahrer der Tafel. An fünf Tagen in der Woche sind sie mit zwei Fahrzeugen im Kreis Ahrweiler unterwegs.

Die Wartezeit, bis die persönliche Ausgabe beginnt, verbringen viele Kunden im ebenfalls in den Räumen der Tafel eingerichteten Sozialcafé. In dem hellen und freundlich eingerichteten Raum stehen dazu auf eingedeckten langen Tischen Gedecke samt Tee- und Kaffeekannen bereit, und jeder Neuankömmling wird mit einem Lächeln empfangen. Schnell entspinnen sich unter den Cafégästen Gespräche, das gemeinsame Warten verbindet. Aber es sei nicht nur die gemeinsam zu verbringende Wartezeit, die verbinde, sind sich Ria Braun und Cafémitarbeiterin Silvia Jansen sicher.
„Für viele unserer Kunden und Cafégäste ist die Tafel fast wie eine Familie. Wir kennen uns, lachen und freuen uns mit- und füreinander und teilen auch unsere Sorgen und unterstützen uns“, sagen die Frauen übereinstimmend. Gerade die gegenseitige Unterstützung und der Austausch würden unter den Gästen und Kunden großgeschrieben. „Viele unserer Kunden genießen diese Zeit im Café. Denn es ist für viele viel mehr als nur ein Warteraum. Es ist ein Ort der sozialen Begegnung“, fasst Jansen den Zweck des Cafés zusammen und schiebt nach: „Wir haben auch immer wieder Gäste, die einmal Tafelkunden waren, und nun nur noch auf eine Tasse Kaffee und ein nettes Gespräch vorbeikommen.“ Besonders freut es Braun und Jansen, wenn neue Kunden nach ihrem ersten Besuch von Café und Tafel bilanzieren: „So schlimm war es eigentlich gar nicht.“ „Denn“, so erklären die beiden Engagierten lächelnd, „dann wissen wir, dass wir alles richtig gemacht haben und sich unser aller Einsatz gelohnt hat“.
Die Öffnungszeiten der Adenauer Tafel
Die Lebensmittelausgabe des Vereins „Markt für Leib und Seele – füreinander, miteinander“ findet immer mittwochs zwischen 9.30 und 11.30 Uhr in der ehemaligen Krankenhauskapelle, Mühlenstraße 31–35, statt. Das Sozialcafé ist immer mittwochs ab 8.45 Uhr geöffnet. Weitere Informationen rund um die Lebensmittelausgabe erhalten Interessierte beim Tafeltelefon unter 0170/7440767 sowie per E-Mail an leibundseeleadenau@gmail.com