Pfarrerin Claudia Rössling-Marenbach beleuchtet im RZ-Interview die Bedeutung des Osterfestes in der aktuellen Zeit
Adenauer Pfarrerin im RZ-Interview: Ostern als Chance zum friedlichen Neuanfang nutzen
Pfarrerin Claudia Rössling-Marenbach erzählt, was Ostern für sie bedeutet.
Claudia Voß

In diesen Tagen begehen Christen weltweit die Osterfeierlichkeiten. Doch warum eigentlich? Die RZ hat mit Claudia Rössling-Marenbach, Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde Adenau, über die Bedeutung des religiösen Festes in der aktuellen Zeit gesprochen.

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Die Ostertage sind in der Evangelischen Kirche die höchsten Feiertage. Der Bibel nach wurde Jesus Christus an Karfreitag gekreuzigt und ist am Ostersonntag auferstanden. Abgespielt hat sich dies vor rund 2000 Jahren. Doch welche Bedeutung hat Ostern aus kirchlicher Sicht für die Menschen heute?

Als Familienfest hat Ostern mit seinen Schokohasen und den bunten Eiern natürlich eine große Bedeutung. Familien kommen zusammen, feiern und genießen es auch, Zeit in der Natur zu verbringen, den Frühling zu spüren. In unserer säkularisierten Welt sind die Ostertage im religiösen Sinne jedoch für viele Menschen nicht mehr so interessant. Dennoch denke ich, dass es bestimmte Dinge gibt, die wir Menschen nicht selbst schaffen können. Bei Karfreitag geht es aus theologischer Sicht um Vergebung von Schuld, am Ostersonntag darum, neu anfangen zu dürfen, aber auch um Hoffnung auf etwas, was über uns hinausgeht. Der Gedanke, dass wir nach einem schlimmen Ereignis, für welches die Kreuzigung Jesu ja steht, noch einmal neu anfangen können im Leben, ist etwas sehr Tröstliches und, wie ich finde, ein Wahnsinnsgeschenk.

Im Hinblick auf die vielen Krisenherde, die es weltweit gibt, eine tröstliche Vorstellung. Ist die Bedeutung von Kirche damit aktueller denn je?

Auf jeden Fall ist sie noch genauso aktuell wie vor 2000 Jahren. Denn, dass man nach einer geschehenen Schuld noch einmal neu anfangen darf, das ist durch die Jahrhunderte hinweg etwas, was vielen Menschen ein Stück Hoffnung gemacht hat und immer noch macht – gerade auch in schwierigen Zeiten. Theologisch betrachtet, steht der Ostersonntag nicht nur für einen Neuanfang, sondern – insbesondere im Hinblick auf die Auferstehung Jesu nach dem Tod – auch für Hoffnung. Hoffnung darauf, dass es weitergeht.

Trotz dieser Mut machenden Werte wenden sich inzwischen viele Menschen von der Kirche ab. Die Missbrauchsfälle in der Evangelischen und Katholischen Kirche haben viele Gläubige erschüttert. Die Austrittswelle, die derzeit zu verzeichnen ist, hängt meiner Ansicht jedoch nur bedingt mit den Missbrauchsfällen zusammen. Viele Menschen, die sich heute von der Kirche abwenden, haben sich eigentlich schon vor langer Zeit von der Kirche abgewandt, weil sie ihnen nichts mehr bedeutet. Die aufgedeckten Missbrauchsskandale sind für viele wahrscheinlich oft nur ein Anlass, umzugehen. Dass die Kirche, die für einen geschützten Raum und ein vertrauensvolles Miteinander steht, massiv in diese Missbrauchsfälle verflochten ist, ist dennoch eine Katastrophe.

Was ist es dann, was die Menschen aus den Kirchen getrieben hat und treibt?

Ich glaube, es ist die Tatsache, dass die Kirche lange Zeit nicht mehr die Sprache der Menschen gesprochen hat. Wichtig ist es jedoch, die Alltagswelt der Menschen anzusprechen. Von daher bemühe ich mich darum, wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen auch, mich in meiner Sprache und den Predigten so auszudrücken, dass ich die Menschen im Alltag und in meinen Predigten erreiche. Mein Ziel ist es, dass Menschen, auch wenn sie eigentlich schon längst mit der Kirche abgeschlossen haben, nach einem Gottesdienst sagen: „Mensch, das hat mir gut getan.“ Wenn wir als Kirche es jedoch nicht schaffen, den Glauben in die Alltagswelt zu übersetzen, dann können wir uns verabschieden. Hinzu kommt, dass Kirche nichts Neues mehr zu bieten hat. Auch das kann dazu führen, dass sich Menschen gelangweilt abwenden.

Inwiefern?

Unsere Gesellschaft hat einen massiven Eventcharakter. Alles ist spannend, was zum ersten Mal ist und was Spaß macht. Spannend ist, was ein Event ist. Doch Kirche mit ihren Ritualen, Traditionen und zum Teil auch schweren Botschaften ist nicht nur Happiness, gute Laune und Heiterkeit. Dass die Bedeutung von Kirche wegbricht, ist allerdings ein europäisches Problem. In asiatischen und afrikanischen Ländern boomt das Christentum – allerdings in einer ganz anderen Form. In Afrika feiern die Menschen beispielsweise zweistündige Gottesdienste. Hier werde ich in meinem Gottesdienst unruhig, wenn er ausnahmsweise etwas länger als 45 Minuten geht, weil ich denke, die Menschen wollen nach Hause. Was wir aber nicht vergessen dürfen, ist, dass Kirche auch einen großen sozialen, verbindenden und gemeinschaftlichen Aspekt hat.

Auch bei uns in Deutschland?

In der Tat, insbesondere für ältere Menschen hat Kirche eine sehr große Bedeutung. Auch in seelsorgerischer und sozialer Hinsicht. Beispielsweise erlebe ich es immer wieder, dass Menschen, die ich nachmittags daheim besuche, mir sagen, wie sehr sie sich freuen, weil ich der erste Mensch an diesem Tag bin, mit dem sie persönlich sprechen können. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Menschen immer älter werden, ist dies ein Aspekt, der nicht vergessen werden darf.

Das helle Licht der Osterkerze können Besucher in der Osternacht erleben.  Der Gottesdienst beginnt am Ostersamstag ab 21 Uhr zunächst in völliger Dunkelheit in der Erlöserkirche in Adenau.
Claudia Voß

Wie feiern Sie dann Ostern in der Kirchengemeinde? Wird es ein Event werden?

Wir feiern auf jeden Fall den ganzen Weg Jesu Christi und starten am Gründonnerstag mit dem Agapemahl in Ahrbrück. Mit gutem Essen zelebrieren wir gemeinsam an langen Tischen das letzte Abendmahl. Das Abendmahl beschäftigt uns auch an Karfreitag. Wir nehmen es noch einmal auf, hören die Botschaft von Jesu Tod und gehen anschließend in kompletter Stille aus der Kirche. In der Osternacht beginnen wir die Feierlichkeiten in einer dunklen Kirche und in Stille. Erst allmählich werden die Klänge von Glocken und das Licht von Kerzen die Kirche am Ostersonntag in einen festlichen Raum verwandeln. Den symbolischen Neuanfang wollen wir mit einem Holzkreuz verdeutlichen, welches wir gemeinsam mit Osterglocken schmücken werden. Bevor alle Besucher nach dem Gottesdienst in den Ostermorgen gehen, gibt es im Gemeindesaal ein gemeinsames Osterfrühstück mit Hefezopf, leckeren Marmeladen und natürlich auch Ostereiern.

In Adenau findet am Karfreitag seit Jahren der Carfriday statt, an dem sich Auto- und Motorsportfans rund um Adenau und den Nürburgring treffen. Ist dies aus kirchlicher Sicht mit der Bedeutung des stillen Feiertags Karfreitag vereinbar?

Nein, Karfreitag ist für viele evangelische Christen der absolut höchste Feiertag. Dass er in einer säkularen Welt nicht mehr als solcher wahrgenommen wird, ist sicherlich so. Allerdings wird in unserer Gesellschaft darauf geachtet, alles Erdenkliche für jede Minderheit politisch korrekt zu machen. Einen stillen religiösen Feiertag, der für eine immer noch erhebliche Anzahl von Menschen bedeutsam ist, zu achten, empfinde ich daher als Zeichen des Respekts. Wie der Tag allerdings häufig in der Autoposer- und Tunerszene genutzt wird, empfinde ich als respektlos. Zwar ist der Nürburgring die Lebensader der Region, und die Treffen werden nicht von dort organisiert, aber dennoch sollten wir nicht alles, was rund um den Nürburgring stattfindet, sang- und klanglos akzeptieren müssen.

Das sind deutliche Worte.

Ja, aber es ist doch so. Wir haben in der Kirche nur sehr wenige religiöse Feiertage, die still begangen werden. Es bleiben daher rund 350 Tage im Jahr, an denen sich Autoposer zu Veranstaltungen treffen können. Auf den Karfreitag als Veranstaltungstag im Hinblick auf dessen religiöse Bedeutung nicht zu verzichten, empfinde ich als respektlos. Klar, der Name Carfriday ist witzig und provokant. Und alles, was provokant ist, ist auch spannend und damit ein Event. Aber im Hinblick auf die Ostertage würde ich mir etwas mehr Wertschätzung und Respekt wünschen.

Im Hinblick auf diese Entwicklung stellt sich die Frage: Welchen gesellschaftlichen Stellenwert hat Kirche dann eigentlich heutzutage noch?

Also bei den Amtshandlungen wie Taufen, Trauungen und Beerdigungen hat sie in jedem Fall noch einen Stellenwert in der Gesellschaft. Vielen Menschen sind diese Amtshandlungen wichtig. Auch bei Themen, wo es um Gerechtigkeit und Ethik geht, wird die Kirche noch gefragt. Und auch aktuell beim Thema Rechtsradikalismus hat Kirche viel zu sagen. Nicht vergessen werden sollte auch, dass Kirche auch eine versöhnende Aufgabe hat. Wer, wenn nicht die Kirche, kann zum Frieden aufrufen und sich für Frieden einsetzen? Damit sind wir wieder beim Osterfest – es steht für Frieden, für einen Neuanfang, für ein Weiterleben und ein Zusammenleben. Kirche hat also nach wie vor viel zu sagen, die Frage ist aber, ob sie auch gehört wird ...

Gehört wird, um sich also für ein friedliches Zusammenleben weltweit einzusetzen?

In jedem Fall. Gewaltreiche Konflikte können nur gelöst werden, wenn einer den ersten Schritt macht. In Hinblick auf den Ukraine-Krieg haben wir in unserer Gesellschaft und auch medial eine unglaubliche Kriegsrhetorik entwickelt. Es erscheint beinahe undenkbar, dass noch an Frieden gedacht wird. In den Medien heißt es immer, die Ukraine muss siegen, die Lieferungen von Waffensystemen bestimmen unsere politischen Diskussionen. Es sterben so viele Menschen auf beiden Seiten, und das Töten von Menschen fördert immer nur wieder neuen Hass. Könnte nicht unsere Aufgabe als Kirche sein, die Menschen stark zu machen und zu unterstützen, die ein Ende des Konfliktes auf friedlichem Weg anstreben, die noch den Glauben haben, dass es einen anderen Weg als den der Gewalt geben kann? Einen guten Zeitpunkt, um sich mit dem Thema Frieden auseinanderzusetzen, bieten die Ostertage. Sie stehen für die erhaltene Chance auf einen friedlichen Neuanfang.

Claudia Rössling-Marenbach
Claudia Rössling-Marenbach hat in Wuppertal, Bonn und Heidelberg evangelische Theologie studiert.

Ihr Vikariat und die erste Zeit als Pfarrerin leistete die 1966 in Wissen/Sieg Geborene in Hürth ab und war dort von 1999 bis 2003 in der evangelischen Matthäus-Kirchengemeinde tätig.

Ab dem Jahr 2003 war Claudia Rössling-Marenbach in der evangelischen Kirchengemeinde Seibersbach tätig, im Jahr 2019 hat sie die Pfarrstelle in der evangelischen Kirchengemeinde Adenau übernommen. clv

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