1954, Großer Preis von Deutschland. Mehr als 300 000 Menschen sind in die Eifel gekommen und erleben eines der aufregendsten Rennen am Nürburgring, dass der Argentenier Huan Manuel Fangio dominiert.
Die Wurzeln der Langstreckenrennen gehen übrigens bis in die frühen 50er-Jahre zurück, als Farina, Ascari und Fangio die Fans zu Hunderttausenden in die Eifel strömen ließen. Gemeinsam mit der Pressestelle des Nürburgring blickt die RZ in die 90-Jährige Geschichte der Rennstrecke, in der die wilden 50er-Jahre eine besondere Rolle spielen.
Deutschland im Sommer 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, das Land liegt in Trümmern. Aufräumen und die tägliche Suche nach genügend zu essen sind die großen Themen im besetzten Nachkriegsdeutschland. Fast niemand denkt in dieser Zeit an Motorsport. Und doch: In der Eifel werden die Ärmel hochgekrempelt, am Nürburgring beginnt schon bald die Instandsetzung. Und es dauert nicht lange, bis sich auch begeisterte Motorsportler finden, die erste Rennen austragen wollen.
Schon zwei Jahre nach Kriegsende kommt wieder Bewegung an den Ring. Die französischen Besatzungstruppen genehmigen 1947 einen neuen Fahrbahnbelag, und am 17. August – nur wenige Wochen nach dem 20. Geburtstag der Strecke – findet das erste Nachkriegsrennen, der „Eifelpokal für Motorräder“, auf der 7,7 Kilometer langen Südschleife statt. Würstchen mit Kartoffelsalat sind im Eintrittspreis von fünf Mark inbegriffen.
Der Brite Stirling Moss wurde nie Formel-1-Weltmeister, aber eine Legende am Nürburgring.
Zwar dauert es danach weitere zwei Jahre bis zum nächsten Rennen im Jahr 1949, aber schon 1950 findet auf der Nordschleife wieder ein Großer Preis von Deutschland für Automobile statt. Denn inzwischen hatte die deutsche Automobilindustrie wieder mit der Produktion begonnen und mit ONS und ADAC waren zwei für den Rennsport wichtige Organisationen neu bzw. wieder gegründet worden, die fortan eine Art Nibelungenentreue mit dem Ring verbinden sollte. Und ab 1951 gehörte der Große Preis von Deutschland auch zur neuen Formel-1-Fahrerweltmeisterschaft, die bis heute die Fans als „Königsklasse“ elektrisiert.
Der Nürburgring: Die Chronik
Aber schon in den 50er-Jahren wurden an der Nordschleife Korrekturen vorgenommen, um sie sicherer zu machen. Dazu gehörte 1955 die Verbreiterung der Gegengeraden an Start und Ziel von acht auf zwölf Meter oder der Ausbau einiger Kurven sowie 50 000 Quadratmeter neuer Asphalt. 1955 – nach der Tragödie bei den 24 Stunden von Le Mans, wo bei einem Unfall 84 Menschen ihr Leben verloren – wurden auch Maßnahmen zur Sicherheit der Zuschauer ergriffen.
Zusätzlich zu den jährlichen Anpassungen wurden einige Streckenabschnitte wie Schwedenkreuz und Aremberg entschärft. Auch wenn es nicht immer zur Freude bei Fahrern und Fans führte: Es machte den Motorsport auf dem extrem anspruchsvollen Kurs immer wieder sicherer und half damit letztlich, die Existenz der Strecke zu sichern.
Was so mancher Motorsport-Fan heute nicht mehr weiß: Schon damals gab es rund um die Strecke in der Eifel Überlegungen für ein 24-Stunden-Rennen nach dem Vorbild von Le Mans. Doch dieses Rennen zwei Mal rund um die Uhr feierte am „Ring“ erst 1970 seine Premiere. Rund zwanzig Jahre zuvor war die Nordschleife den Verantwortlichen bei Sportbehörden und Automobilherstellern für ein so langes Rennen noch als zu materialmordend erschienen, weshalb die Wahl auf ein kürzeres Rennformat fiel: das „ADAC-1000-km-Rennen“.
Am 30. August 1953 feierte dieses Rennen seine Premiere auf dem Nürburgring und war Teil einer neu gegründeten Marken-Weltmeisterschaft. Zu ihr gehörten im ersten Jahr auch die 12-Stunden von Sebring (USA), die 24-Stunden-Rennen in Le Mans (Frankreich) und Spa (Belgien), die legendären Straßenrennen „Mille Miglia“ in Italien und „Tourist Trophy“ in Großbritannien sowie die „Carrera Panamericana“ (Mexiko).
Mehr als 50 Fahrzeuge stellten sich der Herausforderung von 44 Runden auf der Nordschleife, die Distanz war mit 1003,64 km mehr als doppelt so lang wie bei den Großen Preisen, die seit 1951 zur neuen Formel-1-Weltmeisterschaft zählten. Doch die Fahrer, die – wie in Le Mans – beim Start erst zu ihren Autos liefen, waren zum großen Teil dieselben. Den ersten Sieg holten in einem Ferrari gemeinsam die Italiener Giuseppe „Nino“ Farina, der erste Formel-1-Weltmeister von 1950, und Alberto Ascari, Formel-1-Champion der Jahre 1952 und 1953.
Start eines Motorgespannrennens im Jahre 1949.
Vor allem Ascari wurde in dieser Zeit zu einer Nürburgringlegende. Der Italiener hatte bereits den Großen Preis von Deutschland 1950 gewonnen und wiederholte den Triumph ein Jahr später, als der Grand-Prix erstmals als Formel-1-Lauf ausgetragen wurde. 1952 schaffte er mit dem dritten Sieg in Folge sogar den Hattrick.
„Ein toller Kurs, nur was für Könner mit Herz und Verstand“, so ist Ascaris Einschätzung des Nürburgrings überliefert. Und wenn er 1953 nicht in Führung liegend ein Rad verloren hätte, wäre ihm wohl auch noch der vierte Grand-Prix-Sieg in Folge gelungen. Dafür holte er sich den Premierenerfolg im 1000-km-Rennen, seinem letzten Sieg auf dem „Ring“, bevor er im Mai 1955 bei Testfahrten tödlich verunglückte.
In seine Fußstapfen als „König des Rings“ trat ein anderer Rennfahrer, noch erfolgreicher und berühmter: der Argentinier Juan Manuel Fangio. „El Chueco“ (der Krummbeinige), der 1951 den ersten seiner insgesamt fünf Formel-1-Titel geholt hatte, feierte nach zwei zweiten Plätzen 1951 und 1953 seinen ersten Triumph auf der Nordschleife 1954 – und das im legendären Mercedes-Silberpfeil.
Es war ein dramatisches Wochenende. Zunächst kamen die Silberpfeile bei ihrem Comeback in der Eifel erst zum zweiten Trainingstag an der Strecke an, nachdem die Stuttgarter erst noch aus den Stromlinien-Rennwagen W 196 kurzfristig eine Version mit frei stehenden Rädern gemacht hatten. Dann wollte Fangio, der mit dem neuen Renner direkt auf die Pole-Position gerast war, nicht an den Start gehen, nachdem sein argentinischer Landsmann Onofre Marimon im Training tödlich verunglückt war.
Erst nachdem ihn der charismatische Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer überredet hatte, trat Fangio an und siegte schließlich vor 300 000 Zuschauern nach einem langen und nicht nur Neubauers Nerven strapazierenden Duell mit Teamkollege Karl Kling. Mit Tränen in den Augen und ohne Jubel ließ Fangio die Siegerehrung über sich ergehen, immer in Gedanken bei seinem Freund Marimon.
Es sollte aber nicht Fangios einziger Geniestreich in der Eifel bleiben. Nachdem 1955, nach der Tragödie von Le Mans, kein Großer Preis auf dem Nürburgring stattgefunden und Mercedes sich aus dem Motorsport zurückgezogen hatte, setzte sich Fangio 1956 wieder durch – diesmal mit Ferrari. Nur fünf der 20 gestarteten Fahrer erreichten das Ziel, als Zweiter der Brite Stirling Moss.
Sein Meisterstück machte Fangio, an den heute ein Denkmal am Nürburgring erinnert, aber 1957. Der inzwischen 46-Jährige hatte in seinem Maserati nach einem zu langen Boxenstopp bereits 48 Sekunden Rückstand auf das führende Ferrari-Duo Peter Collins und Mike Hawthorn – und das bei nur noch acht zu fahrenden Runden. Doch Fangio gab Gas wie ein Sieger, obwohl ihm auch der dritte Platz zum fünften WM-Titel gereicht hätte. Er pulverisierte mit einem Rundenrekord nach dem anderen den Rückstand, setzte sich eineinhalb Runden vor Schluss an die Spitze und triumphierte schließlich mit 3,6 Sekunden Vorsprung. Es war sein 27. und letzter Grand-Prix-Sieg – und der vielleicht größte seiner Laufbahn.
Bleibt noch die dritte Ring-Legende aus den 50ern: Sir Stirling Moss. Der zu seiner Zeit vielleicht beste Rennfahrer der Welt, der nie Formel-1-Weltmeister war, feierte seinen ersten Sieg in der Eifel im zweiten 1000-km-Rennen. Es wurde aus finanziellen Gründen erst 1956, drei Jahre nach der Premiere, ausgetragen.
Er gehörte zur siegreichen Maserati-Crew und verwies dabei den großen Fangio auf den zweiten Platz. Nachdem Moss noch gemeinsam mit Fangio 1957 in einem Maserati Fünfter geworden war, feierte er 1958 und 1959 mit Aston Martin zwei weitere Siege. 1960 triumphierte er in einem Maserati zum dritten Mal in Folge und gewann schließlich 1961 in einem Lotus auch in der Formel 1 endlich auf dem Nürburgring.
Uli Adams