Überflutung: 19 Tote und viele Vermisste - Gebäude weggespült - Strom- und Wasserversorgung in vielen Teilen ausgefallen - Tausende evakuiert
28 Tote nach der Überflutung bestätigt: „Die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“
Mitten in Bad Neuenahr: Autos wurden durch die Straßen geschoben wie Spielzeug. In der Kreisstadt sind zahlreiche Ahrbrücken nicht mehr passierbar, tonnenschwere Betonbauwerke zerstört.
Ruben Schäfer

Zerstörte Brücken und durchflutete Ortschaften. Wassermassen drangen in Wohnhäuser ein. Menschen retteten sich auf Vorsprünge und Dächer und warteten, dass sie geborgen werden. Die lokalen Extremregenereignisse im Laufe des Mittwochs haben in kürzester Zeit ein tragisches Bild der Verwüstung hinterlassen. Mit einer Wucht traten die Ahr und ihre Nebenflüsse über die Ufer, die ihresgleichen sucht.

Auf einer Pressekonferenz am Donnerstagmorgen zogen Landrat, Landesinnenminister und Einsatzführungskräfte eine erste verheerende Zwischenbilanz. „Ohne Zweifel ist es die größte Katastrophe im Kreis Ahrweiler seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Landrat Jürgen Pföhler. Weiterhin berichtete er, dass es eine ungeahnte Dimension war, wie schnell Fluten binnen Stunden über den Kreis hereinbrachen. Brand- und Katastrophenschutzinspekteur Michael Zimmermann sprach als Einsatzleiter des Krisenstabs gestern Vormittag bereits von mehreren Toten und mindestens 30 Vermissten. Die Zahl dürfte inzwischen deutlich höher liegen. Bestätigt wurden am gestrigen Nachmittag bereits 28 Tote im Kreis Ahrweiler, allein neun im Haus der Lebenshilfe in Sinzig. Und Zimmermann ergänzte, dass die Einsatzkräfte viele Menschen noch nicht bergen und zu ihnen vordringen können. Teilweise ließen es die Fluten nicht zu.

Von einem tragischen Todesfall erzählte Horst Gies, Erster Kreisbeigeordneter und Landtagsabgeordneter für den Kreis Ahrweiler. Seine Schwägerin ist durch das Hochwasser umgekommen. Die Mitbewohnerin der Schwägerin berichtete ihm den tragischen Fall. Sie war im Keller, um Hochwasservorsorge zu treffen, so Gies. Aber dann kamen von jetzt auf gleich die Wassermassen: „Meine Schwägerin muss ertrunken sein“, erzählte Gies fassungslos. Für ihn ist die ganze Lage unvorstellbar. Sein Sohn, der Feuerwehrmann ist, musste sich laut Gies auch in Sicherheit bringen und auf einem Baum klettern. Der Sohn habe auch einen Menschen gesehen, der durch die Fluten mitgerissen wurde. „Oberste Priorität ist, Menschenleben zu retten“, betonte Landrat Pföhler auf der Pressekonferenz.

Die gesamten Auswirkungen sind katastrophal. Allein im gesamten Stadtgebiet Bad Neuenahr-Ahrweiler gab es am Donnerstagvormittag allein 1000 Einsätze, wie Einsatzleiter Michael Zimmermann berichtete. Im gesamten Kreisgebiet mussten zahlreiche Straßen gesperrt werden. Zimmermann sprach zudem von mindestens 100 beschädigten Gebäuden, nicht nur in der Verbandsgemeinde Adenau sind mehrere Häuser durch die Überflutungen eingestürzt.

Schuld an der Oberahr wurde besonders hart von den Sturmfluten getroffen. Nach Angaben der Polizei wurden hier vier Häuser komplett weggespült und zwei weitere Häuser zur Hälfte. Doch überall entlang der Ahr und der Nebenflüsse sind große Schäden zu verzeichnen, die auch die Versorgung erheblich beeinträchtigen. Strom-, Gas- und Trinkwasserausfälle in vielen Teilen des Kreises sind die Konsequenz. „Die Folgen werden uns sicherlich noch Wochen beschäftigen“, erklärte der Landrat. So sind teilweise Trinkwasser-Hochbehälter ausgefallen und Wasserleitungen zerstört worden. Aus der Wahnbachtalsperre konnte aufgrund des Stromausfalls kein Wasser zurückgeführt werden. Unter großen Aufwand konnte die Versorgung für das Krankenhaus in Adenau wiederhergestellt werden, so der Landrat.

Auch zehn der 13 kreiseigenen Schulen im Kreis Ahrweiler sind beschädigt. „Wenn das Wasser weg ist, sind große Sanierungsarbeiten erforderlich“, erörterte der Landrat Pföhler. Die Kreissparkasse Ahrweiler spendet 500 000 Euro als Beitrag für die Beseitigung der Schäden. Mehr Infos zur Spendenmöglichkeit stehen etwa online unter www.facebook.com/kreissparkasseahrweiler

In einigen Orten mussten zahlreiche Menschen evakuiert werden, in Sinzig waren es gestern Mittag schon 2000, mit den übrigen Ortschaften sind es insgesamt zwischen 2500 und 3000. Zudem war am Donnerstagmittag bereits davon die Rede, insgesamt vier Altenheime evakuieren zu müssen. Mehrere Betreuungsstellen wurden eingerichtet. Nur nicht überall war es einfach, zu den Menschen vorzudringen. „Es gibt nicht erreichbare Insellagen“, hob Innenminister Roger Lewentz hervor. Zimmermann unterstrich, dass die Verpflegung der Menschen sichergestellt werden muss.

Tausende Einsatzkräfte versuchen bestmöglich zu helfen und die Lage sukzessive besser in den Griff zu bekommen. „Einige Kräfte sind seit fast 24 Stunden im Einsatz“, sagte Michael Zimmermann gestern Vormittag. Immer wieder fuhren am Donnerstagmittag Kolonnen von Rettungsdiensten, THW oder auch Feuerwehrfahrzeuge zu den Einsatzstellen. Frank Hitzelberger, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Bad Neuenahr-Ahrweiler, ergänzte, dass viele Polizeikräfte, die eigentlich nicht im Dienst waren, sich freiwillig gemeldet haben und andere keinen Feierabend machten. Unterstützung kam nicht nur aus vielen umliegenden Kreisen, sondern auch aus Hessen oder Baden Württemberg. Mehrere Helikopter flogen zu den Einsatzorten. An dem Einsatz gegen die Fluten im nördlichen Rheinland-Pfalz nehmen auch 50 Soldaten der Bundeswehr teil. Sie seien am Mittwochabend alarmiert worden, sagte der stellvertretende Kommandeur des Kreisverbindungskommandos, Torsten Liebscher, am Donnerstag in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Der Einsatz werde unterstützt mit „besonderem Gerät, das dorthin kommt, wo zivile Fahrzeuge nicht hinkommen“.

Eine weitere Unterstützung erhalten die Einsatzkräfte aus Hamburg. Die Wasserschutzpolizei hilft mit speziellen Gerätschaften und leichten, kleinen Booten, die sich besonders in innerstädtischen Bereichen eignen, um Menschen zu bergen.

Und die Menschen brauchen dringend Hilfe. In manchen Straßenzügen in Bad Neuenahr-Ahrweiler waren die Anwohner bereits damit beschäftigt, ihre Häuser von Schlamm und Wassermassen zu befreien. Teilweise stapelten sich Autos nach dem Hochwasser, Schlamm drang in den Innenraum der Fahrzeuge ein. Andere Betroffene wateten durch den Schlamm. Manche Gesichter waren gezeichnet von Verzweiflung. Eine Frau trug ihre weinende Tochter, über der Schulter hing eine Sporttasche. „Es ist eine totale Katastrophe“, sagte auch Innenminister Roger Lewentz.

Vor allem spitzte sich die Lage am Mittwochabend rasant zu, die Menschen hatten kaum Zeit, sich vorzubereiten auf das Hochwasser. Wie extrem es war, illustrierte Landrat Pföhler an einem Beispiel. Der Pegelstand an der Ahr in Altenahr schnellte innerhalb kürzester Zeit in die Höhe, sogar deutlich höher als beim Hochwasser im Jahr 2016. „Die Pegelmessung hört bei sechs Metern auf, wahrscheinlich lag der Pegelstand bei um die sieben bis 7,50 Meter“, zeigte sich der Landrat ungläubig. Zimmermann fügte zu der Thematik hinzu: „Die Einsatzkräfte konnten die Sandsäcke nicht so schnell füllen, wie das Hochwasser gestiegen ist.“

Angehörige, die jemanden vermissen, können sich melden unter Tel. 0800/65 65 65 1.

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