Lahnsteiner Dachdeckermeister Bernd Krinninger startete Aufruf - 107 Betriebe aus ganz Deutschland packen an und helfen nach der Flut
107 Betriebe aus ganz Deutschland helfen: Dichte Dächer für ein Stück Neubeginn im Ahrtal
Viele weitere Kollegen ersetzen Ziegel und erneuern Fallrohe.
Karin Kring/Tobias Lui/dpa, Hara

Zu Hause gibt es genug Arbeit. Natürlich. Viele haben selbst noch Schlamm und Wasser in ihren Häusern und Kellern und genug aufzuräumen. Christopher Momper, der in Sinzig lebt, ist selbst von der Flut betroffen, die am Abend des 14. Juli und in der Nacht zum 15. Juli das gesamte Ahrtal mitten ins Herz getroffen und überall nur Zerstörung hinterlassen hat. „Die gröbsten Schäden bei mir zu Hause sind beseitigt. Und hier ist es noch viel schlimmer. Da mussten wir helfen!“, sagt der Dachdeckermeister, der seinen Betrieb Momper & Sohn in Bonn hat. Das war sofort klar für ihn, als er den Aufruf in den sozialen Netzwerken gesehen hatte. Dachdecker werden dringend gebraucht im Katastrophengebiet. 107 Betriebe aus ganz Deutschland haben am Mittwoch für die Menschen an der Ahr eine beispiellose Aktion gestartet und mit geschätzt 200 Handwerkern – von denen sich viele Urlaub genommen haben –, eigenem Material und Spenden unzählige Schäden an Dächern, Regenrinnen und Fallrohren repariert. Vorerst provisorisch und nicht als Dauerlösung, denn es können keine ganzen Dächer gedeckt werden. Aber doch so, dass die Häuser nicht durch Regen weiteren Schaden nehmen.

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Viele weitere Kollegen ersetzen Ziegel und erneuern Fallrohe.
Karin Kring/Tobias Lui/dpa, Hara

Initiiert hat die Aktion der Lahnsteiner Bernd Krinninger, Chef der Dachdeckerfirma Heimbach. Er hat kurz nach der Katastrophe bereits Freunden geholfen, die in Mayschoß ein Weingut haben. „Als der Schlamm weg war, kamen viele Schäden an den Dächern zutage. Und so lange die nicht repariert sind, können auch die Häuser nicht trocken und wieder bewohnbar werden“, sagt er. Er hat einfach einen Anruf gestartet.

Von der Dynamik, mit der sich die Idee – nachdem sie einmal im Netz gepostet war – entwickelte, war er selbst überrascht. „Ich habe einen großen Kollegen- und Bekanntenkreis. Aber es meldeten sich Betriebe aus ganz Deutschland bei mir und sagten zu, an die Ahr zu kommen und zu helfen.“ Darunter auch Dachdecker Niklas Bothe aus Goslar und Dachdecker Christoph Redecker-Schramke, der sogar aus Berlin mit seinen Leuten anreist. Die beiden sind es auch, die gemeinsam mit Bernd Krinninger einen Großteil der Organisation und Koordination der einzelnen Arbeitseinsätze übernehmen.

Der Lahnsteiner Dachdecker Bernd Krinninger hat den Aufruf gestartet, dem mehr als 200 Kollegen gefolgt sind, um an der Ahr die schlimmsten Schäden an Dächern zu reparieren.
Karin Kring/Tobias Lui/dpa, Hara

Viele Hundert Meter lang reiht sich die Schlange der Dachdeckerfahrzeuge und Lastwagen am Mittwochmorgen pünktlich um 8 Uhr entlang der Straße im Höhenort Kalenborn. „Der Parkplatz, der als Treffpunkt gedacht war, ist leider völlig verschlammt. Deshalb muss es so gehen“, sagt Krinninger. Erst noch eine Begrüßung und noch ein paar Hinweise, wie etwa, auf die eigene Sicherheit zu achten, und dann geht es von dort aus über provisorisch hergerichtete Feldwege mit Material und Manpower in die einzelnen Orte, die im Tal liegen, wie zum Beispiel Dernau, Rech oder Mayschoß.

Bothe sorgt für die Verteilung des benötigten Materials und fährt Schieferziegel, Dachlatten, Dachpappe und Regenrohre an Ort und Stelle. Vieles darunter Spenden, denn der Landesinnungsverband, Kreishandwerkerschaften und vor allem die Industrie unterstützen die Aktion. „Mit Materialspenden für rund 300.000 Euro“, freut sich Krinninger. Ebenfalls im Orga-Team am Treffpunkt: Gregor Orth, Obermeister der Innung Mayen-Ahrweiler, der seinen Betrieb in Grafschaft hat, selbst von der Flut betroffen war, sich aber vor allem bestens auskennt im Ahrtal.

„Wir schicken die Firmen zu den am stärksten beschädigten Häusern“, sagt er und zeigt einen eigens angefertigten Lageplan vom Tal. Die Kollegen Dachdecker und Zimmerleute suchen sich ihre Baustellen aber auch einfach selbst und gehen auf Anfragen von Bewohnern ein, denn dass die Armada der Dachdecker kommt, hatte sich an der Ahr längst herumgesprochen – und natürlich werden sie herzlich begrüßt.

Karin Kring/Tobias Lui/dpa, Hara

Und dann heißt es eigentlich nur noch: anpacken. Über dem kleinen Café mit Bäckerei, das Wido Ockenfels in Mayschoß betreibt, wird am Vordach gehämmert, einige fehlende Ziegel werden ersetzt, die Dachrinne geflickt. Das Café ist leer, die komplette Einrichtung ist Schrott, und der Inhaber weiß nicht so recht, wie er weitermachen soll. „Wir hatten vor der Flut zwei Bäcker und zwei Metzger im Ort. Einer hat schon gesagt, er will aufhören. Ich werde aber bleiben“, ist er überzeugt. Dass das Dach wieder dicht ist: ein echter Lichtblick, über den der Bäckermeister sich sehr freut und Christopher Momper und Team sehr dankbar ist. Es kann aufwärts gehen im kleinen Mayschoß, dessen idyllische Schönheit trotz verschlammter Straßen, leer geräumter Häuser und Bergen von Schutt noch erkennbar ist.

In Mayschoß freut sich der Bäcker Wido Ockenfels (links im Bild) über die Hilfe der Bonner Firma Momper & Sohn.
Karin Kring/Tobias Lui/dpa, Hara

Auch Bernd Krinninger geht zu seiner Baustelle in Mayschoß, wo dicht über den Häusern und den umgebenden Weinbergen donnernd laut ein Hubschrauber kreist und die Reben besprüht. „Die Winzer haben jetzt Sorge, dass die Trauben zu schnell reifen“, erklärt er, „denn viele können sie jetzt in ihren zerstörten Kellereien gar nicht verarbeiten.“ Noch ein Problem für die Menschen an der Ahr.

Die Dachdecker tragen jedenfalls mit viel Herzblut ihren Teil dazu bei, dass es irgendwann wieder aufwärts gehen kann. Viele von ihnen wollen mehrere Tage bleiben, haben eine Unterkunft oder ein Gästebett bei Kollegen gefunden und wollen weiterarbeiten. Es werden viele Handwerker gebraucht in den nächsten Wochen und Monaten im Ahrtal. Und der Lahnsteiner Bernd Krinninger hat eine leise Hoffnung: „Vielleicht kann unsere Aktion auch ein Beispiel für andere Handwerksinnungen sein, gemeinschaftlich Hilfsaktionen zu starten.“

Von unseren Redakteuren Karin Kring und Tobias Lui

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