Mit Gesine Richter-Witt und Jürgen Witt waren zwei Referenten zu Gast, die sieben Jahre lang in Nanjing, einer Stadt mit 10 Millionen Einwohnern im östlichen Landesteil, gelebt haben.„Ein herzliches Willkommen“: Mit diesen Worten begrüßte das in Winningen beheimatete Ehepaar die Gäste – natürlich in der chinesischen Variante. Das hatte Gründe: In China wird man überall so empfangen.
Beide schickten ihrem Vortrag, zu dem die Gastgeber Martina und Lothar Kröber geladen hatten, vorweg, dass sie ihre Entscheidung, für einige Jahre nach China zu ziehen, nicht bereut haben. Im Gegenteil. Nach eigener Aussage war es für sie eine spannende und schöne Zeit.
Auf einmal ging alles ganz schnell
„Wir waren zunächst irritiert, dass es so schnell ging“, bekannten die beiden und führten mit diesen Worten in das Jahr 2011 zurück. Jürgen Witt, der damals Werksleiter bei Aleris in Bonn war und heute Direktor am Koblenzer Novelis-Standort ist, erhielt damals das Angebot, gut eine Autostunde von Nanjing entfernt eine neue Produktionsstätte aufzubauen. Der Haken: Er hatte nur wenige Tage Bedenkzeit. Weil er und seine Frau schon früher den Wunsch hatten, im Ausland zu arbeiten, fiel die Entscheidung leicht. Bei den beiden Kindern war das schon anders – doch sie sollten sich schnell einleben. Und dann wollte sie eigentlich gar nicht mehr weg.
Das China-Abenteuer begann für die Familie wirklich abenteuerlich – in zwei bescheidenen Containern auf einer gigantischen Baustelle. Hier sollten für die Aleris Aluminium Zhenjiang Comany eine Aluminiumproduktion nach deutschen Standards aufgebaut werden. Das Areal befindet sich unweit des Jangtse, dem mit einer Gesamtlänge von 6380 Kilometern längsten Flusses Chinas. Entsprechend schwierig ist das Gelände.
Fast für die Ewigkeit gebaut
Gebaut wurde deshalb fast für die Ewigkeit – mit aufwendigen Gründungen aus Beton. Das hat sich bis heute bewährt. Witts Zwischenbilanz: Während andere Gebäude im Umfeld die ersten Schäden haben, sieht das in gerade mal 18 Monaten hochgezogene Werk noch so aus wie am ersten Tag. Und die Zuhörer lernten eine erste Lektion: In China geht in der Regel fast alles viel schneller und die Dimensionen sind beeindruckend – so hat die größte Halle des neuen Werks eine Länge von 580 Metern! Auch deutsche Ingenieure haben an dieser Entwicklung ihren Anteil, sie genießen in China hohes Ansehen. „Noch“, schränkte Jürgen Witt mit Blick auf die Ausbildung und den Ingenieursmangel hierzulande ein.
Wie es sich in Nanjing lebte? Aus Sicht der Familie Witt sehr gut. Die alte Hauptstadt ist aus ihrer Sicht die schönste in China. „Man kann sich schon in die Stadt verlieben“, betonte Gesine Richter-Witt und berichtete unter anderem von überschaubaren Stadtteilen und gepflegten Grünanlagen. Dabei wächst Nanjing pro Jahr um mehr als 100.000 Bewohner. Ergebnis: Irgendwo wird immer gebaut. In anderen chinesischen Städten sieht es ganz ähnlich aus. Die Landflucht hält nach wie vor an, was gravierende Folgen hat: Das Land muss zunehmend Lebensmittel importieren.
Die zweite Lektion des Abends: Chinesen sind gute Gastgeber, sie essen gern und viel. Den größten Fehler, den ein Gast aus dem Ausland machen kann, ist seinen Teller leer zu essen. Das erwecke beim Gastgeber den Eindruck, er habe nicht genug aufgetischt, erklärte Gesine Richter-Witt. Sie ergänzte, dass das Essen unglaublich gut sei – auch in den kleinen preisgünstigen Garküchen. Eine Folge: In vielen Haushalten wird kaum noch selbst gekocht.
Gute Bedingungen für Schüler
Und wie ist es den Kindern ergangen? Ebenfalls sehr gut. Sie besuchten die Internationale Schule in Nanjing, die auch ein riesiges Sport- und Freizeitangebot bereithält. Kinder haben unter anderem die Möglichkeit, landesweit zu Schulwettkämpfen zu fliegen.
Es gab allerdings auch Dinge, die gewöhnungsbedürftig waren. So ist es besser, sich fahren zu lassen, weil der Verkehr für Ausländer – gelinde gesagt – gewöhnungsbedürftig ist. Und zu Hause muss wegen des Baustaubs öfter geputzt werden als gewohnt.
Fazit: Auch wenn der Vortragsabend nur einen kleinen Ausschnitt bieten konnte, machte er Lust, nach China zu reisen. Aber: Die Witts waren bereits vor Ausbruch der Coronakrise zurück.