Wirtschaftliche, politische und soziale Krisen: Viele Menschen stehen in der heutigen Zeit unter einem großen Druck von außen. Die Psychologin Milenia Meyer erklärt im Interview mit unserer Zeitung, wie Paare es schaffen, sich in schwierigen Zeiten gegenseitig Kraft zu geben und sich nicht zu verlieren.
Die Zeiten werden unsicherer und unplanbarer, der wirtschaftliche, politische und soziale Druck steigt für viele Menschen an. Wie kann das in Beziehungen hineinwirken?
Grundsätzlich ist alles, was in das eigene Lebensspektrum fällt – dazu zählen zum Beispiel Kriege, Finanzkrisen oder Ähnliches – etwas, was sich auf eine Partnerschaft oder die persönliche Psyche auswirken kann. Ein Beispiel: Wenn Paare zu mir kommen, die Familie in der Ukraine haben, weiß ich, dass sich das auf die Gemütszustände der Beteiligten auswirken kann.
Diese Situation wiederum kann beeinflussen, wie man sich die Unterstützung von seinem Partner vorstellt, ob man sich überhaupt genug unterstützt fühlt, ob man der Meinung ist, dass der Partner die gleichen Ansichten teilt, wie die ’richtigen’ Ansichten überhaupt aussehen.
Kann extern verursachter psychischer Druck, zu dem beispielsweise ja auch wirtschaftliche und berufliche Sorgen gehören könnten, Beziehungen schädigen und zu Streit oder Trennungen führen?
Theoretisch ja. Das hängt stark davon ab, wie die betroffene Person damit umgeht. Gehen wir davon aus, dass der Job der Person gefährdet ist, die den größten Anteil an finanzieller Unterstützung in die Beziehung einbringt. Das kann zum Problem werden. Vor allem, weil sich viele Menschen davor scheuen, über ihre Ängste zu reden und die Schwäche einzugestehen. Die Männer tun sich übrigens häufiger schwerer damit, darüber zu reden, als die Frauen, auch wenn diese Art Druck generell natürlich nicht vom Geschlecht abhängig ist.
Was passiert denn, wenn Partner nicht offen miteinander kommunizieren?
Zu Hause wird dann nur die schlechte Stimmung wahrgenommen. Ein Partner bekommt nur mit, dass der andere sich vielleicht zurückzieht, dass er unzufrieden ist. Angst kann sich, wenn sie unterdrückt wird, auf verschiedenen Ebenen zeigen, zum Beispiel auch als Frust oder Wut. Irgendwann hauen sich Paare vielleicht gegenseitig Vorwürfe an den Kopf.
Es kann auch passieren, dass Erwartungshaltungen entstehen. Ich erwarte etwas von meinem Partner, kommuniziere das aber nicht, weil ich glaube: Der andere muss doch merken, wenn es mir schlecht geht! Als Beweis dafür, dass die andere Person achtsam ist, dass ich wertvoll für sie bin! Das ist leider ein gefährlicher Trugschluss, übrigens nicht nur in romantischen Beziehungen, sondern auch beispielsweise in Freundschaften oder familiären Umfeldern.
Kann durch Druck von außen auch eine eigentlich gesunde Beziehung beschädigt werden? Oder betrifft das nur Menschen, deren Beziehung ohnehin bereits schwierig und disharmonisch ist?
Wahrscheinlich ist es bei einer Partnerschaft, die ohnehin schon Probleme hat, schneller der Fall, dass eine zusätzliche Belastung das Ganze zum Kippen bringen könnte. Aber natürlich kann aufgrund einer starken persönlichen Belastung auch eine gut funktionierende Partnerschaft an ihre Grenzen kommen und in eine Schieflage geraten. Funktionierende Beziehungen haben es aber meistens einfacher, da wieder rauszukommen. Die Gefahr, dass extern bedingte Ängste und Sorgen eine komplette Partnerschaft infrage stellen oder kaputtmachen, ist in gut funktionierenden Beziehungen kleiner.
Woran liegt das?
Eine gut funktionierende Beziehung, in der ich über alles sprechen kann, fängt mich besser auf. Wenn die Arbeit beispielsweise sehr fordernd ist, dann kann es sein, dass ich plötzlich viel weniger Ressourcen für den Rest des Tages übrig habe – damit sind psychische und physische Ressourcen und Zeit gemeint.
Eine Person existiert ja nicht isoliert von allem anderen, sondern in vielen Systemen, wie beispielsweise der Familie, der Partnerschaft oder der Arbeit. Das Problem ist, dass ich für all diese Bereiche nur ein einzelnes Paket an Ressourcen habe. Hier kommt dann auch die Frage zum Tragen: Wie viele Ressourcen hat mein Gegenüber übrig, um meinen Ballast mit abzufangen?

Was raten Sie Paaren in schwierigen Zeiten, um sich gegenseitig Kraft zu geben?
Pauschal gibt es da keinen Unterschied zu dem, was man einander geben sollte, wenn es nicht von außen kriselt. Es gibt Verhaltens- und Denkweisen, die Menschen in gut funktionierenden Partnerschaften regelmäßig zeigen. Dazu zählt das Führen tiefgründiger Gespräche, oder dass man Verletzlichkeit zeigen kann, ohne Angst davor haben zu müssen, wie der Partner darauf reagiert. Paare, die glücklich sind, unterstützen sich gegenseitig. Und: Sie können sich vergeben. Wichtig ist es auch, gemeinsame, positive Erinnerungen zu schaffen.
Wenn man sich in schweren Zeiten an ein gemeinsames Erlebnis zurückerinnert, kann das also helfen?
Genau. Das sollten aber schon größere Unternehmungen sein, die man plant – sogenannte Date-Nights. Urlaube sind ein sehr großes Erlebnis, an das wir regelmäßig und gern zurückdenken. Aber auch Freizeitaktivitäten, die man immer mal machen wollte, schaffen neue Erinnerungen, die bleiben: Der Fallschirmsprung oder die Wandertour zum Beispiel – der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt. Daran können sich Paare in Krisenzeiten festhalten. Es gibt aber auch die nächstkleinere Stufe: die Alltagsrituale. Das sind Dinge, die man einfach in den Alltag integrieren kann – die sollten beiden gefallen. Außerdem können sich Paare Beziehungsangebote machen. Mein Gegenüber darf das Angebot ablehnen, zeigt im besten Fall aber Interesse oder gibt mir ein Feedback.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Man kocht füreinander. Dann fragt man: „Fehlt da noch was, schmeckt dir das?“ Das heißt, es interessiert mich, dass es dem anderen schmeckt. Er kann auf dieses Kommunikationsangebot eingehen oder nicht, aber es ist gemacht. Solche Situationen verlieren sich schnell, wenn man lange zusammen ist – man nimmt sich als selbstverständlich. Deshalb sollten Partner sich immer wieder Feedback geben, wenn Dinge gut laufen – oder sich einfach mal 60 Sekunden lang in den Arm nehmen. Das Kuschelhormon Oxytocin wird dabei ausgeschüttet, das kann ein Streit-Minimierer sein.
Das neue Jahr ist da. Ergibt es Sinn, wenn Paare jetzt sagen, damit 2025 besser wird, wollen wir im neuen Jahr an unserer Beziehung arbeiten? Oder ist das ein Trugschluss und der Zeitpunkt, zu dem man losgeht, ist vollkommen egal?
Jeder Zeitpunkt, an dem man merkt, dass irgendetwas nicht richtig läuft, ist prinzipiell der richtige Zeitpunkt, an der Beziehung zu arbeiten – dann sollte man reagieren und sich vielleicht Hilfe suchen. Aber: Silvester ist eine besondere Nacht, eine besondere Erinnerung. Das kann man nutzen. Dementsprechend kann es Sinn machen, wenn man sich um 00 Uhr in den Arm genommen hat ...
... aber mindestens eine Minute lang, oder?
Richtig, eine Minute muss schon sein! Die Umarmung muss außerdem echt sein, die Personen sollten sich gerne umarmen wollen und einander zugeneigt sein. Ob diese Umarmung allein ein Paar dann durch das ganze Jahr trägt? Das wohl nicht. Aber vielleicht wäre sie ein Anfang.
Das Gespräch führten Peter Meuer und Hannah Klein.
Milenia Meyer ist Paartherapeutin in Koblenz
Milenia Meyer, Jahrgang 1986, ist Paartherapeutin mit einem Universitätsabschluss in Psychologie. Die 38-Jährige hat sich vor allem in den Bereichen Paartherapie und Psychologie weitergebildet und stammt ursprünglich aus dem Kölner Raum. Sie lebt in einer langjährigen Partnerschaft. Mittlerweile wohnt sie in der Nähe von Braubach im Rhein-Lahn-Kreis.