Professorin Katrin Baedorf appelliert, die psychische Gesundheit in den Blick zu nehmen
Wenn Kinder Angst haben, schuld an Quarantäne zu sein: Psychische Gesundheit in den Blick nehmen
Wer Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatte, darf zwei Wochen lang nicht das Haus oder die Wohnung verlassen. Das gilt auch für Mitschüler, selbst wenn ihr eigener PCR-Test negativ ausfällt. Foto: Uli Deck/picture alliance/dpa
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Eine Mutter aus Koblenz warnt davor, lediglich Hospitalisierungsraten, Bettenbelegungen und Inzidenzzahlen als Indikatoren für die gesundheitliche Lage und die Stabilität des Systems heranzuziehen – dies betreffe besonders Quarantäneregelungen in Schulen und damit Kinder und Familien.

Katrin Baedorf Foto: WHU/Kai Myller
© WHU / Kai Myller

Katrin Baedorf ist außerplanmäßige Professorin an der WHU in Vallendar und wandte sich an unsere Zeitung, weil sie ein spezielles Anliegen hat: Als Mutter zweier Kinder – neun und zwölf Jahre alt – hat sie Beobachtungen gemacht, die noch nicht sehr stark in den Fokus der Öffentlichkeit getreten seien. Es geht um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – und besonders um die Folgen durch verordnete Quarantäne in Schulen.

Baedorf spricht explizit von einer neuen Scham, die Kinder im Alltag begleite und die nur bedingt etwas mit Hospitalisierungsraten, Bettenbelegungen oder Inzidenzzahlen zu tun habe. Sie sagt: „Aus meinem persönlichen und nächsten Umfeld kann ich versichern, dass hinter jedem einzelnen positiven Coronafall unter Kindern – der selbstverständlich fast nie im Krankenhaus endet – dennoch eine enorme psychische Belastung und Druck auf die ganze Familie stehen.“

In der Vergangenheit hatte sie den Eindruck, dass lediglich Hospitalisierungsraten zur Bewertung der gesundheitlichen Lage der Stadt Koblenz genutzt werden. Natürlich sei es wichtig zu wissen, „wie ausgelastet Krankenhäuser sind und wie sich die Inzidenzzahlen entwickeln“. Was man allerdings auch mitdenken müsse: Kinder hätten Angst, inzwischen viel weniger vor dem Virus als vor allem anderen, was damit zu tun habe. Sie schämten sich, wenn sie erkranken, und hätten ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle, wenn durch sie ausgerechnet ihre liebsten Freunde in Quarantäne gehen müssten.

Sie würden im Kalender kontrollieren, was sie in den nächsten Wochen Wichtiges vorhaben, um abzuwägen, ob sie ein weiteres Fußballturnier oder eine Übernachtung mit Freunden riskieren könnten, und ließen es „zu oft lieber bleiben aus Angst, es geht etwas schief.“ Pro erkranktem Kind seien in den vergangenen Monaten sicher 10 bis 20 weitere Kinder oder Erwachsene in Quarantäne geschickt worden. Durch die Präsenzpflicht in Schulen hätten Kinder keine Wahl, ob sie sich dem offensichtlich hohen Infektions- und Quarantänerisiko aussetzen möchten.

Wenn sie sich tatsächlich mal infiziert haben, würden sie Nachrichten an alle Kontakte schreiben und hätten den Wunsch, ihr Verhalten ungeschehen zu machen, sagt Baedorf weiter. Sie hätten das Gefühl, Schuld daran zu haben, dass andere krank werden oder wegen ihnen in Quarantäne geschickt werden. „Und das nur, weil man selbst morgens nicht drauf geachtet hat, ob man sich gesund fühlt oder nicht, und man sich zu Hause noch verantwortungsvoll getestet hat.“ Das sei eine ganz neue Dimension von Problematik, die mit Krankenhausbelegungen nichts zu tun habe. Kinder gehörten an die frische Luft, führt die WHU-Dozentin weiter aus. Sie sollten herumlaufen und sich um so etwas keine Gedanken machen müssen.

Wer Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatte, darf zwei Wochen lang nicht das Haus oder die Wohnung verlassen. Das gilt auch für Mitschüler, selbst wenn ihr eigener PCR-Test negativ ausfällt. Foto: Uli Deck/picture alliance/dpa
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Mit der 26. Corona-Bekämpfungsverordnung des Landes Rheinland-Pfalz, die seit dem 8. September gilt, sei Besserung in Sicht, meint Baedorf. Denn: Jetzt werden nicht mehr ganze Schulklassen in Quarantäne geschickt, wenn es einen positiven Fall gibt. Sie habe es vorher „unvertretbar“ gehalten, dass Kinder für „ungeimpfte Erwachsene“ – und damit meint sie nicht diejenigen, die wegen einer Vorerkrankung nicht geimpft werden dürfen – in Quarantäne geschickt wurden.

Kürzlich hat sie sich mit der Koblenzer Bürgermeisterin Ulrike Mohrs über die Problematik ausgetauscht. Mohrs hätte ihr zugesichert, dass die neuen Regeln der Verordnung in Koblenz konsequent umgesetzt werden. Grundsätzlich können die örtlichen Gesundheitsämter von der Landesverordnung abweichen, sofern das für die Regionen, für die sie zuständig sind, sinnvoll ist. Die Inzidenz bei den unter 20-Jährigen liegt derzeit bei 58,1. Baedorf erklärt: „Die Grundrichtung der Politik fühlt sich mit der neuen Verordnung angemessener an.“

Von unserem Mitarbeiter Clemens Sarholz

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