20 Jahre Netzwerk Demenz Koblenz: Ehrenamtliche kämpfen weiter um mehr Empathie für Betroffene und Angehörige
Wenn die Erinnerungen fehlen
Coronavirus - Häusliche Pflege
Bis zu 1,7 Millionen Menschen in Deutschland sind von einer Demenzerkrankung betroffen. Seit 20 Jahren gibt das Demenznetzwerk Koblenz Angehörigen Hilfestellungen zu diesem Thema. Foto: picture alliance/dpa/Bernd Thissen
Bernd Thissen. picture alliance/dpa/Bernd Thiss

Wenn der Opa einen nicht wiedererkennt oder die Ehefrau lauthals schimpft und behauptet, man wolle ihr was antun: Bis zu 1,7 Millionen Menschen allein in Deutschland sind von einer Demenzerkrankung betroffen. Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens des Koblenzer Demenznetzwerkes und der anstehenden Wochen der Demenz hat die RZ Ursula Wolff-Krieger und Uwe Baumann, beides Mitglieder und Sprecher im Koblenzer Netzwerk Demenz, zu dem wichtigen Thema interviewt.

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Die Unterstützung von demenziell erkrankten Personen und ihren Angehörigen beziehungsweise Betreuungspersonen gehört heute – und erst recht in den kommenden Jahren – zu einer der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft, betonen Ursula Wolff-Krieger und Uwe Baumann. Beide sind Mitglieder und Sprecher im Koblenzer Netzwerk Demenz.

Während Wolff-Krieger jahrelang in der Heimaufsicht tätig war und somit direkten Bezug zu Menschen mit einer Demenzerkrankung hatte, war Baumann familiär bedingt selbst betroffen. Da seine Mutter selbst an Demenz erkrankt war, wurde er als Einzelkind mit dem Problem konfrontiert. Das Thema interessierte ihn so sehr, dass er eine Zusatzausbildung im Pflegebereich absolvierte.

Netzwerk Demenz Koblenz

Das Netzwerk Demenz ist ein Zusammenschluss von Einrichtungen, Diensten und Organisationen sowie am Thema interessierten Privatpersonen in der Stadt und Region Koblenz. Es möchte die Versorgungs- und Hilfeleistungen in der Region verbessern. Das Netzwerk Demenz Koblenz ist 2004 aus der Demenzkampagne der Landeszentrale für Gesundheitsförderung (LZG) Rheinland-Pfalz hervorgegangen. Es will außerdem dazu beitragen, die Lebensbedingungen von Demenzerkrankten und ihren Angehörigen zu verbessern, indem es vorhandene und zu schaffende Angebote veröffentlicht, initiiert, vernetzt und Hilfesuchenden gezielte Unterstützung anbietet. con Weitere Informationen gibtes auf der Internetseite www.demenz-koblenz.de

Frau Wolff-Krieger, Herr Baumann, wie können und sollten Familienangehörige und Betroffene mit der Diagnose Demenz umgehen?

Ursula Wolff-Krieger: Zunächst ist es wichtig, dass man sich im Familienkreis darüber austauscht und dass man versucht, Informationen zu holen. Natürlich können Betroffene sich auch vertrauensvoll an uns wenden, damit wir sie beraten können. Es besteht zudem die Möglichkeit, an einer Selbsthilfegruppe für Angehörige teilzunehmen, um festzustellen, dass man nicht als Einziger betroffen ist.

Uwe Baumann: Der zweite Schritt wäre, dass man sich medizinische Hilfe holt. Beispielsweise indem man in eine geriatrische Beratung geht oder zu einem Neurologen, damit man einen Test macht, um weitere Grunderkrankungen abzuklären. Oft gibt es Ausfälle, die wie Demenz aussehen, wenn jemand einen hohen Blutzuckerspiegel, einen Herzinfarkt oder eine schwere Operation hatte.

Wie haben sich die Bedürfnisse und Herausforderungen von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen in den vergangenen 20 Jahren verändert?

Baumann: Es ist halt ein Vorteil, dass die Gesellschaft immer älter wird. Dadurch tritt die Demenz aber immer häufiger auf. Deswegen ist es in der Politik auch ein Thema geworden und am Ende geht es bis zur Pflegeversicherung. Das heißt, dass die Demenz auch ein Grund ist, um einen Pflegegrad zu bekommen, der nicht abhängig von der körperlichen Pflege ist.

Wenn man einen Pflegegrad hat und das vom medizinischen Dienst festgestellt wird, hat man auch ein Recht auf Zusatzhilfen. Viele Ältere haben nur eine geringe Rente. Daher gibt es von der finanziellen Seite Unterstützung, sodass man sich auch Sachen, Hilfen und Betreuung über die Pflegekasse kaufen kann. Man hat aber auch in den vergangenen Jahren festgestellt, dass Demenz keine Altersfrage ist. Früher ist Demenz oft aufgetreten im höheren Alter, mittlerweile hat man ganz viele demenziell Erkrankte, die unter 60 Jahre alt sind, die voll aus dem Berufsleben und ihrem Alltagsleben rausgerissen werden.

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Setzen sich weiterhin für ein wichtiges Thema ein: Ursula Wolff-Krieger und Uwe Baumann vom Demenznetzwerk Koblenz. Foto: Marvin Conradi
Marvin Conradi

Wie kann man auf das Thema Demenz besser aufmerksam machen?

Wolff-Krieger: Durch Aktionen und Publikationen, wie beispielsweise vom Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung. Wir gehen häufig auch in Schulen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. In diesem Zusammenhang ist auch der Demenz-Parcours zu erwähnen.

Baumann: Beim Demenzparcours müssen verschiedene Aufgaben erledigt werden, vom Anziehen bis zum Essen. Der Parcours ist aus der Sicht eines demenziell Erkrankten konstruiert, der eine andere Wahrnehmung hat. Das heißt, dass man sich hineinversetzen kann in dieses Gefühl, bestimmte Sachen nicht mehr wahrzunehmen. Ob Form oder Farben, ob Zuordnung von Räumen oder Speisen: All das kann man „nachspielen“ und somit sensibel für das Thema machen, wie dieses Gefühl ist, wenn man bestimmte Sachen nicht mehr richtig wahrnimmt.

Was bedeutet ihnen persönlich das 20-jährige Bestehen des Netzwerks in Koblenz?

Baumann: Für mich bedeutet es relativ viel, weil es im Jahr 2004 aufgrund einer Initiative vom Land Rheinland-Pfalz und der Stadt Koblenz in Deutschland gegründet wurde. Es wurde damals vom Gesundheitsamt Koblenz, der damaligen Psychiatrie-Koordinatorin, in die Wege geleitet. Nach zwei Jahren hat sie in Koblenz ein Modell entwickelt, ohne Anbindung an einen Träger oder einen Pflegestützpunkt.

Wolff-Krieger: Für mich ist das eine Herzensangelegenheit. Als das Netzwerk Koblenz gegründet wurde, war ich noch in der Heimaufsicht tätig. Für mich war der Austausch immer eine ungeheuer wichtige Sache und das Engagement der Träger ist immer noch groß. Es ist aber einfach so, dass die stationären Einrichtungen mit ihrem Engagement seit Corona weggebrochen sind, weil sie einfach kein Personal mehr finden.

Wie kann man sich vor der Krankheit schützen?

Wolff-Krieger: Durch eine gesündere Lebensweise. Vor allem die mediterrane Küche soll einer Demenzerkrankung vorbeugen. Zudem sind Bewegung und das soziale Umfeld ganz wichtig. Außerdem, dass man Menschen aus ihrer Einsamkeit herausholt, damit diese nicht mehr allein sind. Reden und Zuhören sind essenziell.

Welche Angebote bieten Sie Betroffenen an?

Wolff-Krieger: Das Netzwerk in Koblenz dient eher der Vermittlung sowie als Netzwerk für Betroffene. Wir verweisen in der Regel auf die bestehenden Möglichkeiten. Uns ist es wichtig, dass wir durch Fachtagungen informieren, an die Öffentlichkeit gehen und dort das Thema näherbringen.

Baumann: Aus Sicht eines Betroffenen sind erst mal die örtlichen Pflegestützpunkte in Koblenz die erste Anlaufstelle. Dort gibt es nicht nur Informationen über Pflege, sondern sie betreuen auch Betroffene.

Ein Blick in die Zukunft: Welche Ziele wollen Sie in den kommenden Jahren erreichen?

Wolff-Krieger: Einer unserer Schwerpunkte soll Aufklärung sein. Ein niederschwelliges Angebot für Angehörige und Interessierte bieten, aber auch für Profis. Zudem haben wir uns vorgenommen, mehrmals im Jahr Vorträge anzubieten. Der zweite Schwerpunkt wird sein, mehr in die Öffentlichkeit zu gehen und noch mehr Kooperationspartner zu finden, um dadurch auch Jugendliche und junge Erwachsene anzusprechen.

Baumann: Seit drei Jahren arbeiten wir intensiv mit den Pflegeschulen in Koblenz zusammen und bieten daher einen Fachtag nicht nur für Interessierte an, sondern auch für diejenigen, die zukünftig mit der Ausbildung beginnen. Mittlerweile sind wir auch bei Facebook, Instagram und Co. vertreten, um auch junge Menschen über Social Media für dieses Thema zu sensibilisieren.

Das Gespräch führte Marvin Conradi

Das ist das Programm der Wochen der Demenz

Ab Mittwoch bietet das Netzwerk Demenz inKoblenz eine Reihe von Veranstaltungen im Rahmen der Wochen derDemenz an:

Mittwoch, 4. September,

9 bis 15.30 Uhr, Fachtag „Die letzte Reise“ – palliative Begleitung von Menschen mit Demenz, Julius-Wegeler-Schule Koblenz, Beatusstraße 143–147

14.30 Uhr, Tier und Mensch, Veranstaltung der Gemeindeschwester plus mit der Hundeschule Neuwied, DRK-Begegnungsstätte, „An der Liebfrauenkirche“ 20

Dienstag, 10. September, 17 bis 19 Uhr: Diagnose Demenz: Was tun?, Veranstaltung der Alzheimer Gesellschaft mit dem Pflegestützpunkt Koblenz-Süd, Pfarrsaal St. Franziskus, Fröbelstraße 9

Mittwoch, 11. September, 9 bis 17 Uhr: Memory Mobil, Anonyme und kostenfreie Testung und Beratung durch Fachärzte, Herz-Jesu-Kirche,Löhrrondell 1a,

18 bis 21 Uhr, Kinofilm „Diagnose Demenz: Ein Schrecken ohne Gespenst“, Kinoveranstaltung mit anschließendem Austausch mit Regisseur Günter Roggenhofer, Atelier im Odeon Kino, Löhrstraße 88

Mittwoch, 18. September, 15 bis 18 Uhr, Tanzveranstaltung für Bewohner von Senioreneinrichtungen, Haus der Begegnung, Horchheimer Höhe

Donnerstag, 19. September,

18 bis 19 Uhr, Vortrag „Schmerz – Herausforderung für Menschen mit Demenz“ vom Bildungs- und Forschungsinstitut Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein, „Im Metternicher Feld“ 19

Donnerstag, 19. September, 15 Uhr, Gottesdienst für Menschen mit Vergesslichkeit und ihre Angehörigen, im Anschluss findet ein Austausch bei Kaffee und Kuchen statt, Maria-Hilf-Kapelle, Karl-Russel-Straße 5. con

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