Zur Person
Mathias Becker ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Er betreibt eine Privatpraxis für Psychotherapie in der Casinostraße in Koblenz. Im März 2018 hat er die psychotherapeutische Leitung des Medizinischen Versorgungszentrums des Katholischen Klinikums Koblenz Montabaur übernommen. Er ist Dozent an mehreren staatlich anerkannten Ausbildungsinstituten, unter anderem in Andernach. mth
Es lassen sich zudem zwei Formen von Einsamkeit unterscheiden: die akute und die chronische. Erstere, erklärt Becker, erfülle eine wichtige Funktion. „Sie dient dazu, sich der eigenen Gefühle gewahr zu werden und seine Beziehungen zu hinterfragen.“ Heißt: Wer sich einsam fühlt, sollte sich womöglich fragen, ob er sich mehr oder intensiveren Kontakt zu anderen Menschen im Leben wünscht – eine Art Aufforderung zum Handeln. Bei chronischer Einsamkeit hingegen, hat sich das Gefühl verfestigt, die Menschen leiden darunter, sehen keine Handlungsoptionen.
2 Hat Alleinsein auch Vorteile? Eindeutig ja. „Alleinsein kann sehr viel Positives mit sich bringen“, sagt Becker. „Man kann zu sich finden, in sich gehen, und es fördert die Kreativität. Allein sein zu können, ist wichtig und eine Fähigkeit, die erstrebenswert ist.“
3Ist Einsamkeit an Weihnachten ein größeres Thema als sonst? „Einsamkeit spielt in meiner Praxis vor Weihnachten häufig eine Rolle“, berichtet Becker. „Das liegt daran, dass Weihnachten so emotional aufgeladen ist wie kein anderes Fest. Dem kann man nicht entfliehen.“ Auch gebe es meist hohe Erwartungen an die Feiertage. Ob Patienten das Thema bewegt, erklärt Becker, hänge unter anderem von der persönlichen Vorgeschichte ab.
4Wer ist besonders von Einsamkeit betroffen? „Vor allem Frauen, Alleinstehende und junge Menschen“, sagt Becker, das gehe aus einer Studie der Universität Mainz hervor. Frauen würden sich häufig in Beziehungen einsam fühlen. Allgemein nehme die Anzahl derer, die an Einsamkeit leiden, mit zunehmendem Alter zunächst ab, erklärt er, was wohl daran liege, dass man sich mit der eigenen Lebenssituation arrangiert hat, sie akzeptiert, und gelernt hat, mit Verlusten umzugehen. Im hohen Lebensalter tritt das Problem wieder häufiger auf, wenn etwa der Partner stirbt. 5 bis 11 Prozent der Erwachsenen, erläutert Becker, fühlen sich Studien zufolge einsam. Die Zahlen stammen aus der Zeit vor der Pandemie, inzwischen seien es sicherlich deutlich mehr, schätzt er.
5Welche Folgen kann Einsamkeit haben? Menschen, die unter chronischer Einsamkeit leiden, sagt Becker, erkranken häufiger an Depressionen oder haben suizidale Gedanken. Auch würden sie eine schlechtere Gesundheitsvorsorge betreiben, weil sie sich nicht so intensiv um sich kümmern. Anzeichen, dass Hilfe von Dritten benötigt wird, können sein, wenn man den Alltag nicht mehr bewältigen kann, dauernd traurige oder sogar lebensmüde Gedanken hat, sich ständig müde und erschöpft fühlt, oder körperliche Schmerzen auftreten.
In solchen Fällen, sagt Becker, sei die Telefonseelsorge die erste Ansprechpartnerin, sie kann entlasten und beraten. Hilft das alles nicht mehr, kann eine Psychotherapie sinnvoll sein. In diesem Fall, erklärt Becker, würde eine Sprechstunde bei einem Psychotherapeuten erfolgen, der den Behandlungsbedarf einschätzt.
6Wie lässt sich Weihnachten auch allein schön verbringen? „Es hilft, Weihnachten zu planen“, sagt Becker. „Man kann sich zum Beispiel ein gutes Buch bereitlegen oder Filme aussuchen, die man an den Festtagen schauen möchte.“ Auch die Wohnung oder das Haus zu dekorieren, könne für ein besseres Gefühl sorgen.
Becker rät zudem, die Erwartung an zwischenmenschliche Beziehungen herunterzuschrauben. Oft seien es kleine Begegnungen, etwa der Small Talk mit der Nachbarin oder mit dem Kassierer im Supermarkt, die das Leben bunt machen. Viele Vereine und Kirchen würden auch Weihnachtsessen anbieten. „Aktivität vertreibt Einsamkeit“, betont Becker.
Die Telefonseelsorge ist ein niedrigschwelliges Gesprächs-, Beratungs- und Seelsorgeangebot für Menschen in Lebenskrisen und belastenden Situationen. Sie ist gebührenfrei erreichbar unter den bundeseinheitlichen Telefonnummern 0800/111 0111, 0800/ 111 0 222 oder 116 123. Zusätzlich gibt es das Seelsorgeangebot im Chat oder via E-Mail. Weitere Informationen online unter www.telefonseelsorge.de